Supply Chain Management Mehr Resilienz für Halbleiter-Lieferketten
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Die Absicherung globaler Lieferketten erfordert organisatorische und technische Reformen. Entscheidend sind ein unternehmensweites Risikomanagement und Tools, die Liefer- und Produktionswege abbilden, überwachen und modellieren.

Halbleiter nehmen in der Welt von heute unbestritten eine Hauptrolle ein. Daher sind die seit zwei Jahren häufig auftretenden und sich fortsetzenden massiven Störungen in ihren Lieferketten nicht nur für die Halbleiterhersteller, sondern vor allem für ihre Kunden existenzbedrohend. Dies wirkt sich auch auf nachgelagerte Bereiche wie die Versorgungswirtschaft, die Automation und Digitalisierung oder die Weiterentwicklung und Verbreitung von 5G-Technologien aus.
Regierungen und Unternehmen müssen dementsprechend die Resilienz der Lieferketten mit zentraler Geschäfts- und Missionspriorität betrachten, um sie als Voraussetzung für ihre globale wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stabilisieren. Dies ist allerdings eine hochkomplexe Aufgabe. So erfordert beispielsweise die Herstellung eines einzigen Computerchips oft mehr als 1.000 Arbeitsschritte, in deren Verlauf internationale Grenzen mehr als 70-mal überschritten werden.
Transparenz und Bewusstsein auf allen Ebenen
Die letzten 18 Monate haben nicht nur die Lieferketten an deren Grenzen und teilweise darüber hinausgebracht, sondern auch klar gemacht, dass sog. „Black Swan Events“ mittlerweile keine mehr sind. Es stellt sich nämlich nicht mehr die Frage des „ob“, sondern nur mehr des „wann“ – völlig gleich, ob es sich dabei um Rohstoff- oder Transportkapazitätsmangel, eine Pandemie, sich ändernde politische Umstände und Prozesse oder einfach nur ein unglückliches Schiffsmanöver handelt. Um dem zu begegnen, bedarf es einer anderen Art zu denken.
Ein wesentlicher Faktor für Störungen in einer Supply Chain ist fehlende Transparenz vom Tier-1-Zulieferer bis zum Tier-3-Dienstleister. Dies macht es für Produzenten nahezu unmöglich, potenzielle Engpässe sowie strukturelle Probleme frühzeitig zu erkennen. Problematische Risiken betreffen oftmals die Zulieferer der unteren Stufen, und gerade das Identifizieren von Beziehungen in der erweiterten Lieferkette bis hin zur untersten Ebene hilft Unternehmen bei der Entscheidung, ob diese Produzenten zuverlässige oder unbeständige Geschäftspartner sind.
Resilienz als ganzheitliche Unternehmensaufgabe
Störungen in der Lieferkette betreffen nahezu alle Bereiche eines beispielhaften Unternehmens Y: von der Unternehmensleitung, Forschung & Entwicklung (F&E), über den Einkauf, die Fertigung bis hin zur Marketingabteilung müssen die handelnden Personen sich über die Vorgaben und Anforderungen an die Lieferkette im Klaren sein. Wenn die F&E eines Unternehmens mit den Prototypen von Produkt X befasst ist, benötigt es das gleiche Wissen um die einzelnen Komponenten und mögliche Alternativen, die verbaut werden, wie es der Einkauf und die Fertigung beim Endprodukt brauchen.
Auch das Marketing und der Vertrieb muss im Bilde sein bezüglich dieser Punkte, denn sie sind es, die in erster Linie mit den Kunden konfrontiert sein werden. Silos jedweder Art, egal ob in Betrieb oder Lieferkette, führen über kurz oder lang zu Verlusten. Dieses Bewusstsein geht vielen Unternehmen ab oder ist nur punktuell vorhanden, was zu innerbetrieblichen Störungen führen kann, sobald es in der Lieferkette hakt.
Um dieses Problem zu beheben, darf die Aufrechterhaltung der Lieferkette und die Reaktion darauf nicht nach unten delegiert werden, sondern muss mit höchster Priorität behandelt werden. Gleiches gilt für das Risikomanagement, das eine unternehmensweite Aufgabe sein sollte. Eine einzelne Person, ein Team oder Geschäftsbereich wie die Beschaffung, Informationssicherheit oder Compliance darf dieses Feld nicht alleine und nicht isoliert bearbeiten. Dieser ganzheitliche Ansatz schließt ein, dass die erforderlichen Finanzmittel bereitstehen, um Unterbrechungen geplant und schnell kompensieren zu können.
