Quantencomputing für industrielle Softwareanwendungen

Von PD Dr. habil. Jeanette Miriam Lorenz

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Obwohl Quantencomputer aktuell noch nicht leistungsstark genug sind, um in der Industrie breite Anwendung zu finden, wird vorhergesagt, dass Quantencomputing in vielen Feldern innerhalb der nächsten 10 Jahre zu tiefgehenden Veränderungen führen wird.

Quantencomputer werden die Welt verändern.
Quantencomputer werden die Welt verändern.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Quantencomputer haben aufgrund ihrer quantenmechanischen Eigenschaften das Potential sowohl klassische Software-Algorithmen deutlich zu beschleunigen wie auch komplett neue Problemklassen zu erschließen. Beispiele für Anwendungen sind eine effizientere Simulation von Batterien im Energiesektor, die Lösung komplexer Optimierungsprobleme beispielsweise im Logistiksektor, sowie in der künstlichen Intelligenz.

Bereits Richard Feynman sagte 1982 voraus, dass für bestimmte Berechnungsaufgaben Quantencomputer benötigt werden: „because nature isn’t classical, dammit, and if you want to make a simulation of nature, you’d better make it quantum mechanical, and by golly it's a wonderful problem, because it doesn't look so easy". Doch auch heute noch ist die Beschleunigung von Berechnungsaufgaben durch Quantencomputer eine große Herausforderung.

Zum Bau von Quantencomputern und Erschaffung eines Software-Öko-Systems bis hin zum industriellen Einsatz hat die Bundesregierung erst kürzlich ein 2 Milliarden Euro schweres Förderprogramm aufgelegt. Eine Marktanalyse der Boston Consulting Group geht von einer Wertschöpfung durch das Quanten-computing in den nächsten drei bis fünf Jahren von 5 bis 10 Milliarden Dollar aus.

Was ist ein Quantencomputer?

Klassische Computer arbeiten mit Bits, die entweder Werte von 0 oder 1 annehmen können. Quantencomputer dagegen sind quantenmechanische Systeme und arbeiten mit Quantum Bits (Qubits). Hierbei ist ein Qubit-Zustand eine Überlagerung (Superposition) von zwei Zuständen gleichzeitig, die der 0 und der 1 entsprechen. Ein Qubit ist nur solange in der Überlagerung beider Zustände, bis der Wert aus dem Quantencomputer ausgelesen wird. Sobald dies geschieht, d.h. eine Messung des Zustandes stattfindet, kollabiert die Überlagerung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf entweder 0 oder 1. Dadurch ergibt sich aber, dass das Berechnungsergebnis eines Quantencomputers nicht deterministisch ist, sondern unterschiedliche Ergebnisse annehmen wird. Daher sind vielfache Wiederholungen einer Berechnung notwendig, bis das wahrscheinlichste Ergebnis bestimmt werden kann.

Erst durch das Zusammenspiel von mehreren Qubits ist ein Quantencomputer einem klassischen Computer überlegen. Durch die Überlagerungen der 0- und 1-Zustände ist es möglich mit n Qubits 2^n Zustände, z.B. Zahlen, gleichzeitig darzustellen. Durch diese Eigenschaft ist es möglich Berechnungen zu parallelisieren. Daneben sind es zwei weitere quantenmechanische Phänomene, die Berechnungen auf Quantencomputern deutlich effizienter gestalten: Durch das Verschränken von Zuständen können Qubits miteinander synchronisiert werden. Durch eine Interferenz von Qubits kann es zu einer Abschwächung oder Verstärkung von Zuständen kommen. Durch diese drei Eigenschaften wird erwartet, dass Quantencomputer bestimmte Berechnungen deutlich schneller ausführen können als klassische Computer.

