Universelle MCU-Add-on-Boards SiBrain: Verschiedene Mikrocontroller in der Entwicklung evaluieren

Autor Michael Eckstein

SiBrain ist ein neuer, universeller Standard für Add-on-Karten. Damit sollen sich Mikrocontroller schnell auf einem mit SiBrain-Sockeln ausgestatteten Entwicklungsboard installieren und tauschen lassen. Verliert die Vendor-Lock-Problematik ihren Schrecken? ELEKTRONIKPRAXIS sprach mit SiBrain-Mastermind Neb Matic, CEO von MikroE.

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Einer für alle: In der Entwicklungsphase problemlos auf einen anderen Mikrocontroller umsteigen – das soll mit dem universellen MCU-Add-on-Board-Standard SiBrain möglich sein.
Einer für alle: In der Entwicklungsphase problemlos auf einen anderen Mikrocontroller umsteigen – das soll mit dem universellen MCU-Add-on-Board-Standard SiBrain möglich sein.
(Bild: MikroElektronika)

„Können wir mal eben den Mikrocontroller wechseln?“ Diese Frage treibt Verantwortlichen in Entwicklungsabteilungen seit Generationen den Puls in die Höhe und Schweiß auf die Stirn. Nein, können wir nicht – es gibt nämlich keinen universellen Standard für Entwicklungssysteme. Weder was die Hardware noch die Software angeht.

Vielmehr sind Entwickler mehr oder weniger festgenagelt auf einen einmal ausgesuchten Mikrocontroller. Dieser bestimmt auch das genutzte Ökosystem, also das Gesamtpaket aus Hardware, Tools, Bibliotheken und Prozessen – und das ist nicht universell, herstellerübergreifend nutzbar. Das schränkt Entwickler ein – und macht einen Wechsel zu einem anderen Ökosystem sehr teuer. Ein klassischer Fall von „Vendor Lock“.

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Schneller Wechsel der MCU ist bislang kaum möglich – und teuer

Diese Situation ist durchaus im Sinne der MCU-Anbieter, aber alles andere als anwenderfreundlich. Wenn ein Hersteller bislang beispielsweise mit NXP-MCUs gearbeitet hat, wird er sich schwertun, auf eine Renesas-MCU zu wechseln. Selbst, wenn diese möglicherweise besser für sein Projekt geeignet ist.

Der für seinen MikroBus-Peripherieboard-Standard bekannte serbische Embedded-Spezialist MikroElektronika (MikroE) will diesen Missstand beenden. Dazu führt MikroE seinen mit MikroBus eingeführten Ansatz konsequent fort: Statt auf Peripheriemodule konzentriert sich das Unternehmen nun auf das Herz jeder Elektronikschaltung: den Mikrocontroller oder Prozessor. Dafür hat es den „Silicon Brain“-Standard für MCU-Add-on-Boards entwickelt, kurz SiBrain.

„SiBrain ermöglicht es Embedded-Designern, verschiedene MCUs in einem Prototypensystem auszuprobieren, ohne in teure Hardware investieren oder neue Tools erlernen zu müssen“, verspricht Nebojsa („Neb“) Matic, Gründer und CEO von MikroE. Aktuell sind bereits SiBrain-Karten mit MCUs großer Hersteller wie Microchip, STMicroelectronics, NXP und Texas Instruments erhältlich, weitere sollen in Kürze folgen: „Wir bringen jeden Tag ein neues Board auf den Markt“.

„Die Zeit ist reif für einen universellen MCU-Board-Standard“

„Nach unserer Erfahrung mit dem MicroBus-Standard wissen wir, dass die Zeit mehr als reif ist für ein MCU-Board, dass einem universellen Standard folgt“, sagt Matic. Zwar hätte MikroE es vorgezogen, wenn STM, NXP, Renesas usw. sich zusammengesetzt hätten und einen universellen MCU-Board-Standard entwickelt hätten, den man einfach hätten nutzen können. Doch das ist nie passiert. „Daher haben wir ihn letztlich selbst entwickelt.“

Bislang gebe es keinen universellen, einheitlichen Standard. Jeder Mikrocontroller habe einen spezifischen Satz von Betriebsanweisungen, neue Tools müssen erlernt werden, neue Boards und Lizenzen müssen gekauft werden und neue Prozesse müssen übernommen werden. „Der SiBrain-Karten- und Sockelstandard ist ein Game-Changer, der monatelang verschwendete Entwicklungszeit und -kosten spart und enorme Designflexibilität bietet“, ist Matic überzeugt.

Plug&Play-Konzept für Mikrocontroller – und mehr

SiBrain verwendet das gleiche Plug & Play-Konzept, das auch MikroEs Click-Board-Produktpalette zugrunde liegt. Abhängig vom MCU-Typ, seiner Pin-Anzahl und der Anzahl der benötigten externen Komponenten gibt es verschiedene SiBrain-Add-on-Boards.

