40 Jahre Motorola 68000 – Der Sprung ins 32-Bit-Zeitalter

Von Sebastian Gerstl Lesedauer: 6 min

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Im September 1979 kündigte Motorola die Verfügbarkeit des Motorola-68000-Prozessors an, der weltweit ersten 32-Bit-CPU. Mit dem Chip begann ein neues Zeitalter im Bereich Heimcomputer- und Embedded-Systemen – und dennoch kam er für eine bestimmte, große Revolution zu spät.

Pre-Release-Muster des Motorola 68000: Vor 40 Jahren erschien der erste 32-Bit-Prozessor auf dem Markt.
Pre-Release-Muster des Motorola 68000: Vor 40 Jahren erschien der erste 32-Bit-Prozessor auf dem Markt.
(Bild: XC68000.agr /ArnoldReinhold / CC BY-SA 3.0)

Mitte der 1970er Jahre war Motorola nach Texas Instruments der größte Halbleiterhersteller der Welt. Das Geschäft mit Transistoren und integrierten Schaltkreisen lief gut – zumindest weitgehend. Doch das Unternehmen erhielt um 1975 einige empfindliche Dämpfer.

Das lag nicht zuletzt am neu entstandenen Prozessoren-Geschäft. Erst 1971 hatte Intel mit dem 4004 den ersten Mikroprozessor der Welt vorgestellt. Innerhalb weniger Jahre herrschte eine Art Goldgräberstimmung auf dem Markt: Zahlreiche etablierte Unternehmen stellten ihre eigenen CPUs vor, während zeitgleich neue Halbleiterfirmen entstanden und einen Preiskampf um die neuen Produkte entfachten.

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Motorola in den 70ern: Groß bei Halbleitern, aber bei Prozessoren im Hintertreffen

Motorola hatte zwar selbst 1974 mit dem Motorola 6800 eine eigene 8-Bit-CPU präsentiert, doch schon bald fand sich das Unternehmen mit dem Baustein im Hintertreffen. Startup-Unternehmen wie Zilog oder MOS Technologies gelang es, leistungsstärkere oder schnellere 8-Bit-Prozessoren zu einem weit günstigeren Preis auf den Markt zu werfen. Der Listenpreis eines Motorola 6800 lag 1975 noch bei 175 US-$, während MOS Technologies im selben Jahr den 6502 für gerade einmal 25 US-$ Stückpreis einführte. Die bereits länger etablierte Halbleiterkonkurrenz befasste sich währenddessen schon mit der nächsten Chip-Generation.

1975 stellte National Semiconductor mit dem PACE den ersten 16-Bit-Mikroprozessor vor, im Jahr darauf zog Texas Instruments mit dem TMS9900 nach. Auch Intel arbeitete bereits mit Hochdruck an einem 16-Bit-Prozessor, der Befehlssatz-kompatibel zu seinen Vorgängern sein sollte. Das Resultat, der Intel 8086, erschien 1978 auf dem Markt. Mit dem 8088 erschien im darauf folgenden Jahr eine leicht abgespeckte Variante.

Der 6800 fand sich währenddessen nach mehreren drastischen Preissenkungen in diversen Peripheriegeräten wieder. Doch als 1977 die Heimcomputer-Revolution entbrannte, fand diese weitgehend ohne Motorola-Beteiligung statt – nur einige der ganz frühen, heute weitgehend unbekannten Bausatzrechner oder Terminalsysteme, wie der MITS Altair 680 oder dem Tektronix 4051, nutzen den 6800 als zentrale CPU. Immerhin fand sich der Chip noch einigen Embedded-Systemen, beispielsweise in frühen Flipperautomaten, wieder.

Ein herausragendes Merkmal des 6800 war, dass er mit einer einzelnen +5V Stromversorgung auskam, während die meisten Konkurrenten drei (-5V, +5V und +12V) benötigten. Dieses Design der einzelnen Stromversorgung sollte sich aber bald auch bei der Konkurrenz wiederfinden. Generell waren andere 8-Bit-Prozessortypen deutlich bekannter und weiter verbreitet – und Motorola verlor bereits den Anschluss an die 16-Bit-Generation. Dennoch unternahm das Unternehmen einen neuen Versuch, im Prozessorgeschäft kräftig mitzumischen.

