Vorräte für nur 5 Tage im Median Weltweiter Vorrat an Legacy Logic Chips wird knapp
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Ein Bericht der US-amerikanischen Handelskammer zeichnet ein düsteres Bild zum weltweiten Halbleitermangel: Demnach werde vor allem der Vorrat an Mikrocontrollern, Analog-Chips und Optoelektronik-ICs knapp, die in Strukturgrößen über 40 nm gefertigt werden. Die Lager-Vorhalte seien seit 2019 von 40 auf nur noch 5 Tage Vorrat gefallen, die Lieferketten würden immer brüchiger.

Das US-Handelsministerium hat die Ergebnisse eines von ihm in Auftrag gegebenen Berichts über den Mangel an Halbleitern veröffentlicht. Dabei offenbart sich, zumindest für den US-amerikanischen Markt, ein sehr düsteres Bild einer Branche, die an der Kapazitätsgrenze arbeitet und keinerlei Spielraum für eine Produktionssteigerung oder Toleranz gegenüber Unterbrechungen jeglicher Art hat. Die Lektionen aus diesem Bericht lassen sich aber auch auf die Märkte anderer Regionen anwenden.
Der Bericht, der in Form eines Blog-Beitrag des US-Handelsministeriums öffentlich vorliegt, basiert auf Beiträgen von mehr als 150 Unternehmen, die an der Halbleiterlieferkette beteiligt sind, da die Regierung deren Ideen zur Verbesserung der derzeitigen Situation einholen wollte. Auch hier wird ein Ende des Chipmangels nicht vor Ende des Jahres 2022 vorhergesehen. Der Bericht offenbart aber auch einige interessante Details über die wahren Engpässe und Flaschenhälse, die derzeit zu Produktionsengpässen weltweit führen.
Lagerbestand von Chips ist von 40 auf 5 Tage gefallen
Die aktuell als weltweiter Mangel an Halbleitern wahrgenommene Krise im Halbleitermarkt ist in erster Linie ein drastisches Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Von Seiten der fertigenden Halbleiterproduzenten kann eigentlich von Krise keine Rede sein: Dieser Teil der Branche kann sich im Zeitraum von 2019 bis 2021 über ein Rekordwachstum freuen, sowohl was die Masse der Umsätze als auch die Zahl gelieferter Einheiten betrifft.
Blickt man allerdings auf das weiterverarbeitende Gewerbe an Elektronikherstellern, offenbart sich dennoch ein enormes Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei Halbleitern. Immer mehr Elektronik-Produkte stützen sich auf einen immer größeren Anteil an Mikroelektronik. Dem Bericht der US-Handelskammer zufolge ist die derzeitige Nachfrage nach Chips um bis zu 20% höher als 2019 (der Median liegt bei 17%). Allerdings existieren keine einfachen Methoden zur Steigerung der Produktion. Dies hat dazu geführt, dass der durchschnittliche Lagerbestand an Chips auf nur fünf Tage gefallen ist, während er früher 40 Tage betrug.
Enorm fragile Lieferketten, kaum noch Puffer bei Wafer-Fabrikanten
Die Konsequenz ist eine extrem fragile Lieferkette, die noch anfälliger sein dürfte als es sich zu Beginn der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 gezeigt hatte. Angesichts dieser engen Grenzen könnte ein einzelnes disruptives Ereignis an einem im Ausland befindlichen Standort, an dem die Chips hergestellt werden – wie z. B. eine Naturkatastrophe oder ein Ausbruch einer neuen Corona-Variante an einem Schlüsselstandort – zu Werksschließungen in der weiterverarbeitenden Industrie führen, wenn die Vorräte aufgebraucht und die Ankunft weiterer Chips abgewartet werden muss.
Die fertigende Halbleiterindustrie hat in den letzten Jahren eine enorme Kapazitätssteigerung hingelegt. Allerdings verweist der Bericht darauf, dass die angefragten Wafer- und IC-Fertigungsstätten mittlerweile nach eigenen Angaben zu mehr als 90% ausgelastet sind. Auch unabhängig von finanziellen Anreizen besteht nicht viel weiterer Spielraum für eine kurzfristige Produktionssteigerung, da es schlichtweg an Kapazitäten fehlt. Ein Bau neuer Fertigungsstätten ist zeitaufwändig und nimmt wenigstens zwei bis drei Jahre in Anspruch, ehe dort die Produktion aufgenommen werden kann. In dieser Zeit kann ein solches Werk nicht dazu beitragen, den weiter anhaltenden Bedarf zu decken.
