Open-Source-Prozessorarchitektur Analyse: Kann sich RISC-V durchsetzen?
Anbieter zum Thema
Die quelloffene Chiparchitektur RISC-V punktet mit freiem Zugang und vermeintlich geringeren Kosten. Doch kann sie sich gegen die dominierenden etablierten ISAs x86 und ARM behaupten und signifikant Marktanteile erobern? Eine Analyse mit Ausblick.

Während die geplante Mega-Übernahme von Prozessor-IP-Entwickler ARM durch Nvidia stockt, nimmt das Geschäft mit der Open-Source-Befehlssatzarchitektur (ISA, Instruction Set Architecture) RISC-V weltweit an Fahrt auf. Das bestätigt eine aktuelle Analyse der Unternehmensberatung Deloitte Global. Demnach wird der Markt für RISC-V-Prozessorkerne nächstes Jahr das rund doppelte Volumen erreichen wie dieses Jahr – und sich 2023 gleich noch einmal verdoppeln. Hintergrund ist laut Deloitte, dass sich der mit RISC-V-Prozessorkernen adressierbare Markt ständig vergrößert. Diese Einschätzung fußen auf Analysen von Marktbeobachtern wie Semico Research und Omdia.
Den Untersuchungen zufolge werde der Umsatz aber langsamer wachsen, als man es von einer Open-Source-Lösung erwarten könnte. 2023 werde er voraussichtlich knapp 800 Millionen US-Dollar erreichen. Die Analysten prognostizieren, dass 2024 Umsätze mit der Open-Source-ISA die Marke von 1 Milliarde US-Dollar erreichen könnten. Ein Jahr später soll dann die Milliardengrenze fallen.
RISC-V hat viele Fürsprecher – aber auch mächtige Widersacher
Bislang waren Rechenkerne – die zum Beispiel in den zentralen Recheneinheiten (CPUs) in Computern, Rechenzentren und Smartphones stecken – meist proprietäres geistiges Eigentum von Unternehmen wie Intel, AMD oder ARM. Mit ihren CPUs und SoCs (System on Chips) beziehungsweise Prozessor-IPs beherrschen diese drei die Volumenmärkte weltweit.
RISC-V bietet Anwendern hingegen typische Open-Source-Vorteile: Der Einsatz der ISA ist grundsätzlich kostenlos möglich. Nicht zuletzt junge Unternehmen können so Lizenzgebühren sparen – zumindest prinzipiell. Da das Entwickeln eigener Kerne aber nicht trivial ist, werden die viele Firmen letztlich auf fertige Kerne von Entwicklern wie SiFive oder Andes Technology zurückgreifen – und dafür letztlich doch Lizenzgebühren zahlen. Trotzdem bleibt ein weiterer Vorteil: Als Open-Source unterliegt RISC-V keinen Exportbeschränkungen. Das macht es attraktiv für Unternehmen, insbesondere in China, die von diesen Beschränkungen betroffen sind oder befürchten, von ihnen betroffen zu werden.
Flexibilität und freier Zugang dank Open-Source
Hinzu kommt eine größere Flexibilität: RISC-V-Entwürfe lassen sich ändern und für spezifische Applikationen maßschneidern. Der Markterfolg beweise, dass die ISA mit einer Palette von Anwendungen kompatibel ist, schreibt Deloitte: „Auch wenn einige Zweifler weiterhin argumentieren, dass RISC-V in verschiedenen Ökosystemen Probleme bereiten könnte, nutzen Unternehmen RISC-V-Kerne für Bildsensoren für künstliche Intelligenz (KI), Sicherheitsmanagement, KI-Computing und Maschinensteuerungssysteme für 5G“.
Weitere Unternehmen würden planen, sie in verschiedenen Speicher-, Grafik- und Machine-Learning-Anwendungen einzusetzen. Sogar die Foundry-Services-Abteilung von Intel arbeitet mit dem RISC-V-Anbieter SiFive zusammen.
Noch nicht reif für alle Kunden und Anwendungen
Nach Ansicht der Deloitte-Berater ist RISC-V noch nicht für alle Märkte und Kunden geeignet. So habe die noch verhältnismäßig junge Technologie bislang nur wenige hochkarätige Design-Erfolge vorzuweisen. Ihr würden bislang einige wichtige Funktionen der ARM- oder x86-ISAs fehlen – genauso wie dasselbe Maß an Unterstützung für Entwickler.
Hinzu kommt, dass es praktisch keine Vorteile gibt, wenn ein RISC-V-Entwurf schließlich in Silizium realisiert werden soll. In der Foundry kommt dieselbe Fertigungstechnik zum Einsatz. Daher geht Deloitte davon aus, dass auch im Jahr 2025 die Umsätze mit x86- und ARM-basierten Chips um ein Vielfaches höher liegen werden als die mit RISC-V-basierten Designs.