Statt „nur“ 16 gleich 32-Bit: Der MC68000

Als Motorola im September 1979 den 68000 präsentierte, stellte der Prozessor alle anderen vergleichbaren Bausteine auf dem Markt in den Schatten. Der in einem 4-µm-HMOS-Prozess gefertigte Motorola 68000 verfügte auf einer Chipfläche von 44 mm2über 68.000 integrierte Transistoren – mehr als doppelt so viele, als der im Vorjahr erschienene Intel 8086 besaß (29.000). Der ursprüngliche Chip war zunächst mit Taktraten zu 4 MHz, 6 MHz oder 8 MHz verfügbar.

Die erste Charge an 68000-Prozessoren hatte allerdings einen Makel: Der Chip war nicht in der Lage, virtuellen Speicher zu unterstützen. Im Falle eines Seitenfehlers bei einem fehlerhaften externen Speicherzugriff oder einem Bus-Fehler konnte es daher passieren, dass die CPU „einfror“, ohne den aktuellen Status der Prozesse zur sichern. Bei einem Neustart gingen daraufhin alle Daten verloren. Der pin-kompatible Nachfolger, der MC68010, behob diesen Fehler und führte zudem die Eigenschaft zur Virtualisierung ein.

Streng genommen sind der Motorola 68000 und 68010 32-Bit-/16-Bit-Hybriden. Intern verfügte der Prozessor über eine 32-Bit-Architektur und einen entsprechenden Befehlssatz. Da allerdings entsprechende 32-Bit-Peripherie noch nicht vorhanden war und ein 32-Bit-breiter Datenbus den Chip für damalige Verhältnisse unverhältnismäßig teuer gemacht hätte, sprach die CPU extern nur einen 24-Bit-Adressraum an und verfügte nur über einen 16-Bit-Datenbus. Motorola betonte allerdings in der Bewerbung seines Chips von Anfang an, dass die 68k-Familie in Zukunft auch vollwertige 32-Bit-Bausteine umfassen würde, und dass der 68000 von Beginn an auf Aufwärtskompatibilität zu diesen kommenden Bausteinen ausgelegt war. Damit vermied Motorola das Vermarktungsproblem, in das Texas Instruments 1976 mit seinem ersten 16-Bit-Prozessor TMS9900 geraten war. Mit dem MC68020 erschienen ab 1984 dann auch vollwertige, mit den Vorgängern kompatible 32-Bit-Prozessoren in der Reihe.

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Der Muster-Prozessor kommt zu spät zur PC-Revolution

Anders als sein 8-Bit-Vorgänger, der 6800, fand der 68000 in der Heimcomputerwelt der 1980er Jahren gewaltigen Anklang: Sowohl im 1984 erschienenen Apple Macintosh als auch in den im folgenden Jahr erstmals erhältlichen Atari-ST- und Commodore-Amiga-Rechnern gibt eine CPU aus der Motorola-68000-Familie den Takt vor. Auch in Spielkonsolen wie dem Sega Mega Drive wurde der Prozessor populär und fast synonym für die 16-Bit-Computerära. Denn auch wenn der Motorola 68000 streng genommen ein 32-Bit-Chip war, nutzten die Endgeräte letztlich nur den 16-Bit-Daten- und Adressraum wirklich aus. Doch um ein Haar wäre die CPU zum Herzstück einer viel wichtigeren Computerreihe geworden: Des IBM PC!

