KI im Biergarten
Rebecca Johnson arbeitet bei der zentralen Siemens-Forschung und ist Expertin für künstliche Intelligenz. Im Interview erklärt sie ihre Sicht auf die Zukunftstechnologie und warum ein Digital Companion im Biergarten natürlich bairisch spricht.
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Springen wir direkt in die Technik, Rebecca: Welche fünf zentralen Begriffe sollte ich auf jeden Fall kennen, wenn ich aktuell bei KI mitreden möchte?
Alles klar, mein erster Begriff: „Neuronales Netz“ – eine Art Kunstgehirn: Ein natürliches Gehirn besteht aus vielen einzelnen Neuronen, die miteinander über Synapsen vernetzt sind. Sehr grob formuliert, legt die Ausprägung der Synapsen alles fest, was dieses Gehirn kann oder weiß. Bei neuronalen Netzwerken werden Neuronen und Synapsen mit mathematischen Mitteln nachgebildet. Mein zweiter Begriff: „Machine learning“. Von Machine Learning sprechen wir, wenn Systeme, aus den Daten, die sie in der Vergangenheit verarbeitet haben Rückschlüsse ziehen und ihr Verhalten anpassen, also ein Verhalten zeigen, dass man auch bei Menschen Lernen nennt.
Die wichtigste Form des maschinellen Lernens ist das sogenannte „Deep learning“, das ist mein dritter Begriff. Dann sollte man wissen, was ein “Industrial Knowledge Graph” ist. Knapp erklärt, handelt es sich dabei um einen Ansatz, weit verzweigtes Wissen und Zusammenhänge strukturiert zusammenzufassen. Mit Industrial Knowledge Graphen kann ein nahezu unbegrenzt großes Gedächtnis für KI-Systeme aufgebaut werden. Last but not least, mein fünfter Begrifft: Der “Digital Companion”. Hierunter verstehen wir ein KI-System, das insbesondere so entwickelt wurde, dass Menschen gerne mit ihm zusammenarbeiten.
Künstliche Intelligenz ist keine neue Entwicklung. Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden erste Ansätze veröffentlicht, in den 90-iger Jahren gab es sogar schon mal eine kleine KI-Welle. Warum gerade jetzt dieser Hype?
Viele Gründe sind mitverantwortlich: Die Verfahren sind besser geworden, die Computer schneller, durch die Clouds gibt es unendlich viel Speicherplatz usw. Der wichtigste Grund aber sind die Daten: KI braucht Datenmassen und Datenmassen brauchen KI.
Jedes KI -System muss erst mit Tausenden von Trainingsdaten lernen – sonst bleibt es erstaunlich dumm. Beobachte einfach mal, wie lustig Roboter-Staubsauger oder Rasenmäher durch die Gegend torkeln. Vor 30 Jahren war es in der Tat schwer, genügend Daten zu bekommen. Insbesondere die Entwicklung des Internet of Things (IoT) hat das gründlich geändert. Heute entstehen gewaltige Datenmassen, in denen viele wertvolle Informationen verborgen sind. Um an diese verborgenen Informationen zu gelangen, müssen wir die Daten analysieren. Mit klassischer Programmierung – ein klar vorgegebener Algorithmus wird abgearbeitet – geht das oft nicht. Mit KI-Techniken schon.
Ein KI-System muss es erst mit vielen – am besten mit Millionen – Beispielen trainiert werden
Was kann denn eine KI alles lernen?
Sehr viel – Schach, Blumen gießen, Bilder malen – genau genommen alles, was mit einer mathematischen Formel beschrieben werden kann. Allerdings muss ich jetzt mal mit einem hartnäckigen Mythos aufräumen: Es genügt nicht, ein beliebiges neuronales Netz zu programmieren, ihm ein paar Millionen Bilder zu zeigen und schon kann es alles. Der Programmierer eines KI-Systems muss wie jeder Softwareentwickler zunächst die Systemanforderungen verstehen und eine geeignete Architektur festlegen. Im Allgemeinen besteht ein KI-System aus mehreren Schichten, in der jede einzelne eine eindeutige Aufgabe hat. Wenn ich etwa eine KI entwickeln möchte, die Handschriften erkennt, dann könnte ich zum Beispiel eine Schicht festlegen, die Schwarz-Weiß-Unterschiede erkennt, eine Schicht, die Kreisbögen erkennt u.s.w. Wenn ich dabei als Entwickler allerdings irgendetwas Entscheidendes in dieser Schichtarchitektur vergesse, dann kann ich das System später noch so lange trainieren, es wird trotzdem nicht funktionieren.
Also ein KI-Entwickler, muss wie jeder Software-Entwickler erst das Problem analysieren und verstehen, um dann daraus eine Architektur abzuleiten und diese zu implementieren. Danach hat er ein, sagen wir mal, „noch dummes“ KI-System, das anschließend mit vielen Daten so lange trainiert wird, bis es zuverlässige Ergebnisse liefert?
