EMS-Branche Leserinterview: Flexibilität ist sein goldener Schlüssel
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Corona begleitet uns nun schon ein Jahr und das Ende ist noch nicht erreicht. Wir haben unsere Leser gefragt, wie es ihnen ergangen ist und was sie erwarten. Der Anfang dieser neuen Serie gehört einem erfahrenen EMS-Ingenieur aus Augsburg.

Peter Burges ist Dipl. Ing. Elektrotechnik (FH), 52 Jahre alt und hat zwei erwachsene Kinder. Beim EMS-Provider BMK in Augsburg ist er ziemlich genau seit 24 Jahren. Davon war Peter Burges mehr als 15 Jahre in der technischen Kundenbetreuung, im Vertrieb und im NPI-Prozesse tätig. Seit vier Jahren leite er ein Team mit inzwischen sieben Kolleginnen und Kollegen. „Wir sind für BMK eine Zentralstelle und bearbeiten Stücklisten, wählen Bauteile aus, unterstützen Einkaufsprozesse, PCN usw.“, erklärt Burges und fährt fort: „Wir suchen Alternativen, helfen bei Kostenoptimierungen, klären Umweltdaten, Stammdatenanlage und Stammdatenpflege – neudeutsch Component Management.“ Wenn Zeit bleibt, liest Peter Burges ELEKTRONIKPRAXIS und den Newsletter. Deshalb haben wir ihn zur Corona-Lage in seiner Welt befragt.
ELEKTRONIKPRAXIS: Wie hat Sie Corona betroffen? Wie ist die Stimmung im Unternehmen? Welche Probleme und Herausforderungen gab und gibt es?
Peter Burges: Rückblickend auf das Jahr 2020 ist BMK als EMS-Dienstleister noch vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Natürlich sind die Auswirkungen in allen Bereichen spürbar. Da die BMK mit der Vielzahl an Kunden aus unterschiedlichen Bereichen sehr breit aufgestellt ist, sind die BMK-Kunden auch unterschiedlich stark betroffen.
Gegenmaßnahmen waren intensive Vertriebstätigkeiten zur Gewinnung von Neukunden sowie eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Bestandskunden, damit diese z.B. Neuprojekte und innovative Ideen in Rekordzeit serienreif bekommen. Somit kann man schon mal festhalten, dass das Jahr 2020 der ohnehin schon hohen Dynamik im EMS-Bereich nochmal einen Anschub gegeben hat.
Vorlauf- oder Wartezeiten werden nicht mehr akzeptiert. Man hat oft das Gefühl, dass es bei manchen Projekten schon nicht mehr um Tage, sondern um Stunden geht. Da müssen alle Räder termingenau ineinandergreifen. Die Vorbereitung, die Beschaffung von Bauteilen und die Produktionsplanung. Das bedeutet für die einzelnen Kolleginnen und Kollegen höchste Flexibilität. Da kann das individuelle Arbeitspensum an manchen Tagen enorm sein.
Im Januar und Februar 2020 wurden die Berichte von der Verbreitung des Virus und den Gegenmaßnahmen der chinesischen Regierung mit Betriebsschließungen und Lockdown vor allem deswegen mit Sorge verfolgt, weil wir davon ausgegangen sind, dass es am weltweiten Bauteilmarkt zu einer massiven Beschaffungskrise kommen wird. Die tatsächlichen Auswirkungen, dass sich das Virus auch in Europa so schnell ausbreiten würde und auch hier alle Bereiche betreffen würde, hielten wir sowohl als Unternehmen, als auch ich persönlich zu Jahresbeginn für sehr unwahrscheinlich.
Es würde mit ein „bisschen Sand im Getriebe“, längeren Lieferzeiten und Beschaffungsengpässen für Bauteile, Rohleiterplatten und Halbzeuge usw. schon „wie gewohnt“ weitergehen. So dachten vermutlich unmittelbar zu Jahresanfang 2020 viele in der Branche. Der März 2020 belehrte uns eines Besseren.
