Für Elektronik essenzielles Metall Preise für Zinn explodieren

Von Michael Gasch

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Zinn gibt es genug auf der Welt. Trotzdem wird das Metall als Ware knapp, und die Preise dafür schießen in die Höhe. Warum das so ist, erklärt Marktforscher Michael Gasch.

Zinn ist ein wichtiges Grundmaterial in vielen Bereichen der Elektronik – etwa zum Verlöten elektronischer Bauelemente auf einer Platine.
Zinn ist ein wichtiges Grundmaterial in vielen Bereichen der Elektronik – etwa zum Verlöten elektronischer Bauelemente auf einer Platine.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Zinn gehört zu den Produkten, die „immer im Überfluss vorhanden sind“. Das stimmt in der Tat, wenn man sich die weltweit definierten Lagerstätten und die nachgewiesenen Reserven ansieht. Die Frage ist allerdings, ob es wirtschaftlich sinnvoll und rentabel ist, es zu gewinnen. Bestehende Minen haben einen Zinngehalt von bis zu 5 Prozent, die z. B. in Deutschland gefundenen Vorkommen haben jedoch nur etwa 0,3 Prozent. Daher zeigen die jüngsten Entwicklungen ein sehr viel kritischeres Bild, denn alles, was „immer“ vorhanden war, wurde durch Corona plötzlich knapp und dementsprechend wurde auch Zinn nicht nur teurer, sondern auch schwieriger zu beschaffen.

Während des letzten Jahrzehnts lag die Zinnproduktion ziemlich konstant zwischen 340.000 und 370.000 Tonnen pro Jahr, wovon etwa 30 Prozent sekundäres, also recyceltes Zinn waren. Auch bei den Endanwendungen gab es nur geringfügige Veränderungen.

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Der Zinnverbrauch der letzten 20 Jahre bewegte sich in einem statischen Korridor zwischen 320.000 t und 360.000 t, die Bandbreite der letzten fünf Jahre war noch enger. Die größte Menge (ca. 160.000 t bis 170.000 t) wird für Lote verbraucht, der Einsatz in Weißblech und Chemikalien rangiert deutlich dahinter (Bild 1).

Die stagnierende Nachfrage hatte den Effekt, dass nur wenig in die Exploration und Erschließung neuer Minen investiert wurde, denn das ist ein teurer Prozess. Abhängig von einer Reihe von Faktoren kann so eine Investition zwischen 500 Mio. und 1 Mrd. US-Dollar kosten. Der Zeitaufwand, bis eine Lagerstätte produktiv werden kann, kann bis zu 15 Jahren betragen.

40 Prozent der Zinnminenproduktion kommt von kleinen Kooperativen

Es kam hinzu, dass extreme Preisschwankungen und das im Verhältnis niedrige potenzielle Volumen die multinationalen Minenbetreiber von Investitionen abhielten. Daher stammen etwa 40 Prozent der weltweiten Zinnminenproduktion von kleinen Kooperativen und diese wiederum sind nicht so finanzstark, dass sie sich ungewisse Investitionen leisten können. Die wirtschaftliche Rentabilität ist daher der Kardinalpunkt.

Bild 2 zeigt die Entwicklung der LME-Zinnpreise. Die linke Grafik zeigt den durchschnittlichen Monats-Verlauf der Notierungen seit 2010, die rechte Grafik die Entwicklung der Tagesnotierungen seit Jahresbeginn.

Zwischen 2012 und Anfang 2020 bewegte sich der Zinnpreis meist innerhalb eines Korridors zwischen 15.000 und 25.000 US-Dollar/t. Das änderte sich mit COVID, als der Preiskorridor mit dem Ausbruch der Pandemie in China einbrach. Im März und April 2020 fielen alle Rohstoffnotierungen zunächst ins Bodenlose. Aber die Nachfrage erholte sich erstaunlich schnell – vor allem für Elektronikprodukte – und der frühere Preisrückgang kehrte sich ins Gegenteil, so auch für Zinn:

