Optimierung für Automatisierungsanwendungen: Kosten richtig einschätzen

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Automatisierte Produktionssysteme (aPS) sind oft mehrere Jahrzehnte in Betrieb und werden im Laufe der Zeit gewartet und modifiziert. Muss eine Komponente, sei es nun ein größeres Bauteil oder nur ein kleiner Sensor, getauscht werden, lässt sich der Aufwand für die Implementierung der Änderung nur schwer abschätzen. Zu dicht sind die Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen Mechanik, Elektronik und Software. Am Lehrstuhl AIS der TU München sucht man nun einen Weg, um diesen Aufwand besser abschätzen zu können.

Muss eine einzelne Komponente in einem lange Zeit laufenden automatisierten Produktionssystem (aPS) ausgetauscht werden, ist der entstehende Kostenaufwand nur schwer einschätzbar – oder? Teil 2 in unserer vierteiligen Reihe zur Software-Optimierung für automationstechnische Anlagen.
Muss eine einzelne Komponente in einem lange Zeit laufenden automatisierten Produktionssystem (aPS) ausgetauscht werden, ist der entstehende Kostenaufwand nur schwer einschätzbar – oder? Teil 2 in unserer vierteiligen Reihe zur Software-Optimierung für automationstechnische Anlagen.
(Bild: TU München)

Was passiert genau, wenn man in einer Anlage etwa einen Barcode-Scanner durch einen QR-Code-Scanner ersetzt? Im Prinzip wird dies nach dem Motto ‚Alter Sensor raus, neuer Sensor hinein‘ erledigt. Doch diese Idealvorstellung ist in der Praxis meist viel komplexer. Bereits die Bohrlöcher für eine Befestigung können nachhaltige Änderungen nach sich ziehen, ganz zu schweigen von der Verkabelung oder der Tatsache, dass neue Parameter in den Softwarecode eingefügt werden müssen.

Ob sich ein solcher Tausch wirklich lohnt, wird daher häufig über den Daumen abgeschätzt. Es fehlt schlicht der Überblick, wie sich eine Änderung auf die gesamte Anlagenumgebung auswirkt. Das hängt unter anderem auch vom Zustand des zu ändernden Programms ab. Handelt es sich um eine monolithische Software oder ist sie schon modular aufgebaut? Und wie hängen die einzelnen Komponenten aus der Elektronik, Mechanik und Software zusammen (vgl. Bild 1)?

Ein Grund für die schwierige Abschätzung ist, dass die Entwicklung eines automatisierten Produktionssystems (aPS) im Gegensatz zu Softwaresystemen in der IT eine mehrdimensionale Herausforderung darstellt: Es sind verschiedene Disziplinen (z. B. mechanisches, elektrisches/elektronisches und Software-Engineering) involviert, physische Wartungsaufgaben müssen von Fachpersonal ausgeführt werden und es müssten spezielle Anforderungen bezüglich Zuverlässigkeit oder branchenspezifische Regularien erfüllt werden.

Eine weitere Herausforderung dabei ist, dass unterschiedliche Abteilungen selbst bei kleinen Änderungen infolge der Abhängigkeiten involviert sind und die dafür nötigen Informationen sammeln und liefern müssen. Gerade bei Maschinen und Anlagen, die über Jahre in Betrieb sind, kann das Bereitstellen der gewünschten Informationen zu einer gewaltigen Aufgabe werden.

Einschätzung der Wartbarkeit: Komplexes Vereinfachen

Das Projekt ‚Domänenübergreifende Schätzung der Wartbarkeit von Informations- und Fertigungsautomatisierungssystemen‘ (DoMain) nimmt sich genau dieser Herausforderung an. Darin soll ein Weg gefunden werden, den Änderungsaufwand in einem System zu ermitteln, der durch eine Änderungsanforderung eingeleitet wird.

Dafür bedient sich das AIS des KAMP-Ansatzes (Karlsruhe Architectural Maintainability Prediction), der jedoch gerade im Hinblick auf automatisierte Produktionssysteme verbessert wurde. Das KAMP4aPS-Modell berechnet die Ausbreitungen einer ursprünglichen Änderungsanforderung im Modell der Systemstruktur. Das Ergebnis ist eine automatisch erstellte Aufgabenliste, worin alle potenziellen Aufgaben für die Implementierung der Änderungen erfasst werden.

Die Kombination dieser individuellen Informationen kann dann zur Aufwandsabschätzung verwendet werden, welche unter anderem den personellen Aufwand in Stunden enthält. Davon ausgehend lassen sich die erforderlichen Personalkosten, die durch die Änderung verursacht werden, abschätzen (siehe auch Bild 2).

Wesentliche Ergänzung zum bisherigen Modell ist die Einführung eines Metamodells. Aus diesem kann sich der Anwender die Informationen herausgreifen, die er benötigt, bzw. verschiedene Sichten wählen. Um alle relevanten Elemente des Systems zu berücksichtigen, müssen die Strukturen von elektrischen, mechanischen und Softwareteilen integriert werden. Das AIS hat daher auch den Aufwand für die Erstellung eines Metamodells unter die Lupe genommen.

