Vorbild Mensch: Roboter sollen humanoider werden

Autor / Redakteur: Stefan Parsch, dpa / Michael Eckstein

Manche können turnen, andere reiten oder Liegestütze machen: Humanoide Roboter meistern viele Bewegungsabläufe – aber vom menschlichen Repertoire sind sie noch meilenweit entfernt. Forscher wollen das ändern – bis zu einem gewissen Punkt.

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Ähnlicher, aber bitte nicht gleich: Wenn Roboter zu humanoid sind und wo möglich eine eigene Persönlichkeit haben, empfinden Menschen dies als unheimlich und schaurig.
Ähnlicher, aber bitte nicht gleich: Wenn Roboter zu humanoid sind und wo möglich eine eigene Persönlichkeit haben, empfinden Menschen dies als unheimlich und schaurig.
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Atlas macht aus dem Stand einen Salto rückwärts und landet sicher auf den Füßen. Was für menschliche Turner eine Standardübung ist, bedeutet für einen humanoiden Roboter eine technische Höchstleistung. Der US-Hersteller Boston Dynamics nennt Atlas deshalb den „dynamischsten Humanoiden der Welt“. Doch so beeindruckend solche Übungen sind, meist betreffen sie nur einzelne Bewegungsabläufe – einen Purzelbaum würde Atlas wohl nicht schaffen. Menschliche Bewegungen stellen für Entwickler humanoider Roboter noch immer eine riesige Herausforderung dar. An Lösungen tüfteln auch deutsche Forscher.

Warum braucht man überhaupt menschenähnliche Roboter? Damit Menschen bei der Zusammenarbeit die Bewegungen der Maschine abschätzen können, sagt Tamim Asfour vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Wenn ich weiß, dass der Roboter sich wie ein Mensch bewegt, dann kann ich mich als Interaktionspartner besser darauf einstellen.“ Außerdem seien unsere Umgebungen und viele Gegenstände auf den menschlichen Körper abgestimmt.

Noch bereiten bereits grundlegende Bewegungen Probleme

Gerade das Zur-Hand-Gehen sieht der Karlsruher Ingenieur als wichtige künftige Aufgabe humanoider Roboter: im Haushalt, in der Pflege, bei der Produktion von Waren oder bei Wartungsarbeiten zu Land, im Meer oder im Weltall – etwa bei Außeneinsätzen an der Internationalen Raumstation (ISS). Aber auch für gefährliche Einsätze nach Katastrophen, für den Unterricht in Schulen und Universitäten oder sogar beim Sex seien menschenähnliche Eigenschaften wünschenswert.

Doch noch ist das Zukunftsmusik. Derzeit kämpfen Ingenieure mit grundlegenden Problemen, etwa beim Laufen auf zwei Beinen. Auf ebenem Boden klappt das schon sehr gut. Schwierig werde es aber bei Unebenheiten und Hindernissen, sagt Daniel Rixen von der Technischen Universität München: „Wir Menschen lernen als Kleinkinder, uns über unebenes Gelände zu bewegen. Für die Robotik ist das noch eine Herausforderung.“

Denn wenn ein Roboter auf Sand statt auf Stein trete, müsse er andere Ausgleichsbewegungen machen, um das Gleichgewicht zu halten. Mit seinem Team arbeitet Rixen deshalb an schnellen Regelungssystemen, die eine Reaktion in Echtzeit zulassen. Ziel: Ein Roboter soll sich sogar dann abfangen können, wenn er in ein Loch tritt.

Um Bewegungen menschenähnlicher zu machen, sind Forscher um Yuki Asano von der Universität Tokio von den üblichen Konstruktionen abgewichen: Ihr Humanoid Kengoro hat ein Aluminiumskelett, das weitgehend dem menschlichen Knochengerüst gleicht. Zudem hat der Roboter 53 muskelartige Vorrichtungen und seine Gelenke erreichen 174 Freiheitsgrade, also Bewegungsmöglichkeiten. Erheblich weniger zwar als beim Menschen, aber deutlich mehr als bei anderen humanoiden Robotern. Damit kann Kengoro, wie im Fachblatt „Science Robotics“ vorgestellt, Liegestützen und Bauchpressen machen oder sich dehnen.

Solche Bewegungsabläufe zu programmieren, ist noch immer schwierig. Deshalb schlägt ein anderer Japaner, Jun Morimoto vom Advanced Telecommunications Research Institute International in Kyoto, eine neue Lernmethode vor: Daten könnten über Bewegungen und Muskelaktivitäten am Menschen gemessen werden und als Basis für die Bewegungsberechnung beim Roboter dienen. Mit Hilfe neuronaler Netze oder anderer Methoden der künstlichen Intelligenz könnte der Roboter dann immer weitere Bewegungsabläufe lernen, schrieb Morimoto kürzlich in „Science Robotics“.

Größte Datenbank für menschliche Ganzkörperbewegungen

Auch der Karlsruher Forscher Asfour und sein Team beschäftigen sich mit Bewegungen. Dazu haben sie nach eigenen Angaben eine der weltweit größten Datenbanken für menschliche Ganzkörperbewegungen entwickelt, die „KIT Whole-Body Human Motion Database“. Sie umfasst das Zusammenwirken von Beinen und Armen bei Fortbewegung oder diversen Tätigkeiten.