Dann ging es schnell – fast von einen Tag auf den anderen: In der Woche vom 16. bis 20. März wurde für über 200 Büromitarbeiter bei BMK die Möglichkeit geschaffen, im Homeoffice zu arbeiten. Innerhalb von wenigen Tagen wurde MS-Teams als neue Kommunikationsplattform etabliert, und alle Präsenzmeetings und Besprechungen wurden schlagartig „virtuell“ durchgeführt.
Die Kollegen aus der IT haben hier Großartiges geleistet. Ich bin bis heute erstaunt, wie gut das funktioniert hat. Sowohl die tägliche Arbeit über „Remote“ als auch die Kommunikation waren bereits in den ersten Wochen relativ problemlos. Das war jedoch nur der Anfang: Fast an jedem Arbeitsplatz sowohl in der Fertigung als auch in Bürobereichen wurde nun an „Hygienemaßnahmen“ gearbeitet. Abstände vergrößern, Bodenmarkierungen, räumliche Trennungen.
Da war fast Pioniergeist zu spüren: Wir schaffen das und tun jetzt alles, um das Virus aus dem Unternehmen zu halten und um möglichst gut und schnell durch die Krise zu kommen. Die Mehrheit glaubte im frühen Sommer wahrscheinlich auch nicht, dass uns der Herbst 2020 schlussendlich eine massive zweite Viruswelle bescheren würde, die dazu führte, dass z.B. ein Großteil der Mitarbeiter wieder im Homeoffice arbeiten würde und die Besprechungskultur weiter ausschließlich virtuell stattfinden würde.
Welche persönlichen Auswirkungen sind für Sie entstanden?
Homeoffice ist sicher eine Revolution durch die Corona-Krise. Es hängt immer von den persönlichen Umständen ab. Aber insgesamt denke ich, kann das eine sehr große Chance für den einzelnen Mitarbeiter, für das Unternehmen und letztendlich sogar gesellschaftlich sein. Der Echt-Versuch ist aus meiner Sicht absolut positiv verlaufen. Ich kann aus dem Homeoffice alle Tätigkeiten „am Rechner“ exakt genauso gut und auch genauso schnell (was die Performance der Remoteverbindung usw. anbelangt) durchführen, wie im Büro bei BMK.
Kommt hinzu, dass ich für mich zuhause besser, ungestört und weniger abgelenkt arbeiten kann, als wenn ich bei BMK im Großraumbüro sitze. Natürlich muss auch im Homeoffice die Infrastruktur passen: Ideal ist ein eigenes Zimmer, Schreibtisch, ggf. zwei Monitore, ein guter Schreibtischstuhl usw. Schwierig wird es für Kollegen*innen, die nebenbei noch Kinder betreuen müssen. Aber auch hier kommt es wieder sehr auf die individuellen Verhältnisse an. Meine Kinder sind quasi erwachsen und das gemeinsame Mittagessen kann dann schon wieder eine Bereicherung des Familienlebens darstellen.
Der Faktor Zeit ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Ein Arbeitsweg ins Büro oder nach Hause schlägt im Endeffekt bei mir mit allem Drum und Dran einfach mit ca. 45 Minuten zu Buche. Macht am Tag ca. 1,5 Stunden, flexibler Zeitgewinn! Die reine Fahrtzeit ist da bei mir persönlich mit 25 bis 30 Minuten sogar noch vergleichsweise gering.
Gesellschaftlich liegen die Faktoren auch auf der Hand: Weniger Berufspendler - weniger Stau - weniger Umweltbelastung... Natürlich entstehen viele Möglichkeiten, z.B. Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, die man besser mit dem Job unter einen Hut bekommen kann, als wenn man ausschließlich im Büro in der Firma ist.