Jedes Board ist eine in sich geschlossene Einheit, die es dem Entwicklungssystem ermöglicht, auf einer Logikebene zu arbeiten, ohne die spezifischen Anforderungen vieler verschiedener MCUs berücksichtigen zu müssen. Dies gibt den Designern freie Hand bei der Wahl der MCU, unabhängig von der Anzahl oder Kompatibilität ihrer Pins.

Vor allem aber ermöglicht es dieser Ansatz den Entwicklern, SiBrain-MCU-Karten im Verlauf der Entwicklungsphase einfach auszutauschen – ohne den Einsatz zusätzlicher Hardware.

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Bisherige MCU-Boards sind sehr eingeschränkt

Natürlich gibt es bereits Ansätze für MCU-Boards, etwa von NXP oder Microchip. Doch es gibt Nachteile: Diese MCU-Boards funktionieren nur für wenige Bausteine aus dem Portfolio eines Herstellers. Die Stecker haben oft zu wenig Pins für die vollständige Beschaltung aller Controllervarianten. Sie sind zudem häufig klobig – und somit auch die MCU-Boards. Darüber hinaus sind sie nicht für viele Austauschzyklen ausgelegt – ein Problem, da Kontaktschwächen zu schwer lokalisierbaren Fehlern führen können. Hinzu kommt, dass bei hohen Frequenzen die Signalintegrität leiden kann.

Daher setzt MikroE für SiBrain einen HF-tauglichen, 168-poligen Hochgeschwindigkeits-Mezzanine-Stecker ein. Dieser ist kompakt und flach, „sodass wir auch das MCU-Board klein halten können“, erläutert Matic. Jedes SiBrain-Board hat zwei solcher Stecker und hat eine standardisierte Sockelbelegung. Für kleine MCUs sind die Stecker möglicherweise überdimensioniert. „Doch so stellen wir sicher, dass der SiBrain-Standard auch die großen Brummer unterstützt, etwa ARM-Cortex-M7-basierte MCUs.“

SiBrain: Nicht nur für Mikrocontroller geeignet – RISC-V- und FPGA-Boards kommen

„Wir machen nicht bei einzelnen Controllern halt: Warum nicht BeagleBone- oder Raspberry-Pi- Einplatinencomputer im SiBrain-Format?“, fragt Matic. Daran arbeite sein Unternehmen bereits. Die Integration der IoT-Security-Plattform von Microsoft Azure Sphere sei eine weitere Möglichkeit. „In unserer Pipeline befinden sich zudem bereits SiBrain-Module mit RISC-V-Prozessoren und FPGA-Bausteinen“, verrät der MikroE-CEO.

Auch vor dem Hintergrund des Chipmangels – und des Fachkräftemangels – ist der SiBrain-Ansatz interessant. „Mit SiBrain ist es möglich, einfach etwa von STM32 zu PIC32, TIVA oder MSP432 zu wechseln – ohne die Beschaltung des Main-Entwicklungsboards anzurühren“, erklärt Matic. So ließen sich auch Personalengpässe abfedern – etwa, wenn ein neuer Entwickler zwar Experte für NXP-MCUs ist, das Projekt aber mit Renesas-Controllern aufgesetzt wurde.

Keine Hardware ohne Software

Der Clou: Laut Matic arbeiten die SiBrain-MCU-Boards mit der hauseigenen, ebenfalls universellen integrierten Entwicklungsumgebung (IDE) zusammen: Necto Studio. Dadurch könne man tatsächlich die Hardware tauschen und in der gewohnten Entwicklungsumgebung weiterarbeiten. „Derzeit unterstützt unsere Plattform fünf Compiler, letztlich werden es knapp 40 sein“, sagt der MikroE-Chef. Er versichert: Ein Code wird auf allen unterschiedlichen MCUs laufen, sogar Modell-spezifische Funktionen sollen sich adressieren lassen.

Nach eigenen Angaben baut MikroE das SiBrain- und MikroBus-Angebot beständig aus. „Aktuell bringen wir jeden Tag ein neues Produkt auf den Markt“, sagt Matic. Rund 250 Projekte befinden sich derzeit in der Entwicklung – „und wir haben noch zehntausende weitere Ideen“.

Wie stellt das Unternehmen bei einer derartigen Variantenvielfalt sicher, die Produkte auch liefern zu können? „Wir haben schon immer auf eine eigene Just-In-Time-Produktion gesetzt, was sich gerade wieder bewährt“, erläutert Matic. Man könne liefern, müsse nicht auf externe Auftragsfertiger warten. Hinzu komme, dass es viel günstiger sei, eine eigene, flexible Fertigung zu unterhalten, als sämtliche Varianten der Produkte in den benötigten Stückzahlen auf Lager zu halten. „Nach Bestelleingang liefern wir innerhalb von zwei Tagen aus“, versichert der MikroE-CEO.

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