Verzögerte Markteinführung Wie die Alterung von Wickelgütern den Entwicklungsprozess beeinflusst

Von Julian Endres, Bernd Dreßel und Michael Seefried *

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Wide-Bandgap Leistungshalbleiter belasten die Isolierung induktiver Bauelemente stark. Mit einem neuen Werkzeug lässt sich die elektrische Alterung schnell sichtbar machen und der Entwicklungsprozess beschleunigen.

Der HSI6-Prüfumrichter: wird als sechsphasige Ausführung in zwei Varianten angeboten: für DC-Spannungen bis 850 V und bis 1.200 V.
Der HSI6-Prüfumrichter: wird als sechsphasige Ausführung in zwei Varianten angeboten: für DC-Spannungen bis 850 V und bis 1.200 V.
(Bild: Tetranes)

Wickelgüter sind zentrale Komponenten in vielen elektronischen Produkten – vor allem in der Energieübertragung, der Elektromobilität und dem Transformatorenbau. Grundsätzlich steht der Sammelbegriff „Wickelgüter“ für induktive Bauelemente, die mittels aufgewickelter und elektrisch isolierter Drähte bei Stromfluss ein magnetisches Feld erzeugen. Durch den Einsatz neuartiger Wide-Bandgap-Leistungshalbleiter wird das Isolationssystem besonders hoch belastet, weshalb in der Praxis die Drahtisolation entweder zu stark ausgelegt oder die Einflüsse der elektrischen Alterung unterschätzt oder missachtet werden. Tetranes aus Bad Neustadt hat ein Werkzeug entwickelt, das die zukünftig stärker auftretenden Probleme mit der elektrischen Alterung in kürzester Zeit sichtbar macht und damit den Entwicklungsprozess beschleunigt.

Der Fehler steckt im Detail

In der Regel unterscheiden sich Wickelgüter hinsichtlich ihrer Applikationen, Einsatzzwecke, Eigenschaften und den entsprechenden Fertigungsverfahren. Handelt es sich um eine Drossel oder einen Transformator, so wird die Wicklung in der Regel auf einen Spulenkörper aufgebracht und anschließend auf ein Material mit nutzbringenden magnetischen Eigenschaften aufgesteckt. Bei elektrischen Maschinen hingegen gibt es verschiedene Methoden und Verfahren, um die Wicklungen in die Nuten eines Ständer-Blechpaketes einzuziehen. Ein neuartiges, innovatives Verfahren in diesem Bereich ist die Hairpin-Wicklung, die ein dichteres Packen der Drähte ermöglicht. Aufgrund der dichteren Bauweise kann bei gleichbleibenden Volumen mehr Kupfer in den Stator implementiert werden, was eine deutliche Leistungssteigerung zur Folge hat. Es zeigt sich also eine große Vielfalt und Innovationspotenzial im Bereich der Wickelgüter. Dennoch besteht eine substanzielle Gemeinsamkeit: Es sind stets nur wenige hundertstel Millimeter (lack-)isolierte Drähte im Spiel, die möglichst nahe beieinander, auf engem Raum konzentriert sind.

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WBG-Halbleiter stressen Isolationssysteme

Für die Auslegung dieser Isolationssysteme existieren zwar Normen (z. B. IEC 60034-18-41), die nach Mei- nung zahlreicher Experten jedoch nicht für den dauerhaften Betrieb mit neuartigen Wide-Bandgap- (WBG) Halbleitern anwendbar sind. Am Ende fehlt dem Entwickler eine Vorgabe zur korrekten Entwicklung und Validierung der Isolation. Aufgrund dessen werden Isoliersysteme entweder potenziell zu stark ausgelegt oder die Einflüsse der elektrischen Alterung unterschätzt oder gar missachtet. Für den Entwickler birgt diese „blinde“ Entscheidung das Risiko, hohe Fehlerkosten beim Auftreten eines Defekts noch während der Produktentwicklung oder später beim Kunden zu provozieren. Darüber hinaus verzögern anhaltende Iterationsschleifen den Time-to-Market des Produkts, wodurch der Wettbewerbsdruck zu Lasten des Entwicklers geht. Aufgrund des technologischen Fortschritts und der damit verbundenen kompakteren Bauweise ist es zwingend erforderlich, Isolationssysteme auf Basis ihrer elektrischen Alterung anwendungsspezifisch zu optimieren. Angesichts dessen hat Tetranes ein Werkzeug entwickelt, das die zukünftig stärker auftretenden Probleme mit der elektrischen Alterung in kürzester Zeit sichtbar macht.