Über die äußerst kurzfristige und hektische Entstehungsgeschichte des IBM PC 5150 ist bereits viel berichtet worden: IBM gab einem 12-köpfigen Entwicklerteam um Philipp Don Estridge weniger als ein Jahr Zeit, um einen marktreifen, konkurrenzfähigen Personal Computer zu entwickeln. Da der kurze Zeitraum keinen Platz für aufwändige Chip-Eigenentwicklungen erlaubte, griff die Mannschaft daher auf allgemein verfügbare „Off-the-Shelf“-Komponenten von Drittherstellern zurück, solange diese die gesetzten Spezifikationen erfüllten. Als CPU wählten Estridge & Co. letztendlich den Intel 8088 – unter anderem auch, weil die Entwickler mit dem Prozessor bereits aus dem IBM Datamaster vertraut waren. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Tatsächlich zog das IBM-Entwicklerteam im August 1980 drei Prozessoren in Betracht. Die Spezifikation verlangte nach einer verfügbaren leistungsfähigen 16-Bit-CPU. Walden C. Rhines, damals Manager der Abteilung für MOS-Halbleiter bei Texas Instruments, erinnert sich, dass den IBM-PC letztlich drei Prozessoren in die engere Auswahl kamen: Den seit 1976 verfügbaren TMS9900 (für den Rhines selbst den Pitch an IBM vorbereitete), den seit 1979 verfügbaren 8086-Ableger Intel 8088 – und den Motorola 68000. Streng genommen, meint Rhines, wäre die Wahl des 16-Bit-Prozessors ein ziemlich klarer Fall gewesen: „Der Motorola 68K, wie er später genannt wurde, war zweifellos der überragende Gewinner“, schreibt Rhines. „Er hatte den größten logischen Adressraum, was noch wichtiger war als die (bei IBM als Mindestvoraussetzung bestehende) 16-Bit interne Architektur. Er war zudem auch leicht erweiterbar zu einer vollwertigen 32-Bit-Architektur.“ Anders als seine Konkurrenten, die eine little-endian-Bytereihenfolge („kleinendig“) verwendeten, verfolgte der 68000 einen big-endian-Ansatz („großendig“), bei dem höchstwertige Byte zuerst, also an der kleinsten Speicheradresse, gespeichert wird. Das war insofern von Bedeutung, da alle anderen bis dato produzierten IBM-Großrechner ebenfalls big-endian-Systeme waren.

Letztendlich scheiterte es allerdings an Marktreife und Stückproduktion. Intel hatte bereits 1978 Stückmuster des 8088 ausgeliefert, die Massenproduktion lief bereits seit Ende 1979. Motorola hatte hingegen erst Ende 1979 mit der Auslieferung von Mustern begonnen, der offizielle Marktstart war Mitte 1980 gerade erst angelaufen – und der Chip, im Vergleich zum Intel 8088, war zu diesem Zeitpunkt nur in relativ geringen Mengen vorhanden. IBM wollte seinen PC allerdings so schnell und zuverlässig wie möglich ausliefern können, und gab daher dem schwächeren, aber bereits in großen Stückmengen verfügbaren Intel 8088 den Vorzug.

Eine feste Größe im Server- und Embedded-Markt

Die große PC-Revolution war verpasst – aber der Motorola 68000 führte beileibe kein Schattendasein. Abgesehen von den bereits erwähnten 16-Bit-Heimcomputern nutzen im Laufe der 1980er Jahre vor allem Hersteller von UNIX-basierten Workstations Prozessoren aus der 68000er-Familie. Spätere Bausteine der Familie verfügten über eine eigene Memory Management Unit (MMU), durch die sich die Prozessoren besonders gut für Multitasking-Anwendungen eigneten.

Diese besondere Eignung für Server und UNIX-Workstations sollte sich dann auch in der weiteren Evolution des 68000 niederschlagen: 1991 ging aus einer Allianz aus Motorola, Apple und IBM mit der PowerPC-Prozessorarchitektur die nächste Stufe des Motorola 68000 hervor. Der RISC-Prozessor (Reduced Instruction Set Computing) konnte sowohl im big-endian- als auch little-endian-modus betrieben werden und sollte fortan neben der Apple-Macintosh-Reihe und im Servermarkt auch bei zahlreichen Embedded-Anwendungen, von Spielkonsolen bis hin zur Automotive-Industrie, eingesetzt werden.

Die Motorola-68000-Reihe wird auch heute noch fortgesetzt: 2004 wurde Motorolas Prozessorgeschäft in Freescale ausgegründet. Dieses Unternehmen schloss sich schließlich 2015 in einem Merger mit dem niederländischen Halbleiterhersteller NXP zusammen. Dort wird die 68000-Reihe auch heute noch weiter gepflegt und produziert. Auch wenn die nun als Low-Cost-Embedded-Prozessor geführte Reihe nicht mehr für Neuentwicklungen empfohlen wird und sich langsam ihrem Produkt-Lebensende nähert, dauert die Wirkung des nun 40 Jahre alten Chips auch heute noch an.

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