Genau, prinzipiell gibt es – IoT sei Dank – genug Daten. Mitunter ist es jedoch schwer, sie auch zu bekommen. Angenommen ein KI-System soll in Gewebebildern bösartige Veränderungen erkennen, dann muss es erst mit vielen – am besten mit Millionen – Beispielen von gesundem und krankem Gewebe trainiert werden. Gerade im medizinischen Bereich ist jedoch der Datenschutz sehr streng, so dass selbst anonymisierte Bildaufnahmen nur schwer zu bekommen sind. Wie soll das System also lernen? Natürlich ist der Schutz von Persönlichkeit und Daten sehr wichtig, aber wir werden die Diskussion führen müssen, welche Daten zum Wohle von allen in Zukunft geteilt werden sollten.
Sind solche Herausforderungen, an die richtigen Daten zu kommen nur ein Medizinproblem?
Ganz und gar nicht. Wir bei Siemens sitzen zum Beispiel auf einem wahren Datenschatz – Produktdaten, Entwicklungsdaten, Vertriebsdaten, Auftragsdaten u.s.w. aus über 150 Jahren – wertvolle Informationen, mit denen wir uns von anderen Firmen absetzen können. Natürlich teilen wir unseren Erfahrungsschatz nicht mit Firmenexternen. Aber selbst intern haben wir bislang noch Probleme, den Wert unserer Daten auszuschöpfen. In diesem Fall ist nicht der Datenschutz das Problem, aber die Informationen sind weit verteilt in Dokumenten, Datenbanken, Floppy-Disks u.s.w. Daher haben wir – mit Unterstützung aus dem Vorstand – jetzt ein großes Projekt aufgesetzt, in dem wir mit einem Industrial-Knowledge-Graphen eine Art Firmengedächtnis schaffen und Nichts mehr vergessen.
Wie ist die Situation bei Siemens aus? Wie schätzt Du die Bedeutung der KI ein?
Essenziell wichtig! Wir sind ein Digitalisierungskonzern in all unseren Brachen, ohne KI könnten wir schon sehr bald nicht mehr bei den Marktführern mitmischen. Wenn etwa in Zukunft viele verteilte Energieversorger mit der intelligenten Infrastruktur einer Stadt effizient zusammenarbeiten sollen, dann müssen wir die Datenmassen verstehen können, die Sensoren, verteilte Rechner usw. fortwährend erzeugen. Dafür werden wir KI-Verfahren genauso brauchen, wie in einer Fabrik, in der autonome Roboter zusammenarbeiten. Deshalb ist künstliche Intelligenz auch eines unserer wichtigsten Forschungsschwerpunkte mit über 450 Einzelprojekten – von der Entwicklung neuer Algorithmen bis hin zur User Experience. Und wir sind gut unterwegs. Vor Kurzem sind Statistiken zu Patentanmeldungen in der KI erschienen (Anmerkung: Bericht der WIPO) – Patentanmeldungen sind ja immer ein Indikator dafür, wie aktiv ein Unternehmen in einem Bereich forscht. In wesentlichen Teilbereichen wie „Life medical science“, „Energy Management“ oder „Physical science and engineering“ haben wir Platz eins oder zwei erreicht.
Welches der zahlreichen KI-Forschungsprojekte ist Dein Lieblingsprojekt?
Definitiv unsere Arbeiten zum Digital Companion. Wie vorher schon erwähnt, Digital Companions sind KI-Systeme, mit denen Menschen gerne zusammenarbeiten, die lästige Arbeiten abnehmen, hilfreiche Vorschläge machen, sich im günstigsten Fall persönlich auf ihren Benutzer einstellen, die Entscheidungsautonomie aber dem Menschen lassen. Wir konzentrieren uns aktuell darauf, wie Mensch und Digital Companion miteinander kommunizieren können. Der intuitivste Weg für Menschen ist Sprache. Das Verstehen von natürlicher Sprache (Natural Language Processing ) ist für KI-Systeme eine echte Herausforderung, schon allein wegen der unterschiedlichen Akzente und Mundarten. Wir arbeiten an einem Digital Companion, mit dem man normal sprechen kann und nicht nur im typischen Chatbot-Befehlston. Natürlich muss der ideale Digital Companion sich in seiner Sprachausgabe dann auch in seiner Sprechweise anpassen, damit er nicht mehr so synthetisch klingt, wie der klassische Chatbot.
Das heißt, sollte es in Biergärten jemals Digital Companions geben, dann müssten sie bairisch sprechen?
Ja und sie müssten nach Münchner Art gelegentlich granteln und die Bierkrüge mit Schwung auf den Tisch knallen.
Dieser Beitrag ist zuerst im Format Siemens Stories erschienen.
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