Warum und wie altern Wickelgüter?

Grundsätzlich bestehen bei induktiven Bauteilen verschiedene Alterungsmechanismen. Dabei wird zwischen einer mechanischen, thermischen und elektrischen Alterung unterschieden. Bei der mechanischen Alterung können Beschädigungen der Isolationssysteme bei der Produktion durch den Zusammenbau, durch Vibration oder durch Magnetostriktion entstehen. Bei der thermischen Alterung können hohe Temperaturen zu einer Beschädigung des Isolationssystems führen. Bei der elektrischen Alterung hingegen bewirken steile Schaltflanken der Leistungstransistoren hohe Belastungen der elektrischen Isolationssysteme. Dabei bewirkt jede zeitliche Änderung der Spannungspotenziale eine Umladung der Isolationskapazität, die das Material stresst und auf Dauer zu Defekten am Isolationssystem führt. Je schneller die Änderung der Spannungspotenziale von statten geht, desto höher sind auch die darin enthaltenen Frequenzanteile, die wiederum auch kleinste Kapazitäten permanent umladen und belasten. Dieser Effekt tritt noch deutlicher bei den neuartigen WBG-Leistungstransistoren wie Siliziumkarbid (SiC) oder Galliumnitrid (GaN) auf. Denn mit diesen Halbleitern wird der Schaltvorgang noch schneller durchlaufen (schnelle Änderung der Spannungspotentiale du/dt), was einerseits äußerst erstrebenswert ist, da sich hierbei die Verluste in der Energiewandlung reduzieren. Andererseits bringt diese Technik auch neue Herausforderungen mit sich, z. B. der zuvor erwähnten höheren elektrischen Alterung der Isolationssysteme und neuen Problemstellungen in der elektromagnetischen Verträglichkeit.

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Evaluierung der gewählten Isolationsdicke

In der Praxis wird typischerweise ein empirischer Ansatz zur Evaluierung der gewählten Isolationsdicke verwendet. Hierbei werden Versuchsreihen aufgesetzt, um die Einflüsse der elektrischen Alterung zu quantifizieren und letztendlich Rückschlüsse sowie Zusammenhänge für zukünftige Entwicklungen ableiten zu können. Des Weiteren sind Aussagen über das Einhalten von Mindestanforderungen an der Isolation bezüglich der elektrischen Alterung möglich.

Die Problematik bei diesem empirischen Ansatz besteht darin, dass neben einer statistisch belastbaren Anzahl an Prüflingen auch die im Feld übliche Betriebsdauer in Echtzeit abgebildet werden muss. Beispielhaft sei hier die Lebensdauer von elektrischen Maschinen aus dem Antriebsstrang von Elektrofahrzeugen zu nennen. Diese werden mit einer Lebensdauer von etwa 5.000 Stunden angegeben. Für die Evaluierung der Isolationssysteme ergäbe sich hierbei ein zeitlicher Aufwand von etwa sieben Monaten, sofern dieser im Dauerbetrieb getestet wird. Im besten Fall können demnach erst nach mehr als einem halben Jahr Aussagen über die Erfüllbarkeit von Mindestanforderungen und mögliche Design-to-Cost-Maßnahmen abgeleitet werden.

Im Worst-Case-Szenario treten Defekte erst kurz vor der Beendigung der Testreihe auf, wodurch sich der Entwicklungsaufwand und vor allem der Wettbewerbsdruck, aufgrund einer verspäteten Time-to-Market, erhöhen. Berücksichtigt man, dass in anderen Anwendungsfeldern deutlich höhere Lebensdauern spezifiziert sind – wie bei Schwerlastfahrzeugen – so ergeben sich klare Wettbewerbsvorteile für Unternehmen mit einer zeitoptimierten Produktentwicklung.

