Software-Entwicklung: Die Zukunft ist offen – so wie der Quellcode
Open-Source-Software steht für einen Paradigmenwandel in der Geschäftswelt: Weltweit erkennen Unternehmen zunehmend die Vorteile einer Zusammenarbeit über Geschäftsgrenzen hinweg. Wir haben mit Mike Milinkovich, Executive Director der Eclipse Foundation, über Vorteile und Risiken gesprochen.
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Wie kaum ein anderer Bereich unserer täglichen Arbeit symbolisiert das Konzept von Open-Source-Software das kollaborative Miteinander - auch im Geschäftskontext des 21. Jahrhunderts. Durch den offenen Quellcode können entsprechende Anwendungen von jedermann eingesehen, geändert und genutzt werden. Was für manchen auch heute noch gewöhnungsbedürftig klingen mag, bietet handfeste Vorteile wie geringere Entwicklungskosten. Da der Programmieraufwand in diesem Modell geteilt wird, können alle von der Arbeit aller profitieren.
Die Unabhängigkeit von einer einzigen Herstellerfirma und die Transparenz der Entwicklungshistorie, die es beispielsweise ermöglicht, Rückschlüsse auf die Softwarequalität zu ziehen, sind nur einige der weiteren Vorteile.
Doch wie steht es um mögliche Nachteile oder gar Risiken?
Wir haben Mike Milinkovich von der Eclipse Foundation hierzu ein paar Fragen gestellt. Vom Executive Director der gemeinnützigen Gesellschaft, die die Eclipse-Open-Source-Gemeinschaft und deren Projekte koordiniert, wollten wir unter anderem wissen, in wie fern der Open-Source-Ansatz deutschen Unternehmen als Digitalisierungsbeschleuniger unter die Arme greifen kann.
Herr Milinkovich, beim Thema Digitalisierung, so heißt es immer wieder, hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation, speziell im Hinblick auf unsere Industrieunternehmen?
Zunächst einmal ist das kein spezifisch deutsches Problem. Ich denke, ganz Europa muss seinen Fokus auf die Digitalisierung schärfen, da wir aus Wettbewerbssicht zwischen asiatischen und nordamerikanischen Unternehmen der Plattformwirtschaft „gefangen“ sind.
Zu viele europäische Unternehmen sind nicht bereit, diesen Weg einzuschlagen, angeblich wegen des wahrgenommenen Risikos für ihr bestehendes Geschäftsmodell. Dieser Systemfehler hat sich besonders während der aktuellen Pandemie offenbart. Es hat sich gezeigt, dass Firmen, die nicht in diesen Wandel investiert haben, bis zu 50 Prozent ihres Wertes auf dem heutigen Aktienmarkt verloren haben. Einige Unternehmen schließen sich mit anderen Firmen wie etwa Microsoft zusammen, um ihre eigenen Digitalisierungsbemühungen zu verstärken, aber in den meisten Fällen verläuft dabei die Umsatzaufteilung zugunsten der Digitalunternehmen.
Eine Krise wie die aktuelle Pandemie – bei allem Furchtbaren, das sie bislang mit sich gebracht hat – zeigt auch Möglichkeiten auf, wo die Digitalisierungsbemühungen verstärkt werden können. Es ist an der Zeit, dass europäische Unternehmen offene digitale Plattformen der Zukunft einrichten und voll und ganz an der offenen Innovationswirtschaft partizipieren.
Denken Sie, dass deutsche Firmen entschlossen genug sind, diese Transformation einzuläuten? Und in wie weit kann Open-Source-Software hier bei der Beschleunigung des Wandels unterstützen?
Die Unternehmen beginnen derzeit damit, allerdings bedarf dieser Prozess einer Beschleunigung, wenn wir im Wettbewerb bestehen wollen. Open-Source-Software kann dabei als Katalysator dienen. Wenn man sich die Unternehmen ansieht, die in der Plattformwirtschaft Erfolg haben, so wird eines deutlich: Sie alle haben das Open-Source-Modell übernommen. Google und Kubernetes sind hervorragende Beispiele hierfür. Kein einzelnes Unternehmen kann die Zukunft erfinden – es bedarf einer engagierten Zusammenarbeit, um diese Plattformen aufzubauen – und das Open-Source-Modell ist das Vehikel für eine solche Zusammenarbeit.