Das können Quantencomputer

Jedoch können diese theoretischen Erwartungen nur realisiert werden, wenn ein Quantencomputer nahezu perfekt von seiner Umgebung abgeschirmt ist und über viele (d.h. über 100) sogenannte ‚logical‘ Qubits verfügt. Dies sind idealisierte Qubits, die ihren Zustand ohne aktive Modifikation nicht ändern und auf die beliebige viele Gates, d.h. Operationen, angewendet werden können. Ein physikalisches Qubit dagegen verliert seine Eigenschaften nach einer gewissen Zeit, der Dekohärenzzeit. Um einen ‚logical‘ Qubit zu realisieren sind mehrere Hunderte physikalische Qubits einschließlich Fehlerkorrektur notwendig. Die Entwicklung der Quantencomputing-Hardware strebt daher nach Systemen mit mehr Qubits und niedriger Fehleranfälligkeit.

Aktuell existierende Quantencomputer sind Noisy Intermediate Scale Quantum (NISQ) Geräte mit etwa 100 nicht fehlerkorrigierten Qubits. Eine Überlegenheit dieser NISQ-Geräte über klassischen Computern konnte bislang nicht für industriell bedeutsame Anwendungen gezeigt werden, sondern nur für akademische Beispiele. Es wird intensiv daran geforscht eine Quantum Supremacy zu demonstrieren.

Für den Bau von Quantencomputern werden unterschiedliche Technologien erforscht. Am weitesten entwickelt sind Geräte, die auf supraleitenden Qubits basieren. Diese Systeme müssen auf kryogenische Temperaturen gekühlt werden und weisen niedrige Dekohärenzzeiten auf. Quantencomputer basierend auf Supraleitung sind schneller als alternative Technologien und zudem in ihrer Herstellung schon sehr gereift, auch da Expertise aus der Mikroelektronikbranche übertragen werden kann.

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IBM hat kürzlich eine Roadmap veröffentlicht, wonach bereits dieses Jahr ein Prozessor mit 127 nicht fehlerkorrigierten Qubits vorgestellt werden soll. Bereits 2023 könnte ein Prozessor mit mehr als 1000 Qubits zur Verfügung stehen. Ionenfallen- und Neutralatom-Systeme arbeiten direkt mit Ionen bzw. neutralen Atomen, die natürlicherweise perfekte Qubits darstellen. Daher warten sie mit einer langen Dekohärenzzeit auf, sind aber langsamer als Quantencomputer basierend auf Supraleitung. Sie müssen aber nicht auf kryogenische Temperaturen gekühlt werden und lassen sich in ihrer Größe leichter skalieren.

All diese Quantencomputer sind aktuell noch räumlich sehr groß. Es gibt jedoch auch Forschungsarbeit in Richtung Desktop-Quantencomputern.

Welche Software gibt es für Quantencomputer?

Da NISQ-Geräte nur wenige physikalische fehleranfällige Qubits haben, können noch keine umfangreichen Algorithmen auf Quantencomputern gerechnet werden. Stattdessen sind Hybrid-Algorithmen vielversprechend, in denen sowohl Quantencomputer wie auch klassische Computer in einem Wechselspiel beteiligt sind. So werden nur die Teile auf dem Quantencomputer berechnet, die auch tatsächlich von seinem Einsatz profitieren. Es wurden eine breite Klasse an Hybrid-Algorithmen vorgeschlagen, von denen einige auch bereits jetzt für industrielle Probleme interessant sind. Hierzu sind vor allem drei Problemklassen zu nennen:

• Simulationsaufgaben wie sie z.B. im Zusammenhang mit der Simulation kleiner Moleküle in der Pharmaindustrie oder in der Batterieentwicklung vorkommen. Simulationen durch klassische Computer sind häufig nicht besonders genau. Verbesserungen durch Quantencomputer könnten z.B. in der Batterieentwicklung eine verbesserte Energiedichte, Gewicht oder auch Sicherheit bedeuten.

• Optimierungsprobleme, wie z.B. in der Logistik oder der Produktion. Anwendungsbeispiele sind die Verteilung von Ladestationen für E-Automobile oder Verkehrsoptimierung.

• Machine Learning, wo Quantencomputing z.B. Klassifikationsaufgaben verbessern könnte, z.B. in der medizinischen Bildgebung.

