Grundlagen Messtechnik: Was beim Messen von Wechselgrößen zu beachten ist

Wechselgrößen sind charakteristische Kenngrößen von Signalen, die sich periodisch ändern. Doch wie lassen sich diese Größen messen? Der Beitrag zeigt die physikalischen Grundlagen.

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Wechselgrößen messen: Wer charakteristische Kenngrößen von Signalen messen will, die sich periodisch ändern, muss sich mit einigen physikalischen Grundlagen beschäftigen.
Wechselgrößen messen: Wer charakteristische Kenngrößen von Signalen messen will, die sich periodisch ändern, muss sich mit einigen physikalischen Grundlagen beschäftigen.
(Bild: ©kosta_iliev - stock.adobe.com)

Die mit Abstand häufigste Signalform einer Wechselgröße ist das Sinussignal, was auch in der Messtechnik sehr häufig vorkommt. Im Bild 1 ist das Beispiel einer elektrischen Spannung skizziert. Im allgemeinen Fall schwingt das Sinussignal mit einer Amplitude û und einer Periodendauer T periodisch um einen sogenannten Gleichanteil oder auch Offset genannt u0, der in vielen Fällen 0 ist: u(t) = u0 + û * sin(ωt) [1]. Weiterhin gelten die Gleichungen: ω = 2πf [2] und f = 1/T [3].

Bei einem Wechselsignal interessiert man sich häufig nicht für einen einzelnen Momentanwert, sondern für diejenigen Kenngrößen, die sich aus einer Periode ermitteln lassen. Nachfolgend sollen die üblicherweise verwendeten Kenngrößen mathematisch definiert werden, was unabhängig davon ist, mit welchen Messmethoden sie später ermittelt werden. Als Beispiel dient die Wechselspannung u(t).

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Der lineare Mittelwert ist gemäß Formel 4 definiert und ist nur dann aussagekräftig, wenn es sich nicht um ein gleichanteilsfreies Signal handelt, da er anderenfalls 0 beträgt. Wenn man sich beispielsweise den sinusförmigen Spannungsverlauf an einem elektrischen Verbraucher, wie einen Fön oder eine Lampe, vorstellt, der an einer normalen Steckdose angeschlossen ist, so weist dieser keinen Mittelwert auf. Trotzdem wirkt die Spannung, denn Fön oder Lampe arbeiten.

Offensichtlich kommt es bei ihnen nicht auf die Polarität der Spannung bzw. der Richtung des dadurch hervorgerufenen Stromflusses an, sondern nur darum, dass im Mittel überhaupt eine beliebig gepolte Spannung anliegt. Blendet man vor der Mittelwertbildung die Polarität aus, was mathematisch der Betragsbildung entspricht, so gelangt man zur Definition des Gleichrichtwerts nach der Formel 5. Der Name rührt daher, dass bei einer häufigen messtechnischen Realisierung mit einer analogen Schaltung das elektrische Signal gleichgerichtet wird, bevor es einer Mittelwertbildung zugeführt wird. Der Gleichrichtwert hat somit auch für Wechselsignale ohne Gleichanteil eine Aussagekraft. Immer dann, wenn unterschiedliche elektrische Verbraucher durch einen Wechselstrom betrieben werden, wird an ihnen elektrische Leistung verbraucht.

Die Physik lehrt nun, dass zur Berechnung dieser Leistung die elektrischen Wechselgrößen Spannung und Strom nicht mit ihren Gleichrichtwerten einzubeziehen sind, was man spontan vielleicht annehmen würde. Vielmehr muss jeweils der quadratische Mittelwert des gleichgerichteten Signals in die Berechnung einfließen gemäß Formel 6. Der Ausdruck ueff nennt sich Effektivwert oder auf Englisch RMS = Root Mean Square. Der englische Begriff umschreibt anschaulich die wichtigsten mathematischen Operationen.

Mittelwert, Gleichrichtwert und Effektivwert berechnen

Die drei Parameter Mittelwert, Gleichrichtwert und Effektivwert lassen sich zu jeder beliebigen periodischen Signalform berechnen und sind unabhängig von der Signalfrequenz f. Zwischen ihnen sind Umrechenfaktoren definiert, die zu jeder speziellen Signalform einen konstanten Wert aufweisen. Diese sind der Scheitelfaktor (Crest Factor)und der Formfaktor Für ein gleichanteilsfreies Sinussignal ist definiert u(t) = û * sin(ωt) [9]. So ergeben sich beispielsweise ū = 0 [10], Nimmt man zu diesem Sinussignal nun einen Gleichanteil gemäß [1] hinzu, so erhält man ū = u0 [15] und |ū| = u0+2/π * û [16]. Auf die Angabe von Scheitel- und Formfaktor soll verzichtet werden, da diese für gleichanteilsbehaftete Signale keine größere praktische Bedeutung haben. Ein Vergleich von [12] und [17] zeigt, dass sich der Effektivwert eines Sinussignals mit Gleichanteil als quadratischer Mittelwert der Effektivwerte des Gleichanteils - der selbstredend dem Wert des Gleichanteils u0 selbst entspricht - und des reinen Sinusanteils ergibt.

Kenngrößen mit analoger Signalverarbeitung ermitteln

Im Bild 2 ist das zugehörige Prinzip dargestellt, wie es insbesondere bei Multimetereingängen oder Wechselgrößenmesseingängen von Messkarten und -modulen implementiert wird. Intern im Gerät wird dabei generell mit elektrischen Spannungssignalen gearbeitet. Ganz allgemein werden in der heutigen Messtechnik spätestens innerhalb der Messelektronik sämtliche elektrischen und nichtelektrischen Messgrößen fast ausschließlich in Spannungssignale umgewandelt, da diese einfach mit nachfolgenden Analog-Digital-Umsetzern digitalisierbar sind. Wie im Bild dargestellt, wird ein Wechselsignal (hier als Sinussignal skizziert) entweder direkt oder, falls es für eine Weiterverarbeitung zu kleine Signalpegel besitzt, nach einer optionalen (gestrichelt angedeuteten) Verstärkung einer Gleichrichtschaltung zugeführt.