Automotive, Medizintechnik, Breitband: Vor allem Logik-Chips nach älterer Fertigung dringend benötigt
Nach Angaben des US-Handelsministeriums hat sich der Bericht insbesondere auf die Branchen und spezifischen Chips fokussiert, die am stärksten von der anhaltenden Knappheit betroffen sind. Neben der Automobilindustrie sind das vor allem die Bereiche Medizintechnik und Breitband-Kommunikation. Das sind insbesondere Branchen, in denen weniger Bedarf nach High-End-Chips vorherrscht, sondern in denen in erster Linie noch sogenannte „Legacy-Logic-Chips“ zum Einsatz kommen, also Logik-ICs, die in größeren Strukturbreiten und nach älterer Fertigungsmethode hergestellt werden. Laut Aufstellung der US-Handelskammer umfasst das in erster Linie die folgenden Kategorien:
- Mikrocontroller in Strukturgrößen von 40, 90, 150, 180 und 250 nm
- Analoge Chips in Strukturgrößen von 40, 130, 160, 180 und 800 nm, und
- optoelektronische Chips, z. B. nach Nodes von 65, 110 und 180 nm.
Der allergrößte Engpass, sozusagen die grundsätzliche Ursache des Problems, liegt nach Ansicht des Reports in der Fertigungskapazität geeigneter Wafer. Man komme zu dem Schluss, dass es keine kurzfristige Lösung zur Steigerung der Siliziumwaferproduktion ohne den Bau neuer Anlagen gibt, deren Inbetriebnahme Jahre in Anspruch nimmt.
High-End-Fabs decken Bedarf nur indirekt
Diverse Hersteller haben in den vergangenen Monaten weltweit den Bau neuer Fabs angekündigt. In Japan, Deutschland bzw. Europa, Taiwan und den USA sollen neue Anlagen entstehen. Allerdings dürften die angekündigten High-End-Stätten wie TSMCs 3nm-Werk für Intel-Chips, Samsungs in Texas geplante 5nm-Fab oder auch Intels für Irland angekündigte 7nm-Fab die genannten Probleme nur sehr indirekt adressieren können, da solche Spitzenprodukte auf die „bleeding-edge“ Segmente ausgerichtet sind, etwa auf die Märkte Rechenzentren, Smartphones oder PCs. Interessanter dürften eher TSMCs 22nm-Anlage in Japan – die allerdings nahezu ausschließlich den japanischen Markt bedienen dürfte – oder der Ausbau der Globalfoundries-Werke am Standort Dresden sein, die noch mit älteren Strukturgrößen arbeiten.
In dem Bericht, der in erster Linie speziell den US-Markt im Blickfeld hat, wird die angekündigte „Mega-Anlage“ von Intel, die in Ohio entstehen soll, als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Aber auch hier wird angemerkt, dass sie frühestens ab 2025 neue Chips produzieren kann, so dass sich die aktuelle Situation nicht verbessern wird.
Modernisierungsruck oder Modernisierungsdruck?
Generell müsste man sich in zwei bis drei Jahren auf einen „Modernisierungsruck“, oder vielmehr „Modernisierungsdruck“, einstellen: Branchen wie Medizintechnik oder Automotive, haben lange Zeit – vielleicht zu lange – noch auf Chips nach älterer Fertigungstechnik zurückgegriffen. Nun müssen sie sich drauf einstellen, kommende Generationen an Produkten wenn möglich auf den Einsatz von Chips umzustellen, die mindestens in Sub-28-nm-Verfahren gefertigt wurden. Denn wie sehr wird sich für einen Fertiger heute ein Neubau von Wafer-Fabs für IC-Produkte nach 60 nm oder größer lohnen, wenn dieser erst in drei Jahren Betrieb aufnimmt?
Eine Möglichkeit, dieser Situation zu begegnen, wäre die Schaffung eigener Produktionsketten: Bis 2025 wird die Hälfte der zehn weltweit größten Autohersteller die Fertigung eigener Chips für spezifische Anwendungen selbst in die Hand nehmen, sagt eine Gartner-Analyse voraus.
Im Endeffekt muss der Markt die Situation überwiegend selbst Regeln Der Bericht der US-Handelskammer kommt zu dem Schluss, dass der Privatsektor am besten in der Lage sei, die kurzfristige Herausforderung des derzeitigen Mangels zu bewältigen. Parallel dazu bereite die US-Regierung allerdings weiterhin den U.S. Innovation and Competition Act vor, ein Teil des seit Sommer 2020 geplanten CHIPS-Act, in dem 52 Milliarden US-$ für den Ausbau von Silizium-Fabs in den USA vorgesehen sind. Der Entwurf für die Förderung, die via Gesetz verabschiedet werden muss, wurde zwar bereits im Juni 2021 mit parteiübergreifender Unterstützung von Senat abgesegnet, steckt derzeit allerdings im Repräsentantenhaus fest, wo Republikaner und Demokraten sich weiterhin über Detailänderungen im Gesetzestext streiten.
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