RISC-V auf dem chinesischen Markt
Wer interessiert sich also für RISC-V? Die Antwort fällt laut den Analysten je nach Akteur unterschiedlich aus.
Besonders in China werde RISC-V umfangreich eingesetzt. Infolge der jüngsten US-Sanktionen hätten chinesische Hersteller den Zugang zu x86- oder ARM-ISAs bereits verloren – oder müssten befürchten, dass es dazu kommt. Selbst wenn sich die Handelspolitik entspannt, müssten chinesische Unternehmen damit rechnen, dass ihnen der „ISA-Teppich jederzeit unter den Füßen weggezogen werden kann“.
Mit RISC-V könnten sie diese Gefahr nicht nur umgehen, sondern dazu beitragen, dass China eines seiner ehrgeizigen Ziele erreicht – nämlich die Abhängigkeit von Chip-Importen zu verringern. Das Land versucht schon seit Jahren, bei der Herstellung von Chips autarker zu werden. Der Weg ist allerdings steinig, da China so einen immensen Bedarf an Halbleitern hat.
Ein Blick auf die Zusammensetzung der Mitglieder der RISC-V Foundation belegt die enorme Bedeutung der Open-Source-ISA für das Reich der Mitte: Rund ein Drittel der Mitglieder der Organisation stammen aus China. Zudem haben bereits mehrere große chinesische Unternehmen RISC-V-Chips angekündigt.
RISC-V für Startup-Markt
Nicht zuletzt für Startups ist RISC-V wichtig. Deloitte schätzt, dass in den drei Jahren von 2020 bis 2022 Risikokapitalgeber (Venture Capital, VC) etwa 22 Milliarden US-Dollar in Startup-Chipunternehmen aller Art investieren werden. Zum Vergleich: Das ist mehr als die 21 Milliarden US-Dollar, die sie in den gesamten 11 Jahren zwischen 2005 und 2016 investiert haben.
Für Startups mit wenig Kapital und monatlicher Burn-Rate können teure Lizenzgebühren, die sie für eine proprietäre Prozessor-IP ausgeben müssen, ein Hemmschuh sein – anders als etwa für finanzstarke Smartphone-Hersteller. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass laut der von Siemens-Mentor initiierten „Functional Verification“-Studie der Wilson Research Group von Ende 2020 nahezu ein Viertel der neuen ASIC- und FPGA-Implementierungen von Startups mindestens einen RISC-V-Prozessor enthalten.
RISC-V im Markt für Künstliche Intelligenz (KI)
Eine Reihe neuer KI-Chipdesigns setzt nach Untersuchungen von Deloitte offenbar RISC-V ein. KI könnte die Hintertür sein, über die die offene ISA Zugang zu Rechenzentren erhält. Bislang dominieren hier x86-Chips von Intel und mit einigem Abstand AMD, ARM-basierte Server sind bislang nur in wenigen Data Centers anzutreffen, Server-Prozessoren auf RISC-V-Basis spielen keine Rolle.
Das muss nicht so bleiben: Rechenzentren müssen immer mehr KI-Workloads verarbeiten. Als KI-Beschleuniger kommen derzeit meist GPUs von Nvidia zum Einsatz, doch auch spezialisierte Chips auf Basis von ARM sind immer häufiger anzutreffen. RISC-V-Befürworter wie James Prior, Senior Director of Product Marketing and Communications von IP-Entwickler SiFive sehen hier enormes Potenzial für die offene Architektur. Schon wird spekuliert, dass KI-Chips RISC-V den Durchbruch auf dem Markt für Rechenzentren früher als erwartet ermöglichen könnten.
RISC-V im Automobil- und IoT-Embedded-Markt
Der bediente adressierbare Markt (Served Addressable Market, SAM) für RISC-V im Automobilbereich lag 2020 bei ca. 4 Millionen Kernen. Bis Ende nächsten Jahres könnte er auf rund 150 Millionen Kerne und bis 2025 sogar auf 2,9 Milliarden Kerne wachsen. Das prognostizieren die Auguren von Semico Research in ihrem aktuellen, im Februar 2021 aktualisierten Bericht „RISC-V Market: Momentum Building“. Dieser konzentriert sich auf vier Halbleiterbauelemente, bei denen sich die Verwendung von RISC-V-Cores anbietet: Advanced Performance Multicore SoC, Value Multicore SoC, Basic SoCs und FPGAs.
Dass diese Zahlen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt etwa die Kooperation von Renesas Electronics und SiFive: Die beiden Unternehmen wollen „High-End-RISC-V-Lösungen für Automobilanwendungen“ entwickeln. Im Zuge der „strategischen Partnerschaft“ lizensiert SiFive sein RISC-V-Core-IP-Portfolio an Renesas.
Derselbe Hersteller kooperiert zudem mit dem taiwanesischen RISC-V-Spezialisten Andes Technology. Im Herbst 2020 hatte Renesas bekanntgegeben, die 32-Bit-RISC-V-CPU-Cores „AndesCore“ des IP-Entwicklers in seine neuen ASSPs (Application-Specific Standard Products) zu integrieren.