Die Gleichrichtschaltung kehrt die Polarität negativer Signalanteile um, führt also mathematisch gesprochen eine Betragsbildung durch. Mittels geeignet ausgelegter und dimensionierter Filterschaltungen, die höherfrequente Signalanteile filtern, wird nachfolgend ein zumindest annäherndes geglättetes Gleichspannungssignal erzeugt, das weitgehend dem Mittelwert des zugeführten Signals entspricht. Typisch ist die im Bild angedeutete Restwelligkeit, die umso geringer ausfällt, je hochwertiger die Filterschaltung ausgeführt wird. Insgesamt wird mit einem Schaltungsprinzip gemäß Bild 2 somit ein Gleichrichtwert nach [5] gebildet, der als (näherungsweises) Gleichspannungssignal vorliegt, welches anschließend digitalisiert wird.

Kenngrößen mit digitaler Signalverarbeitung ermitteln

Bei Messsystemen, die einen Rechner zur Steuerung, Auswertung und Visualisierung verwenden, werden meist zunächst direkt die Momentanwerte der Signale - auch hier werden letztlich alle Messgrößen auf Spannungssignale zurückgeführt - messtechnisch erfasst. Man spricht von der „Abtastung“ des Signals. Die Abtastung erfolgt in konstanten Zeitabständen TA, wie Bild 3 zeigt. Sie ist an sich nichts anderes als das „Einfrieren“ des gerade zu erfassenden Momentanwerts mit nachfolgender, schneller Messung.

Die abgetasteten Werte werden softwaregesteuert abgespeichert und stehen damit einer beliebigen algorithmischen Auswertung zur Verfügung. Diese kann schritthaltend, also parallel zum kontinuierlich eintreffenden Datenstrom an Momentanwerten passieren. Oder im Nachhinein, wenn eine bestimmte Anzahl von Momentanwerten einmalig aufgenommen wurde. Auf Basis der abgespeicherten Momentanwerte können nun rein algorithmisch die Kenngrößen durch numerische Implementierung der Formeln [4] bis [8] berechnet werden. Zu berücksichtigen ist hier lediglich, dass mit üblichen Programmiersprachen zwar die vier Grundrechenarten problemlos angewandt werden können, die hier benötigte Integration als Operation aus der „Analogwelt“ jedoch zunächst nicht vorhanden ist.

Stattdessen muss die Integration numerisch nachgebildet werden. Soll beispielsweise zur Berechnung des Effektivwerts die Formel [6] numerisch umgesetzt werden, so wird die Integralbildung durch die Aufsummierung vieler kleiner Rechteckflächen ersetzt, jeweils mit der Breite TA und der Höhe des jeweiligen Abtastwertes uk. Der Wert k läuft von 1 bis n und muss genau eine Periode des Signals abdecken. Je höher n bzw. je kleiner TA bei gegebener Periodendauer T ist, umso besser nähert sich der numerisch berechnete Effektivwert dem echten an, wie er nach [6] definiert ist.

In der Praxis finden sich n im Bereich ca. 100 bis mehrere 1000. Werden Wechselsignale an messtechnische Komponenten, wie Messkarten, Messmodule oder Messgeräte, angeschaltet, so ist der Frequenzgang der Komponenten zu beachten. Damit ist gemeint, dass eine analoge Schaltung in ihrem Verhalten von der Frequenz des angeschalteten Signals abhängt. Man geht hierbei von einem Sinussignal einer Frequenz f aus. Zwischen Aus- und Eingangsamplitude eines Spannungsverstärkers lässt sich ein von der Frequenz abhängiger Verstärkungsfaktor beobachten. Der Verstärker wird auf Seite der Anwendung stets auf einen bestimmten konstanten Verstärkungsfaktor k0 eingestellt (10, 100 oder 1000). Jedoch bringt es die Physik der Bauelemente und der diese verknüpfenden Schaltungen mit sich, dass sich dieser bei höheren Frequenzen verändert. Ganz typisch ist hierbei ein Verlauf, wie ihn Bild 4 zeigt.

Die Bandbreite des Verstärkers einstellen

Bei nicht zu hohen Frequenzen entspricht der reale Verstärkungsfaktor dem eingestellten k0, fällt mit steigender Frequenz ab. Die Grenzfrequenz fg ist definiert als Rückgang des Verstärkungsfaktors um exakt den Divisor Wurzel 2, was einem Abfall von ca. -3 dB entspricht. Das ist die Bandbreite des Verstärkers und ist der nutzbare Frequenzbereich von 0 bis zur Grenzfrequenz. Das gemessene Signal wird bereits vor der Grenzfrequenz deutlich verfälscht. In der Praxis sollte der Verstärker bzw. die benutzte Messkomponente bis 1/10 fg, bezogen auf den höchstfrequenten Sinusanteil, angewandt werden.

Jörg Böttcher: Kompendium Messtechnik und Sensorik. ISBN 978-3-7448-5626-3 als Paperback, erschienen im Verlag Books on Demand.

* Prof. Dr.-Ing. Jörg Böttcher hat eine Professur für Regelungstechnik und Elektrische Messtechnik an der Universität der Bundeswehr in München inne.

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