Wie lässt sich dieses Problem lösen?

Einen derartigen Wettbewerbsvorteil ermöglicht Tetranes mit ihrem eigens entwickelten HSI6-Prüfumrichter. Mithilfe dieses Geräts verringert sich die Testlaufzeit um einen Faktor von 5 bis 20 (Raffungsfaktor) indem – vereinfacht formuliert – deutlich mehr Spannungstransienten – sprich Schalthandlungen – pro Zeiteinheit auf den Prüfling appliziert werden, als dies im eigentlichen Betrieb der Fall ist. Damit reduziert sich die im Beispiel erwähnte Testlaufzeit von 5.000 Stunden deutlich (250 bis 1.000 Stunden, also 10 bis 42 Tage im Dauertest), ohne dabei die tatsächliche Belastung für die Isolation zu verändern. Möglich macht dies eine High-End-Leistungselektronik, die auf Basis von SiC-Leistungstransistoren Schaltfrequenzen bis zu 200 kHz anstelle der in der Anwendung üblichen 8 bis 20 kHz erlauben.

Der HSI6-Prüfumrichter wird als sechsphasige Ausführung in zwei Varianten angeboten: für DC-Spannungen bis 850 V und bis 1.200 V. Dabei sind Ströme bis 500 Arms respektive 250 Arms möglich. Gesteuert wird das Gerät mit einem FPGA (Field Programmable Gate Array), wodurch die unterschiedlichsten Modulationsarten problemlos implementiert werden können. Eine Wasserkühlung führt die Verluste effizient ab und erlaubt so den dauerhaften Betrieb im Prüffeld. Gesteuert wird der Prüfumrichter über eine PC-Bedienoberfläche, die via CAN-Bus Daten mit dem Gerät austauscht. So ist auch eine individuelle Integration in einer eventuell vorhandenen Prüfautomatisierung möglich.

Entscheidend für den tatsächlich erreichbaren Raffungsfaktor ist, dass die Einschwingvorgänge nach jeder Schalthandlung auf ein vertretbares Minimum abgeklungen sein müssen, bevor die nächste Schalthandlung erfolgt. Parasitäre Effekte, z. B. die Länge der Anschlussleitungen, spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Um den HSI6-Prüfumrichter an die später im Feld eingesetzte Leistungselektronik anpassen zu können, ist es möglich die Schaltgeschwindigkeit (Steigung der Schaltflanken) über Einstellungen am Treiber zu variieren.

Elektrische Isolation schnell überprüfen

Letztlich ist es Tetranes gelungen, ein Werkzeug für Entwickler bereitzustellen, das es ermöglicht, die Eignung einer elektrischen Isolation in Bruchteilen der realen Betriebsdauer zu überprüfen und dabei gegebenenfalls auch weitere Raffungsfaktoren wie die Wicklungstemperatur oder DC-Überspannungen zu realisieren. Aufgrund der drastisch verkürzten Testlaufzeit können Isolationsmaterialien nicht nur evaluiert, sondern auch für zukünftige Produkte qualifiziert werden. Darüber hinaus ist aufgrund der Zeitersparnis erstmalig ein Design-to-Cost im Bereich des Isolationssystems in der Praxis anwendbar, das sich positiv auf die Effizienz und Nachhaltigkeit der entwickelten Produkte auswirkt.

Der HSI6-Prüfumrichter, die genannte FPGA-Steuerplattform und die verfügbaren Steueralgorithmen bilden die Basis für weitere hochperformante Prüfanwendungen von Tetranes, sei es im Back-to-Back-Betrieb von Umrichtern, virtuelle elektrische Maschinen oder als universeller drei- bis sechsphasiger Umrichter für Entwicklungs- und Prüfzwecke.

* Julian Endres und Bernd Dreßel sind Geschäftsführer bei der Tetranes GmbH in Bad Neustadt, Michael Seefried ist Produkt-Manager bei der Tetranes GmbH in Bad Neustadt.

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