Corona hat uns gezeigt, dass flexibles Arbeiten nicht nur möglich, sondern auch nötig ist: Nur mit Flexibilität kann auf Krisen reagiert werden. Sowohl der einzelne Mitarbeiter, wie auch die Unternehmen oder sogar die Gesellschaft müssen flexibel bleiben, um sich anpassen zu können. Die Kunden fordern gerade von Dienstleistern höchste Flexibilität und ich persönlich glaube, dass die Elektronikbranche sowieso wegen z.B. immer neuer Innovationen und kürzeren Produktzyklen extreme Flexibilität bedingt. Da werden uns starre Arbeitszeitmodelle in der Zukunft eher hinderlich sein.
Wie sieht Ihre Vision für die nähere Zukunft aus?
Für viele Bereiche in der Entwicklung, und im Support-Engineering, in der Beschaffung usw. wird ein Wechsel aus Homeoffice und Bürotätigkeit in der Firma zum Standard werden. Dadurch muss der Mitarbeiter aber z.B. auch bereit sein, die Arbeitszeit zukünftig noch flexibler zu gestalten. Homeoffice ist geradezu prädestiniert, die ausgetretenen Pfade der 7-h- bis 16-h-Mentalität und das nur von Montag bis Freitagmittag in Frage zu stellen. Es geht nicht darum, rund um die Uhr arbeiten zu können und alle Regeln (z.B. Arbeitsschutz) zu brechen.
Aber was würde dagegen sprechen, wenn z.B. ein Kollege das dringende Projekt am Freitagabend und am Sonntagvormittag weiterbearbeitet, wenn er dafür z.B. am Dienstag einen kompletten Tag frei nehmen kann? Wie ich schon weiter beschrieben habe, fordern letztendlich die Kunden unserer Branche genau diese Flexibilität. Durch Corona nach meinem Empfinden sogar stärker als bisher.
Wie wollen Sie persönlich 2021 durchstarten?
Aus den beschriebenen Ansichten zur „Flexibilität“ erhoffe ich mir für 2021 „mehr Zeit für mich“. Berufliche Dinge sollen nicht immer im Vordergrund stehen. Ich werde im nächsten Monat 53 und oft beschleicht mich der Gedanke, im Job doch einfach mal den Jüngeren den Vortritt zu lassen. Die Welt können wir – frei nach dem Lied von Tim Bendzko – „nur gemeinsam retten“. Die Krise zeigt uns deutlich, wie wichtig die eigene Gesundheit, Fitness und unser soziales Umfeld ist.
Es ist schwer, in den Zeiten der Kontaktbeschränkungen Familie, Freunde und Bekannte nicht – wie wir das gewohnt waren – zu treffen, mit ihnen zu feiern oder gemeinsamen Hobbys nach zu gehen. Ich bin ambitionierter Hobbymusiker und spiele in zwei Bands. Seit März 2020 gab es keine gemeinsamen Proben mehr. Natürlich auch keine Auftritte. Das kann leider auch durch „virtuelle Treffen“ oder das Aufnehmen von Liedern (dezentral) in den Homestudios nicht ersetzt werden.
Die Bands fehlen mir persönlich am meisten. Dagegen sind z.B. die geschlossenen Lokale, das fehlende Kulturleben, das geschlossene Fitnessstudio usw. für mich persönlich noch verkraftbar. So hoffe ich, dass wir im Sommer wieder ein Stück Normalität von 2019 erreichen: D. h. für mich, dass es wieder gemeinsame Band-Proben und auch den ein oder andern Auftritt geben kann.
Natürlich wünsche ich mir in allen Bereichen die Normalität zurück. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Über die Geschwindigkeit mache ich mir allerdings keine Illusionen mehr. Vermutlich wird das ganze Jahr 2021 noch von Corona bestimmt. Meine Hoffnung ist aber, dass es mit den Impfungen gelingt, dass die vierte oder fünfte Welle im Herbst 2021 so moderat ausfällt, dass weder ein Lockdown noch einschneidende Maßnahmen erforderlich sind. Mehr erwarte ich gar nicht: Gesund bleiben und ein ganz normales Leben, mit den kleinen Highlights, die uns bis 2019 so selbstverständlich erschienen. Damit wäre ich schon voll zufrieden und dankbar!
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