EMS und Mittelstand Ein kritischer Blick über die Elektronikbranche hinaus
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In Deutschland sind 45 Millionen Beschäftigte in Lohn und Brot. Rekord. Und noch nie war die Zahl der offenen Stellen so hoch. Doch der Schein einer prosperierenden Wirtschaft trügt.

Die Auftragsbücher bundesdeutscher EMS-Dienstleister sind aufgrund des Corona bedingten Nachholbedarfs gut gefüllt. Doch wie lange noch, ist fraglich. Gewiss wird die Bauteilkrise länger anhalten, als man hofft. Auch wenn die Distribution sich auf breiter Basis erholt, wird es weiterhin kritische Teilbereiche mit Lieferschwierigkeiten geben, vermutlich noch bis in das Jahr 2025 hinein.
Der Grund dafür liegt schlichtweg in der Natur, dass Fabriken, die uns dienlich sind und jetzt vornehmlich in den USA gebaut werden, um der bisherigen Abhängigkeit von Fernost zu begegnen, erst in zwei Jahren betriebsbereit sind. Zudem ist nicht gesichert, ob das Kapazitätsvolumen dann ausreichend der Industrie zur Verfügung steht oder das Militär vorrangig zu bedienen sein wird.
Das eigentliche Problem ist ein ganz anderes, tiefgreifenderes: Der Handelskonflikt zwischen Europa und den USA macht klar, worauf die eigentliche Wirtschaftspolitik der US-Amerikaner hinauslaufen wird. Mit einem noch nie dagewesenen 370 Milliarden US-Dollar schweren Subventionspaket will die US-Regierung die heimische Wirtschaft klimafreundlich gestalten, um so von Anbeginn bei der Green Technology die Nase vorne zu haben.
Die Sorge, die man in Europa hat, dass damit die Vormachtstellung der USA weltweit auf diesem Sektor verankert wird, ist berechtigt. Schlimmer noch: es wird, ähnlich der Silicon Valley-Entwicklung, eine Industriemacht entstehen, die Europa abhängen wird. Und wenn Deutschland in Bezug auf Entscheidungsfindung und Umsetzung weiter im Tempo einer Schnecke verfährt, werden wir bei der Elektromobilität und den Erneuerbaren Energien leer ausgehen. Ein derartiges Verhalten wird auf eine wahre Deindustrialisierung hinauslaufen, ähnlich wie seinerzeit mit Photovoltaik und Solartechnologie unwiederbringlich geschehen.
Die Folge wird sein, dass sich die Industrie langsam, aber sicher aus Deutschland verabschieden wird. Entweder weil sie keine gesicherten Energiequellen für die heimische Produktion haben oder die Energie schlichtweg unbezahlbar sein wird. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass sie weder bundesdeutsche noch EU-Fördermittel in dem Maße erhält, wie es US-amerikanische Unternehmen erfahren. Das ist der eigentliche Keim der aufkommenden Handelskrise. Die USA kümmert es wenig, wie es seinen europäischen Handelspartnern damit geht. Für die Fertigung heimischer Hightech-Elektronik bedeutet das, an wichtigen Zukunftsmärkten nicht teilhaben zu können.
Beim Versuch, im europäischen Schulterschluss etwas dagegen zu setzen wird eine Forderung sehr klar: Wenn wir mit den Entscheidungen nicht eindeutig schneller vorankommen und unserer Industrie auch bewusst keine Protektion zuteilwerden lassen, wird kein Licht und kein Ende des Tunnels zu sehen sein.
Europas Überlebensstrategie gehört in die Region
Was als hoffnungsvoller Lichtblick erscheint, ist, sich in der gesamten Entwicklung auf europäischer Ebene nähergekommen zu sein. Ob es den ersehnten Schulterschluss bringt, wird sich mit der Zeit erweisen. Was man bislang aus Brüssel vernimmt, ist eher von Vertrauensverlust geprägt.
Der Versuch hier Boden zu gewinnen, beispielsweise die osteuropäischen Länder mit einzubeziehen, gehört mit zu den Überlegungen, gemeinsam am selben Strang zu ziehen. Das muss jedoch mehr sein, als denen nur die Karotte vor die Nase zu halten. Hier sind Strategien gefragt, die zu konkreten Maßnahmen in den Regionen führen und Erfolge in der Umsetzung zeigen, um den Binnenmarkt zu stärken. Ansonsten würden diese Märkte über kurz oder lang von China oder Russland einkassiert.
So plausibel und schlussfolgernd es klingt, scheint es noch nicht bei allen politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen als Handlungsdruck angekommen zu sein. Die Umsetzung kann jedoch nur gelingen, wenn dieser Handlungszwang bis in die regionalen Strukturen durchdrungen ist. Gerade hier kann und sollte der Mittelstand eine handlungsfähige Rolle einnehmen. So scheint es sinnvoll, alle gewählten Politiker in den jeweiligen Wirtschaftsregionen mit einzubeziehen, zum Round Table-Gespräch zu laden.