Generell kommt es bei Chips für den Automotive-Markt weniger auf Höchstleistung an denn auf Energieeffizienz und Sicherheit. Hier könnte RISC-V mit seiner Flexibilität punkten – etwa, da nur benötigte Funktionen implementiert werden müssen. Ein Argument, dass genauso im IoT-Markt greift.
Doch trotz der grundsätzlich positiven Entwicklung von RISC-V wird ARM den Embedded-Markt auch über die nächsten Jahre dominieren. Immerhin erwartet Marktforscher Omdia, dass der weltweite Marktumsatz für RISC-V-basierte IP, Software und Tools von 52,0 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 auf 1,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 steigen wird.
RISC-V im PC-Markt
Im PC-Markt wird die offenen Prozessorarchitektur in naher Zukunft keine Rolle spielen, da Energieeffizienz zumindest bei Desktop-PCs bislang kaum eine Rolle spielt. Daher ist es nach Ansicht unter anderem der Deloitte-Experten unwahrscheinlich, dass der PC-Markt in naher Zukunft in großem Stil auf RISC-V umgestellt wird.
Zwar gibt es eine chinesische Initiative zur Nutzung der Technologie für den Bau von Laptops, die verschiedene Open-Source-Browser unterstützen. Doch die angepeilten Stückzahlen sind verschwindend gering: Bis Ende 2022 sollen gerade einmal 2.000 Laptops mit RISC-V-CPUs auf den Markt kommen. Zum Vergleich: Im Corona-Jahr 2020 wurden weltweit rund 300 Millionen PCs verkauft.
Auch in Russland gibt es ähnliche Bestrebungen, wie das IT-Magazin Anandtech im Juli berichtet hat. Demnach hat das staatlich unterstützte, auf Technologie-Investitionen spezialisierte Konglomerat Rostec mit der Serverfirma Yadro und dem Chipdesigner Syntacore eine Vereinbarung zur Entwicklung von RISC-V-Prozessoren für Computer, Laptops und Server getroffen. Anvisierte Stückzahl hier: Ca. 60.000 verkaufte Geräte bis 2025.
Laut Semico Research hat RISC-V zumindest im Notebook-Markt eine reelle Chance, auch in größeren Stückzahlen zum Einsatz zu kommen: Bis zu 300 Millionen Prozessorkerne werden bis Ende 2022 voraussichtlich in diesem Segment verkauft. Und hier spielt Energieeffizienz und damit letztlich Akkulaufzeit durchaus eine wichtige Rolle.
Quintessenz
Im Moment haben die großen traditionellen Chiphersteller wenig Grund zur Sorge, dass RISC-V ihr Geschäft beeinträchtigen wird – da sind sich die Deloitte-Experten sicher. Die Kosten für die Lizenzierung einer ISA von ARM mögen zwar steigen, aber sie belaufen sich in der Regel auf „nur“ einige Millionen Dollar. In einem ähnlichen Zielkorridor dürften die Lizenzgebühren für Intels x86-ISA liegen.
Im Zusammenhang mit einem neuen Chipdesign für ein beliebtes Smartphone oder eine andere Anwendung, bei der die Chipvolumina in die Millionen gehen, dürfte das Verringern der ISA-Lizenzkosten durch den Einsatz von RISC-V allein keine wesentliche Rolle spielen. Die Herstellung eines Chips ist mit zahlreichen Kosten verbunden: Entwurf, Verifizierung, Validierung, Software, Herstellung, Neuentwicklung, wenn der erste Entwurf einen Fehler enthält, und so weiter. Alles in allem wird die Herstellung eines neuen Chips mit einem fortschrittlichen Design im Jahr 2022 wahrscheinlich mehr als 500 Millionen US-Dollar kosten.
Vor diesem Hintergrund wird es interessant sein zu sehen, ob sich RISC-V in einer Branche durchsetzen kann, die seit vielen Jahren von zwei großen, etablierten Unternehmen beherrscht wird: Prozessoren mit Intel- oder ARM-ISA hatten 2020 nahezu 100 Prozent Marktanteil.
Über die letzten Jahrzehnte hat es fast 50 verschiedene ISAs gegeben. Nur wenige davon gibt es noch. Und die verbliebenen wie MIPS, ARC oder Tensilica besetzen lediglich kleine Nischen. An dieser Konstellation wird sich in naher Zukunft wenig ändern. Immerhin besteht für die Anhänger von RISC-V die Hoffnung, dass es auch noch Platz für eine weitere ISA gibt, die erkennbar Marktanteile erobert.
:quality(80)/p7i.vogel.de/wcms/65/77/65772466755c83f36364f8515c3b9077/97121316.jpeg)
Open-Source-Prozessor-Architektur
Übernimmt Intel RISC-V-Spezialist SiFive?
(ID:47899073)