Wirtschaftliche Teststrategien Kombination von JTAG/Boundary-Scan und Flying Probe ermöglicht hohe Testabdeckung

Autor / Redakteur: Boris Opfer, Mario Berger und Stefan Meißner* / Dipl.-Ing. (FH) Hendrik Härter

Flying Probe oder JTAG/Boundary-Scan-Test: ein einzelnes Testverfahren kann nie allen Ansprüchen gerecht werden. Eine Synthese aus den beiden Verfahren hat sich nicht nur in der Praxis bewährt, sondern erkennt frühzeitig und umfassend Fehler im Fertigungsprozeß.

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Flying-Probe-Test oder JTAG/Boundary-Scan-Verfahren: ein einzelnes Testverfahren kann nie allen Ansprüchen gerecht werden. Eine Synthese aus den beiden Verfahren hat sich nicht nur in der Praxis bewährt, sondern es lassen sich frühzeitig und umfassend Fehler im Fertigungsprozeß erkennen. Auch die Prototypen und Serienfertigung profitiert durch das Isolieren von Fehlerquellen.Neue Technologien stellen hohe Ansprüche an den Fertigungsprozess. Sie beherrschen und die Qualität absichern, sind wichtige Ziele in der heutigen Elektronikproduktion. Kern dieser Bemühungen ist die richtige Teststrategie. Der folgende Artikel gibt einen Überblick, der im Prozess der Flachbaugruppenfertigung ansetzt. Er analysiert mögliche Fehler und zeigt, wie sich Test- und Fehlerabdeckung optimieren lassen.

Fehler im Fertigungsprozess rechtzeitig erkennen

Die Herstellung von elektronischen Baugruppen ist in der VDI/VDE Richtlinie 3715 dargestellt. Die Richtlinie beschreibt die optimale Kontrolle und zeigt Vorschläge für eine bessere Qualität und an welcher Stelle des Fertigungsprozesses (Lotpastendruck, Bestückung, Reflowlötprozess) ein Produkt verbessert werden kann. Interessant ist das Prüfen bestückter und gelöteter Baugruppen. Es gibt hierfür eine Vielzahl von Testverfahren auf dem Markt. Jedes einzelne hat spezielle Vor- und Nachteile.

Welche Fehler können auf einer fertigen Flachbaugruppe auftreten? Das Ergebnis verschiedener Analysen und Studien ist im Diagramm dargestellt. Auffallend sind die drei großen Fehlerblöcke: Viele verwendete Bauteile sind bereits bei der Anlieferung defekt, Bauteile fehlen nach dem Bestücken und/oder haben unzureichende Lötstellen. Es ist ersichtlich, dass ein Prüfverfahren nicht ausreichen würde, alle Fehler zu erkennen. Die Tabelle 2 stellt die bekanntesten Testverfahren nach dem zugrunde liegenden Prinzip vor.

Optisches oder elektrisches Testen hängt davon ab, wie der Fehler aufgefunden werden soll. So lassen sich mit einem optischen Verfahren beispalle sichtbaren Fehler aufdecken. Das können fehlende, falsche, verpolte oder verdrehte Bauteile sein. Besonders interessant ist die qualitative Beurteilung von Lötstellen. Die Grenzen des optischen Testprinzips liegen im elektrischen Bereich. Über die korrekte Funktion eines Bauteils lässt sich keine Aussage treffen. Auch ist es nicht möglich, unter ein Bauteil zu sehen.

Mit dem elektrischen Test lässt sich das richtige Verhalten eines Bauelements nachweisen. Ist der Widerstand korrekt oder funktionieren die Ausgangstreiber des ICs richtig. Ein freier Zugang zur Baugruppe oder zum einzelnen Pin eines Bauteils ist nicht bei jedem elektrischen Testverfahren erforderlich. Eine qualitative Beurteilung einer Lötstelle, wie auch das Detektieren eines mechanischen Defektes ist mit diesem Verfahren nicht möglich.

Vergleich Flying-Probe-Test und JTAG/Boundary-Scan-Verfahren

Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf zwei der derzeit wichtigsten Testtechnologien: dem Flying-Probe-Test und dem JTAG/Boundary-Scan-Verfahren. Der Flying-Probe-Test (FPT) ist aus dem In-Circuit-Test hervorgegangen. Er funktioniert vom Prinzip her wie der ICT. Allerdings sind die Kontaktnadeln nicht starr in einem Nadelbettadapter eingebunden, sondern verfahrbar. Die Nadeln eines Flying-Probers (Bild 2) fahren die Testpunkte der Flachbaugruppe nacheinander an. Die Prüfvektoren werden nicht parallel wie beim ICT, sondern sequentiell abgearbeitet. Aufgrund der begrenzten Anzahl der Nadeln müssen die Testpunkte entsprechend oft angefahren werden, um alle Testvektoren abzugleichen.

Vorteile:

  • hohe Flexibilität, da kein Adapter benötigt wird,
  • Lagetoleranzen des Prüflings sind mit Software leicht auszugleichen und
  • geringer Aufwand für Testprogrammerstellung bei einfachen Bauteilen (Widerstände, Kondensatoren)

Nachteile:

  • langsamer als Adapter, aufgrund der sequentiellen Abarbeitung der Prüfvektoren,
  • bedingt durch die kompakten Bauweisen ist das Setzen von Testpunkten immer schwieriger und
  • großer Aufwand für Testprogrammerstellung bei sehr komplexen Bauteilen (Prozessoren, PLDs).