  • Nach dem Tiefststand im März 2020 ging es unaufhaltsam aufwärts und Anfang Mai 2021 durchbrach die Zinn-Notierung mit 34.462 USD/t das frühere Allzeithoch von 33.255 US-Dollar/t (11.4.2011). Für kurze Zeit trat bis Juli eine Periode der Beruhigung ein, doch dann setzte sich der Aufwärtstrend wieder fort und erreichte am 23.11.2021 eine Notierung von 40.200 US-Dollar/t.
  • Zweifelsohne sind die Preissteigerungen seit dem zweiten Quartal 2020 bis heute zu einem gewissen Teil spekulationsgetrieben, aber darüber hinaus tragen zusätzlich weitere Faktoren ihren Teil zur Entwicklung bei.
  • Bereits seit einigen Jahren gibt es ein Angebotsdefizit von mehreren tausend Tonnen pro Jahr, das (noch) entweder durch Lagerbestände an den Metallbörsen oder durch Recycling gedeckt wird. Etwa 30 Prozent des Metalls werden recycelt, doch dieser Anteil müsste in naher Zukunft deutlich erhöht werden, um den Bedarf zu decken.
  • Aber die Bestände an den Metallbörsen fielen im Jahr 2021 auf ein historisch niedriges Niveau. Zwar gab es immer wieder starke Schwankungen, aber während der durchschnittliche Lagerbestand in den Jahren 2002 bis 2014 zwischen 10.000 und 20.000 Tonnen lag, sank das Niveau 2021 unter 1.000 t – das entspricht gerade einem weltweiten Tagesverbrauch.
  • Zudem wurden einige Probleme durch politische oder technische Gründe verursacht: China, der größte Produzent von raffiniertem Zinn, übt Druck auf kleine und mittlere Hütten aus, indem es Umweltkontrollen durchführt, die zu technischen Unterbrechungen von mindestens einem vollen Monat führen. Hinzu kommt in diesem Jahr ein gravierender Mangel an elektrischer Energie, da reduzierte Regenfälle zu niedrigen Wasserständen führten (die zur Erzeugung von Wasserkraft benötigt werden).
  • Indonesien, der zweitgrößte Produzent, versucht, alle „inoffiziellen“ Kleinbetriebe zu schließen (was aber schon seit vielen Jahren versucht wird), um die staatlichen Produzenten zu stärken. Dies führte zu einem Rückgang der Produktion um 20 Prozent.
  • Myanmar, das seit etwa zehn Jahren auf Platz 3 der weltweiten Lieferanten aufgestiegen war, steht nun unter einer Militärdiktatur, was natürlich Einfluss auf die Lieferungen hat.
  • In Malaysia, dem viertgrößten Produzenten von raffiniertem Zinn, hat MSC, die größte Schmelzhütte des Landes, technische Probleme in ihren Öfen, die erst kurz vor Ende dieses Jahres behoben werden konnten. Außerdem hat die Regierung aufgrund steigender COVID-Fälle im Laufe des Jahres mehrfach landesweite Lockdowns verordnet.
  • Außerdem ist COVID in Ländern mit entsprechenden Rohstoffvorkommen ein Problem, weil in den Minen nicht genügend Arbeiter zur Verfügung stehen.

Worauf müssen wir uns einstellen und was ist zu erwarten?

Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge ist dabei einer der wichtigsten Treiber zusätzlicher Nachfrage. Bislang ist aber die Ladezeit von mehreren Stunden noch eine wesentliche Hürde für die breitere Akzeptanz von E-Fahrzeugen. Der derzeitige Industriestandard ermöglicht nur etwa 5 bis 6 km Fahrstrecke pro Lademinute. Außerdem ist der Einsatz von Lithium umstritten.

Deshalb wurde von StoreDot ein neues Konzept entwickelt, bei dem Lithium durch Silizium-Zinn ersetzt wird und die Zeit, die zum Aufladen einer Fahrzeugbatterie benötigt wird, sinkt deutlich. Damit werden 30 bis 40 km pro Lademinute möglich, was bei einer längeren Fahrt einen 10-Minuten-Stopp bedeutet. Diese Technologie soll 1.000 Zyklen ermöglichen und bis 2024 in die Massenproduktion gehen. Allerdings werden ab 2025/30 erhebliche Mengen an Zinn erforderlich.

Zudem hat der neue 5G-Standard große Auswirkungen, da die jetzt erforderliche Infrastruktur viermal dichter ist als für den früheren 4G-Standard und daher mehr Elektronik benötigt. IoT und Gebäudeautomatisierung werden weitere Anwendungen für Batterien und Elektronik bieten, was sich folglich ebenfalls in einer höheren Nachfrage niederschlägt.

Schließlich wird die aktuelle Situation durch zusätzliche Faktoren verschärft: dazu gehören eine nur durchschnittliche Förderung oder sogar ein Produktionsrückgang, niedrige und weiter sinkende Lagerbestände, eine höhere Nachfrage und extreme Preisausschläge. Aber selbst das ist leider nicht die Summe der schlechten Nachrichten: Man muss auf absehbare Zeit mit Verknappung von Containern und Verladekapazitäten in den Häfen rechnen, die ihrerseits weitere Kostensteigerungen verursachen.

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Für weitere Infos zu diesem Themenkomplex wenden Sie sich bitte an den Autor dieses Beitrages, dem Marktforscher Michael Gasch, via info@data4pcb.com.

* Michael Gasch, Data4PCB ist Leiterplatten-Experte und -Marktforscher und ein profunder Asienkenner.

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