Neben der Verbesserung der Hardware ist weitere grundlegende Arbeit notwendig, um Quantencomputing für industrielle Problemstellungen flächendeckend einsetzen zu können. Es sind systematisch industrielle Use-Cases zu identifizieren die vom Einsatz von Quantencomputing wesentlich profitieren können. Hierbei sind Probleme mit hoher Berechnungskomplexität gesucht, deren klassische Lösungen mittelfristig an ihre Grenzen stoßen, und für die der Einsatz von Quantencomputern einen echten Mehrwert bietet. Allerdings sind NISQ-Geräte aufgrund der Kohärenzzeit keine ‚Big-Data‘-Maschinen. Auf praktischer Ebene müssen Quantencomputer dem Anwender leicht zugänglich sein, z.B. via einer Cloud-Lösung, und möglichst unter Verwendung seiner gewohnten API zur Verfügung stehen. Um diese Aspekte zu realisieren wurden verschiedene Projekte in Deutschland initiiert. Beispielsweise möchte das Munich Quantum Valley verschiedene Quantencomputer-Demonstratoren einschließlich kompletten Software-Stacks bis hin zur Anwendung bauen.

Quantencomputer zur Lösung von Problemen

Eine besonders relevante Klasse an Anwendungsproblemen, die vom Einsatz von Quantencomputern profitieren können, sind Optimierungsprobleme. Beispiele hierfür kommen in der Logistik, der Produktion und der Medikamentenentwicklung vor. Hierbei geht es häufig darum eine Aufgabe innerhalb kurzer Zeit in hoher Qualität zu erledigen, z.B. die Fertigung von Automobilen mittels Roboter, wobei viele einzelne Schritte und Bauteile berücksichtigt werden müssen. Diesen Optimierungsproblemen können zumeist Grundklassen von mathematischen Problemen zugeordnet werden. Das Roboter-Beispiel gehört zu den NP-harten ‚travelling salesman‘ Problemen. Diese können in eine sogenannten Quadratic Unconstrained Binary Optimization (QUBO) Darstellung gebracht werden. Für die oben diskutierten Gate-basierten Quantencomputer ist eine weitere Transformation in einen diskreten Quantum Approximate Optimization Algorithm (QAOA) [9] notwendig. Der QAOA ist als hybrider Algorithmus ein vielversprechender Kandidat für den Einsatz auf NISQ-Geräten. Seine Quantenüberlegenheit konnte theoretisch demonstriert werden. Seine Überlegenheit an praktischen Anwendungsbeispielen zu zeigen ist ein aktives Forschungsfeld.

Quantencomputer für maschinelles Lernen

Im Bereich des Machine Learning kann der Einsatz von Quantencomputern gegebenenfalls zu einem schneller konvergierenden Training unter Verwendung eines kleineren Trainingsdatensatzes führen. Auch in diesem Bereich sind Hybrid-Algorithmen am vielversprechendsten. Hierbei konfiguriert der klassische Computer die Parameter, und der Quantencomputer führt die Berechnungen aus. Besonders interessant sind Quantum Convolutional Neural Networks (QCNN), da diese nur wenig Qubits benötigen und relativ robust gegenüber Rauschen sind. Die Idee an einem QCNN ist es klassische Convolutional Layers durch Quantum Convolutional Layer zu ersetzen. Es konnte in Simulationen gezeigt werden, dass solche Architekturen zu einer schnelleren Trainingskonvergenz führen kann. Der Einsatz von QCNN ist z.B. in der medizinischen Bildgebung zur Früh-Identifikation von Tumoren interessant.

Das ist die Zukunft für Quantencomputer

Aktuelle Quantencomputer sind als NISQ-Geräte noch zu klein und fehleranfällig, um in industriellen Anwendungen einen Vorteil zu bringen. Die Hardware- und Software-Entwicklung schreitet jedoch schnell voran, so dass die Größe und Qualität der Geräte bereits in wenigen Jahren genügen könnten, um für industriell relevante Probleme einen Mehrwert zu bieten. Aufgrund der Geschwindigkeit der Entwicklung ist eine frühzeitige Beschäftigung mit dieser disruptiven Technologie notwendig. Hierzu werden aktuell zahlreiche Kompetenzzentren in Deutschland errichtet, die bei der Befähigung des Anwenders helfen können. Zugleich können die notwendigen Entwicklungen in der Forschung nur durch einen engen Austausch mit der Anwendung wirklich zielgerichtet durchgeführt werden.

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