JTAG/Boundary-Scan ist ein neuartiges elektrisches Testverfahren. Das Stimulieren und Messen der einzelnen Leiterbahnen einer Flachbaugruppe erfolgt nicht mehr über vorher festgelegte Testpunkte und der daran angeschlossenen Messtechnik, sondern über die im Bauteil integrierten Boundary-Scan-Zellen. Der Aufbau eines solchen Bauteils ist in Bild 3 dargestellt. Die notwendige Informationsübertragung zwischen dem Testsystem und den Boundary-Scan-Bauteilen erfolgt über einen vierdrahtigen Testbus. Er muss im Layout der Leiterplatte berücksichtigt werden. Ein Testsystem muss somit auch nur über einen Anschluss für diesen Testbus verfügen.

Bild 3 zeigt, dass sich die Boundary-Scan-Zellen zwischen dem Pin des Bauteils und seiner inneren Logik befinden. Die Logik spielt für den Test der Leiterbahnen einer Flachbaugruppe keine Rolle. Es ist egal, ob es sich um einen Prozessor oder ein PLD handelt. Da keine Testpunkte (Bild 4) benötigt werden, sind die ICT- wie auch FPT-Probleme nicht gegeben.

Vorteile:

  • keine Testpunkte benötigt,
  • kein prüflingsspezifischer Adapter notwendig,
  • geringer Aufwand für Testprogrammerstellung auch bei komplexen Bauteilen (es werden keine Funktionsbeschreibungen mehr benötigt),
  • schnelles Testverfahren,
  • sehr kompaktes Testsystem (im einfachsten Falle ein PC oder Laptop mit Einsteckkarte) und
  • Unterstützung während des kompletten Produktlebenszyklus.

Nachteile:

  • begrenzte Verfügbarkeit für analoge Bauteile und
  • JTAG-Architektur der Bauelemente ist Voraussetzung.

Wie lassen sich die Nachteile neutralisieren? Die Vorteile des einen Testverfahrens sind gleichzeitig die Nachteile an anderer Stelle. Eine Kombination der beiden Testverfahren ist eine logische Schlussfolgerung.

Flexible Kombination ohne produktspezifischen Adapter

Die langsame Abarbeitungsgeschwindigkeit des Flying-Probe-Tests kann durch die Kombination mit Boundary-Scan weitestgehend verringert werden. Das Gros der Testarbeiten kann der Boundary-Scan übernehmen. Die Aufgaben für den Flying-Probe reduzieren sich somit auf ein Minimum, wodurch dessen Arbeitsweise nicht wesentlich ins Gewicht fällt.

Als vorteilhaft in Bezug auf die Fehlerabdeckung von Boundary-Scan ist die Tatsache, dass die Nadeln des Flying-Probers als virtuelle Boundary-Scan-Zellen fungieren können. Durch die mechanische Positioniergenauigkeit von ± 35 µm pro Kontaktprobe über den gesamten Arbeitsbereich (540 mm × 460 mm) können auch Bereiche elektrisch kontaktiert und genutzt werden, die ohne Steckerkontakte nicht abgegriffen werden können. Somit ist es möglich auch Leiterbahnen zu testen, die vorher über Boundary-Scan nicht erreichbar waren. Diese Kombination ist äußerst flexibel, da sie ohne produktspezifischen Adapter auskommt und bietet folgende Vorteile:

  • schnelles Gesamtsystem,
  • sehr hohe Fehlerabdeckung auch bei hochkompakten Flachbaugruppen,
  • hohe Flexibilität, da kein prüflingsspezifischer Adapter benötigt wird und
  • einfache Testprogrammerstellung, da jedes Testverfahren technologie-spezifisch angewendet wird.

Zu den vier frei positionierbaren Proben von der Oberseite, können bis zu 64 Kanäle von der Unterseite über ein Nadeladapter oder eine Steckerkupplung angeschlossen werden. Die Kanäle sind neben der reinen Boundary-Scan-Anwendung auch zum Aufschalten benötigter Betriebsspannungen oder zum Anschluss an Oszilloskope, Digitalmultimeter und anderer Testinstrumente einsetzbar. Es wird ohne ausgeführten Funktionsendtest eine Testtiefe von 96% erreicht und im Fehlerfall eine detaillierte Angabe über Fehlerart und/oder Fehlerort erreicht: Ein Rückschluss auf die tatsächliche Fehlerursache ist möglich.

Nicht nur die Auswahl der geeigneten Teststrategie, sondern auch die Kombination verschiedener Testverfahren ist entscheidend. Eine Flachbaugruppe hat 2 BGAs, 28 hochpolige Schaltkreise und 230 zweipolige Bauelemente. Um dieses Board zu testen, benötigt der Flying-Prober ungefähr 5.000 Tests. Sind nur zwei BGAs Boundary-Scanfähig sind, ließe sich die Anzahl der Tests um 1.900 reduzieren. Das entspricht einer Einsparung von 38% der Zeit oder bei angenommenen Testkosten von 8 € pro Baugruppe einer Zeiteinsparung von 3 € pro Baugruppe.

*Boris Opfer ist Produkt Manager ICT bei Itochu Systech in Düsseldorf, Mario Berger ist Boundary Scan Technology Officer und Stefan Meißner Verantwortlicher für Public Relations bei Göpel electronic in Jena.

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