Mit Bosch, DLR, Fraunhofer FOKUS, Daimler, BMW, Deutsche Bahn, Siemens oder SAP sind zahlreiche große Organisationen bereits in Working Groups der Eclipse Foundation engagiert. Doch was ist mit unseren berühmten „Hidden Champions“ des Mittelstands, den KMUs?
Wir sind der Ansicht, dass zu viele dieser kleinen und mittleren Unternehmen anscheinend auf Innovationen ihrer System- und Software-Lieferanten und anderer Unternehmen der Industrie warten. Aber die Vermeidung von Veränderungen oder der Versuch, den Status quo aufrechtzuerhalten, wird garantiert scheitern.
Wenn man bedenkt, dass heutzutage typischerweise 90 Prozent der Innovationen im Softwarebereich entstehen, ermöglicht es Open-Source den KMU, effektiv zusammenzuarbeiten und schnell neue Lösungen zu entwickeln. Ich denke, eines der Hauptprobleme ist, dass sie in der Vergangenheit an Industriekonsortien, Normungsgremien und ihre Zulieferer gewöhnt waren, die sich zwar oft darauf konzentrieren, Standards zu definieren und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, aber nicht wirklich brauchbare praktische Lösungen zu entwickeln.
Gute Open-Source-Organisationen wie die Eclipse Foundation bieten eine Möglichkeit, echten und für die Praxis relevanten Code zu erstellen, und können heute aktiv zur Entwicklung neuer Lösungen genutzt werden. In der Open-Source-Welt sind Konsortien das Werkzeug, um die Zukunft aufzubauen, anstatt sie zu diskutieren.
Können Sie uns einen Einblick in die Praxis geben? An welchen Projekten arbeitet die Eclipse Foundation im Moment? Welches ist das Wichtigste oder Größte und wie sieht die Zielsetzung dahinter aus?
Wir haben mehr als 375 laufende Projekte. Am wichtigsten für die deutsche Industrie beziehungsweise die Implementierung von Industrie 4.0 ist sicherlich die Arbeitsgruppe Eclipse IoT.
Insbesondere Bosch und weitere Akteure beteiligen sich an kommerziell orientierten Projekten wie Eclipse Hono, Eclipse Ditto, Eclipse hawkBit, Eclipse Kura und Eclipse Kapua. Dabei entstehen Lösungen, die es ermöglichen, IoT-Technologien in die Fertigungsindustrie einzubringen. Eclipse Sparkplug für die industrielle Automatisierung ist ein weiteres Projekt, das weltweit eine bedeutende Dynamik entwickelt.
Im Fokus stehen allerdings nicht nur die großen Unternehmen. HiveMQ etwa ist ein großartiges Beispiel für ein kleines innovatives deutsches Unternehmen, das wichtige Beiträge für die Entwicklung ganz verschiedener Lösungen leistet.
Unsere Arbeitsgruppe Edge Native ist ein Beispiel für die Förderung von Innovationen im zunehmend wichtigen Bereich des Edge Computing, das für eine Vielzahl von Anwendungen – von industriellen Applikationen bis hin zur Telekommunikation – von Bedeutung ist.
Ein weiteres Projekt ist Eclipse BaSyx, das vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE unterstützt wird. Es ist ein hervorragendes Beispiel für eine Initiative mit dem Potenzial, die Ziele der Industrie 4.0 unter Beteiligung eines Ökosystems von Stakeholdern zu erreichen. BaSyx implementiert eine Referenzarchitektur für die Industrie 4.0. Unterstützt wird BaSyx im Rahmen des Forschungsprojekts BaSys 4.2, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie von weiteren europäischen Akteuren der Industrie gefördert wird.
Birgt das Konzept von Open-Source-Software nicht gerade auch im industriellen Einsatz ein gewisses Gefahrenpotenzial?
Tatsache ist, dass die moderne Welt auf Open-Source-Software basiert, sodass die Opportunitätskosten und die Wettbewerbsrisiken, die mit dem Verzicht auf Open-Source verbunden wären, die Risiken bei weitem überwiegen.
Das Internet, das World Wide Web und die Geschäftsmodelle der Plattformwirtschaft würden ohne Open-Source einfach nicht existieren. Kein Unternehmen ist vor dieser Wahrheit gefeit. Ich kann dies nicht genug betonen: Es geht um die Frage „wann“ – und nicht „ob“ – die verschiedenen Branchen den Übergang zu Open-Source-Software vollziehen. Die Gewinner werden diejenigen sein, denen dies zuerst gelingt.
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Erstveröffentlichung auf Industry of Things.
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