BIld 2: Die ursprüngliche Änderung wird über das Modell übertragen. Basierend auf den kommentierten Informationen wird dann eine Liste von Aufgaben für eine Änderung erstellt. Die Aufgabeninformationen lassen sich mit den Personalinformationen integrieren, was eine Kostenabschätzung ermöglicht.
BIld 2: Die ursprüngliche Änderung wird über das Modell übertragen. Basierend auf den kommentierten Informationen wird dann eine Liste von Aufgaben für eine Änderung erstellt. Die Aufgabeninformationen lassen sich mit den Personalinformationen integrieren, was eine Kostenabschätzung ermöglicht.
(Bild: TU München)

Zusammenhänge schneller erkennen

Am AIS hat man viel Erfahrung mit der Entwicklung und dem Umgang von Meta-Modellen, vorwiegend für Unternehmen aus der Logistik. Insbesondere die verschiedenen Sichten auf ein System z.B. auf das Layout, die Sensoren und Aktoren oder auf die Codegenerierung, erfordern unterschiedliche, fokussierte Modelle, um genau die Informationen zu erhalten, die für die Aufgabe der jeweiligen Sicht benötigt werden. Dabei sind unterschiedliche Detaillierungsgrade möglich, abhängig von der Zielvorgabe.

Ähnlich soll nun bei der Abschätzung von Kosten für Änderungen vorgegangen werden. Der Grund, warum ein Metamodell hilfreich ist, ist die Integration von wartungsrelevanten Anmerkungen (sogenannte Nicht-strukturelle Elemente), die von technischen Informationen wie Änderungs- oder Validierungsaktivitäten bis hin zum Teileeinkauf reichen können. Genau solche Details sind es nämlich, die es einem Fachexperten erst ermöglichen, den späteren Wartungsaufwand abzuschätzen.

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Das Ziel ist, auf Basis dieser Metamodelle ein Verfahren zur Schätzung der Wartbarkeit zu entwickeln. Das Verfahren berücksichtigt die Zusammenhänge zwischen Änderungsprozessen und dem System sowie deren Auswirkungen, wobei alle Lebensphasen des Systems erfasst werden. Dabei entwickeln die Projektmitarbeiter Algorithmen und Regeln für die Weitergabe von Änderungen. Da auch nichtstrukturelle Elemente wie beispielsweise Anmerkungen berücksichtigt werden, führt dieser Ansatz zu einer umfassenderen Aufgabenliste im Vergleich zu bisherigen Ansätzen.

Praktische Erfahrungen aus dem Labor-Demonstrator

Wie das funktioniert, wurde anhand der Laboranlage „extended Pick and Place-Unit“ (xPPU) am Lehrstuhl AIS an der TU München untersucht. Dabei handelt es sich um einen Demonstrator, mit dem sich verschiedene gängige Aufgaben aus der Fertigungsindustrie, wie beispielsweise Stapeln und Fördern von Werkstücken, zeigen lassen. An diesem Demonstrator entwickelt und untersucht das AIS Codes und das Modellieren (unter zur Hilfenahme verschiedener Modelle) oder auch Simulationen für automatisierungstechnische Anwendungen. Die Anlage entspricht damit einer zwar kleinen aber durchaus realitätsnahen Industrieumgebung. Sie war damit prädestiniert, um die Auswirkungen von Änderungen zu untersuchen und ob die Verwendung eines Metamodells überhaupt funktioniert und wie hoch der Aufwand ist.

Als Fallbeispiel wurde ein Kran heraus gegriffen, dessen Arm nicht den vorgesehenen Radius erreichte. Als Lösung bot sich der Austausch von drei Grenztastern im Kran durch ein Potentiometer an. Nun wurde zunächst ein Metamodell entwickelt, dass zum einen Informationen über das spezifische aPS xPPU enthielt, zum anderen aber auch mit Kontextinformationen gefüttert wurde. Davon ausgehend konnte ermittelt werden, wie hoch der Aufwand wirklich wäre. Das charmante daran ist, dass dabei nicht nur der Aufwand für die Softwareänderung betrachtet wird, sondern auch andere Gewerke, also etwa die Verkabelung, mit einbezogen wurden. Als Ergebnis wurde eine Aufgabenliste ermittelt, die konkrete Handlungsanweisungen, wie „Ergänze ein Buskabel“, „Entferne Befestigung A“ oder „Aktualisiere die Stückgutliste“, enthält.

Ausblick zu Aufgaben- und Aufwandseinschätzung

Der Ansatz aus dem DoMain-Projekt zeigte, dass das erstellte Metamodell dazu dient, die Engineering-Aufgaben im Detail abzuleiten. In zukünftigen Arbeiten können dieser Methode reale Kosteninformationen hinzugefügt werden. Damit ist eine realistische Kostenabschätzung für eine Änderungsimplementierung möglich, die für eine betriebswirtschaftliche Planung verwendet werden kann.

Ebenfalls aus der Reihe „Optimierung von Automatisierungsanwendungen“ der TU München:

Dieser Beitrag ist erschienen im Sonderheft Embedded Systems Development und Internet of Things I der ELEKTRONIKPRAXIS (Download PDF)

* Prof. Dr.-Ing. Birgit Vogel-Heuser leitet als Ordinaria den Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme der Technischen Universität München.

* Suhyun Cha, M.Sc. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme der Technischen Universität München.

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