Es muss allen in der Wirtschaft Agierenden klar sein, dass die deutsche Wirtschaft mit seiner mittelständischen Kraft auf europäischer Ebene nicht vertreten ist. Die Berichterstattung der Medien widmet sich auffallend dem Lamento der Automobilindustrie. Doch der deutsche Mittelstand, der faktisch die meisten Arbeitsplätze stellt, geht eigentlich nie als tragender Wirtschaftsfaktor daraus hervor. Ein Zustand, der sich für diesen, die Gesellschaft tragenden Wirtschaftsfaktor lähmend über das gesamte Land legt.
Die große Gefahr, die auf europolitischer Ebene besteht, ist, über innovative und zugleich mobilisierende Kräfte hinwegzusehen. Man setzt noch zu sehr nur auf die Global Player. Obwohl, wie am Beispiel der deutschen und europäische Automobilindustrie zu erkennen ist, sie aus Brüssel keine Unterstützung erfährt. Wäre dem nicht so, wäre die EU unglaubwürdig und es kämen keine Entscheidungen aus Brüssel, die das Ende des Verbrennungsmotors bis Ende 2035 propagieren. Randerscheinung ist, dass man sich nicht verfahrensoffen zeigt, weil Wasserstoff bereits als gute Alternative ausgemacht ist. Hier muss sich Ideenreichtum breitmachen, kreative Gedanken sich entfalten können, etwas, woran der Mittelstand erfahrungsgemäß einen nicht unerheblichen Anteil hat.
Diese Wirtschaftskraft Mittelstand mehr ins Licht zu rücken und zu fördern, gehört mit in den Verantwortungsbereich der Politik. Es muss allen daran Beteiligten klar sein, dass ohne regionale Schaffenskraft unser aller über mehr als sieben Jahrzehnte aufgebaute Wohlstand in Europa, der vornehmlich auf den Säulen des Mittelstands ruht, eindeutig in Gefahr gerät unterzugehen.
Dass hier Eile geboten ist, zeigt sich an der „stillen Abwanderung“, die schon längst begonnen hat. Still deshalb, weil keiner darüber spricht, doch allen der Umstand längst bekannt ist. Außereuropäische Länder in Nah- und Fernost sind da sehr rege, ganze Unternehmen mit ungeahnten Standortvergünstigungen dorthin zu locken.
Die hiesigen Lohnforderungen, die derzeit diskutiert werden und teils sicher berechtigt sind, sind Wasser auf die Mühlen derer, die einen Standortwechsel in Erwägung ziehen, weil sie die Last nicht mehr tragen können. Ein Grund mehr, die mittelständische Industrie mehr in gesamtstrategische Überlegungen einzubeziehen.
EMS: Schulterschluss und gemeinsame Verantwortung
Die Elektronikbranche ist tendenziell ein Wachstumsmarkt, der von der fortschreitenden Digitalisierung profitiert. Der Bedarf nimmt somit weiter zu. Die Frage ist, wohin der Weg des Wachstums geht, wer das Geschäft an sich zieht. Erkennbar ist, dass große Firmen mit Unternehmensaufkäufen sich daran machen, den Markt zu bereinigen, sich mit ihren Services besser durchzusetzen. Die Tendenz wird sicher noch weitergehen.
Was das Geschäftsvolumen, die Stückzahlen und Aufträge betrifft, profitieren derzeit noch etliche Anbieter, auch die kleineren, vom Corona bedingten Bedarfsüberhang. Möglicherweise wird sich der Markt jedoch schon 2023 drehen, insbesondere für die übrig gebliebenen klein- und mittelständischen EMS-Provider. Rezessionsangst macht sich breit. Die verhalten gute Stimmung auf der „electronica“ wird nicht darüber hinwegtäuschen können, dass auch der EMS-Markt davon abhängt, welche gesamtwirtschaftliche Position Europa im weltpolitischen Spiel der Kräfte überhaupt noch einnehmen kann.
Fakt ist, das künftig mehr Einigkeit unter den Branchenbeteiligten herrschen muss. Verteilungskämpfe wie jene bei der Bauteildistribution sind nicht mehr zeitgemäß. Hier müssen alle, EMS-Dienstleister, Distributoren und OEM-Kunden gleichsam verantwortungsbewusst zur Lösung beitragen. „Think global, act local“ wird, wie gesamteuropäisch in anderen Wirtschaftszweigen auch, die einzig wahre Chance für den EMS-Markt sein.
Das EMS-Unternehmen Fritsch Elektronik
Mit mehr als 110 Beschäftigten bestückt das seit über 50 Jahren bestehende Unternehmen Fritsch Elektronik im Ortenaukreis nahe Offenburg Leiterplatten für verschiedene Branchen. Seit August 2020 ist die gesamte Produktion für alle Kunden auf der Grundlage der höchsten Qualitätsnorm für die Medizintechnik, der DIN EN ISO13485 ausgelegt. Die Bauteilbeschaffung, Prüfung der Baugruppen wie auch die Geräteendmontage und Lieferung an die Kunden der Kunden gehören mit zum Servicepaket des auf Hightech-Fertigung spezialisierten Betriebes. (jw)
* Matthias Sester ist Mitgesellschafter und Geschäftsführer beim EMS-Provider Fritsch Elektronik in Achern, Ortenaukreis.
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