Ebenfalls in „Science Robotics“ stellte das Team kürzlich eine Klassifizierung von Körperposen vor, die auf 388 Aufzeichnungen von Bewegungen beruht. Sie unterscheiden etwa zwischen Knien und Stehen, zwischen Berührungen mit der flachen Hand und Greifen, zwischen Sitzen, Anlehnen und Liegen - und das in verschiedenen Kombinationen. Dabei schränkten sie die Zahl der wichtigen Körperposen auf 46 ein. Die Einteilung solle ermöglichen, dass humanoide Roboter solche Ganzkörperbewegungen in Sekunden umsetzen, unterstreicht Asfour.

Künstlicher Gleichgewichtssinn im Kopf

Einfache Prinzipien für Bewegungen humanoider Roboter schlagen auch Egidio Falotico von der Scuola Superiore Sant’Anna in Pisa und seine Kollegen vor. Auch ihnen gilt der Mensch als Vorbild: So soll das Ausbalancieren über ein System im Kopf des Roboters erfolgen, das dem menschlichen Gleichgewichtssinn ähnelt. Zentrales Merkmal dieses Ansatzes ist die Position des Kopfes im Raum.

Dabei werden Lage und Ausrichtung über die Sensoren mit der Erwartung des Roboters abgeglichen. Diese Erwartung gilt den Forschern zufolge auch beim Menschen als Schlüsselelement der Bewegung: „Jedes Mal, wenn das Gehirn eine Handlung ausführt, konstruiert es Annahmen über den Zustand einer Gruppe von sensorischen Werten in der gesamten Bewegung“, schreiben sie in „Science Robotics“. Das solle in die Kalkulation des Roboters einfließen.

Wenn die Bewegungsabläufe erst einmal sitzen, können die Roboter den Menschen bei bestimmten Aufgaben sogar übertrumpfen: So könnte nach der Vorstellung des Münchner Forschers Rixen ein Roboter künftig etwa Beinprothesen testen. „Der Mensch ist oft nicht objektiv. Teilweise treten bei Patienten nach Jahren Rückenschmerzen auf, weil die Prothese nicht richtig sitzt“, sagt Rixen.

Zu menschenähnlich dann bitte doch nicht!

Doch menschenähnliche Bewegungen sind nur eines der Probleme, die gelöst werden müssen, wenn Roboter Menschen im Alltag oder im Beruf unterstützen sollen. Markus Appel erforscht an der Universität Würzburg, inwiefern humanoide Roboter von Menschen akzeptiert werden. Er untersucht mit seinem Team den Effekt „Uncanny Valley“, übersetzt „unheimliches Tal“.

Dieses seit den 1970er Jahren bekannte Phänomen besagt, dass Roboter umso sympathischer wirken, je menschenähnlicher sie sind - allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Eine Ähnlichkeit darüber hinaus empfinden viele Menschen als unheimlich oder schaurig. Dies ändert sich erst dann wieder, wenn ein Roboter nicht mehr von einem Menschen unterscheidbar ist.

Tatsächlich stellten die Forscher um Appel bei Tests mit Menschen fest: Ein Roboter wird schon allein bei der Beschreibung also umso unheimlicher empfunden, je menschenähnlicher seine Eigenschaften sind. Als einfaches Werkzeug wirkt ein Roboter weniger unheimlich, als wenn er planvoll und autonom handelt. Am unheimlichsten war den Befragten ein Roboter, der Gefühle und Bedürfnisse hatte. Wenn der Roboter im Bereich der Pflege eingesetzt werden sollte, wo Gefühle auch Fürsorglichkeit andeuten, war das Unbehagen allerdings weniger ausgeprägt.

Maschinen sollen von Menschen unterscheidbar bleiben

„Auf Grundlage der Studienergebnisse ist beispielsweise Herstellungsbetrieben zu raten, dass sie humanoide Service-Roboter in deren Beschreibung nicht zu sehr vermenschlichen, ihnen beispielsweise keine eigene Persönlichkeit zuschreiben“, schreiben Appel und Kollegen in der Broschüre „Zukünfte erforschen und gestalten“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Diese Empfehlung gelte auch für Krankenhäuser und Pflegeheime, wo menschliche Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft in besonderer Weise zum Beruf zählen.

Auch Asfour strebt keine allzu große Ähnlichkeit an: „Es muss so bleiben, dass wir Maschinen von Menschen unterscheiden können.“ So sehen auch die in Karlsruhe entwickelten ARMAR-Assistenzroboter, die autonom handeln können und lernfähig sind, echten Menschen nur entfernt ähnlich. Bei der Haushaltsversion der ARMAR-Roboter, der etwa Spülmaschinen ausräumen kann, fehlen sogar die Beine, sie sind durch einen fahrbaren Untersatz ersetzt. Da die Maschinen vor allem Handreichungen übernehmen sollen, sind die Hände besonders ausgeklügelt.

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