Technische Anforderungen der operativen Widerstandsfähigkeit
Dabei spielt es keine Rolle welcher Natur die Einflüsse auf die Lieferkette sind: Ob es der Gesetzgeber verlangt, dass bestimmte Bauteile aufgrund fragwürdiger Herstellungsumstände vor Ort nicht mehr zu verwenden sind oder ob die Lieferwege blockiert sind. Organisationen, die eine hohe Resilienz ihrer operativen Prozesse gewährleistet sehen wollen benötigen entsprechende Tools, um in der Lage zu sein, Produkte oder Dienstleistungen auch bei ungünstigen Markt- oder Lieferkettenbedingungen bereitzustellen:
- Lieferanten sofort und automatisch abbilden: Auf diese Weise lässt sich feststellen, wer sich in der Lieferkette befindet - möglicherweise bis zur n-ten Ebene – um zu entscheiden, ob diese Beziehungen hilfreich sind oder ein Risiko darstellen.
- Kontinuierliche Überwachung von Veränderungen im Risikoprofil, bevor der Betrieb beeinträchtigt wird: Dies ermöglicht die Bewertung von Zulieferern im Hinblick auf mehrere Risikofaktoren wie Finanzen, Cybersicherheit, Geopolitik, Vorschriften sowie Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG), die Verfolgung globaler Ereignisse, die sich auf den Betrieb von Zulieferern (und deren Zulieferern) auswirken könnten, und den Erhalt von Warnmeldungen über die wichtigsten Veränderungen.
- Modellierung erwarteter oder tatsächlicher Veränderungen in der erweiterten Lieferkette: Dies trägt dazu bei, Risiken zu verringern und die Unternehmensleistung zu verbessern.
Um erweiterte Lieferketten erfolgreich abzubilden, zu überwachen und zu modellieren, benötigen Unternehmen Zugang zu Daten über eine sich ständig verändernde Anzahl und Vielfalt globaler Geschäftseinheiten und Ereignisse. Neue automatisierte Tools und Plattformen, die mehrstufige und kontinuierliche Bestandserkennungsprozesse nutzen, zeigen diese Möglichkeit auf. Diese Tools nutzen eine Vielzahl von Technologien der künstlichen Intelligenz wie maschinelles Lernen, natürliche Sprachverarbeitung und Datenwissenschaft.
Das maschinelle Lernen erkennt beispielsweise Beziehungen aus öffentlichen, kommerziellen und privaten Datenquellen, die nicht offensichtlich sind, wie z. B. Beziehungen zwischen Investoren/Eigentümern, Vorstandsmitgliedern und Subunternehmern, um nur einige zu nennen. Auf diese Weise lassen sich solidere Risikoinformationen erstellen, die helfen, die Auswirkungen geografischer Ereignisse zu erkennen.
Die Verarbeitung natürlicher Sprache hingegen identifiziert und warnt Unternehmen sofort vor negativen Informationen über Zulieferer in öffentlichen Nachrichten und ermöglicht so eine proaktive Reaktion, bevor sich die Nachrichten negativ auf das gesamte Unternehmen auswirken. Data Science kann Szenarien für die Neupositionierung, das Reshoring und Ähnliches drei bis sechs Monate im Voraus modellieren.
Allerdings sollte eines stets bedacht werden: Technologie, egal wie effizient sie sich theoretisch einsetzen lässt, kann nur dann einen hohen Wirkungsgrad erreichen, wenn Organisationen bereit und in der Lage sind, ihre Ergebnisse zeitnah und konsequent zu übernehmen. Unabhängig davon, wie leistungsstark eine technologische Lösung bei der Verbesserung des Risikomanagements und der Gewinnung von Transparenz im gesamten Lieferketten-Ökosystem ist, bleibt ihr Nutzwert ohne einen ergänzenden organisatorischen Rahmen gering.
Fazit: Was ist zu tun?
Die Absicherung globaler Lieferketten erfordert sowohl organisatorische als auch technische Reformen. Auf organisatorischer Ebene muss das Risikomanagement eine unternehmensweite Aufgabe sein, die nicht in der Hand einer einzelnen Person oder eines Teams liegt. Auf technischer Ebene müssen Unternehmen Tools einsetzen, die Liefer- und Produktionswege kontinuierlich abbilden, überwachen und modellieren – und zwar bis auf die unterste Ebene.
Beleuchtet werden müssen dabei alle potenziellen Risiken finanzieller, betrieblicher, regulativer, geografischer und digitaler Art. Nur so lassen sich Auslöser von Störungen bei einzelnen Akteuren der Lieferkette frühzeitig erkennen. Auch eine übermäßige Abhängigkeit von verschiedenen Produkten und Teilen, die nur in einer spezifischen Region hergestellt werden, wird so erkennbar und lässt Raum, alternative Quellen zu identifizieren und in sie zu investieren.
* Thomas Tack ist Direktor für Nordeuropa bei Interos.
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