Meilensteine der Elektronik Digi-Key: Vom elektronischen Morse-Keyer zum Weltkonzern
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Wie zwei Schulfreunde aus Minnesota aufbrechen, die Welt zu erobern. Eine Geschichte über Offenheit, Mut, Idealismus und Vertrauen – und eine Portion Glück.

Kennen Sie Thief River Falls? Wahrscheinlich nicht. Es ist ein winziger Punkt auf dem Globus, ein Ort ganz im Nordwesten der USA im Bundesstaat Minnesota. Die kanadische Grenze ist gerade einmal 110 Kilometer entfernt. Viele Wiesen, Felder, weites, flaches Farmland und zwei Flüsse, die sich kreuzen. 8000 Einwohner. Im Winter liegt unendlich viel Schnee, Tiefsttemperaturen bis zu -30 Grad. Die Koordinaten: 48° 7′ N, 96° 11′ W.
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In diesem beschaulichen Städtchen steht ein 65.000 Quadratmeter großes Distributionszentrum. Daneben entsteht gerade ein neues Gebäude: 204.000 Quadratmeter. Fertigstellung Mitte 2021. Beide Gebäude sind Zeugnis einer Firmengeschichte, die in den 1970er Jahren ihren Anfang nahm und sich zu einer der großen Erfolgsgeschichten der Elektronikbranche entwickelte. Eine Geschichte, getragen von Offenheit, Neugier, Mut, Idealismus und gegenseitigem Vertrauen zweier Männer aus Thief River Falls. Die Rede ist von Digi-Key, einem der weltgrößten Distributoren für elektronische Komponenten, und den Schulfreunden Dr. Ron Stordahl und Mark Larson.
„Being in the distribution center, you can feel the pulse of the company. You can sense the productivity. It’s just like a well-oiled machine, that’s serving our customers. And it’s just a strong feeling, that you’re a part of something that’s much bigger than any one person and it’s a very, very, very cool feeling.“ (Originalstatement Mark Larson)
Google, Apple, Microsoft - von der Garage zur Weltfirma ist das viel beschworene Narrativ der Firmengründungen. Diese Geschichte von Digi-Key ist anders. Es ist keine Erfolgsgeschichte im klassischen Sinne, sondern ein Weg mit Etappensiegen, verbunden mit manch‘ glücklichem Zufall. Die ersten unternehmerischen Schritte des Elektroingenieurs Ron und des Betriebswirtschaftlers Mark waren eher planlos zu nennen. Wahrscheinlich hätte jeder Start-Up-Coach die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: Wo ist der Business Plan? Ziele, Meilensteine, Visionen? Fehlanzeige. Wie also konnte sich das 1972 gegründete Unternehmen erfolgreich einen Platz im heiß umkämpften Weltmarkt der Distributoren sichern? Wie gelang es, sich zwischen (damals) rund 400 Konkurrenten zu behaupten?
Rückkehr mit einen Digi-Keyer im Gepäck
Thief River Falls, 1972: Ron Stordahl kehrt nach seiner Doktorarbeit in den Ort seiner Jugend zurück. Zuhause wartet die LKW-Spedition seiner Eltern. Dort sollte er eigentlich tätig werden. Ron aber ist durch und durch Ingenieur. Im Gepäck hat er Digi-Keyer, elektronische Morse-Keyer-Kits. Keine bahnbrechende Erfindung, aber eine Geschäftsidee aus der Studentenzeit und ein Stück Hoffnung auf finanzielle Unabhängigkeit.
Um das Kit, das vielleicht aus 20 Elektronikkomponenten besteht, möglichst preisgünstig an Amateurfunker zu verkaufen, hatte Ron von jedem einzelnen Bauteil große Mengen abgenommen. Aber der Abverkauf der Keyer-Kits läuft trotz einer gewissen Popularität nicht wie gedacht. Weder während des Studiums noch in Thief River Falls. Ron bleibt auf einem Großteil sitzen. Was nun?
Ron erkennt, dass der Bedarf nach den elektronischen Komponenten größer ist als nach dem fertigen Digi-Keyer-Kit. Also beschließt er, stattdessen die elektronischen Bauteile zu verkaufen. Typisch Ron – aufgeben gibt es nicht. Nur: Wohin mit den Teilen und wie an den Kunden bringen? Ohne Mitarbeiter oder Lagermöglichkeiten?
Zufälligerweise gibt es in Thief River Falls eine Firma namens „Marcraft“. Das Ein-Mann-Unternehmen, gegründet von Mark Larson, ist ausgerichtet auf den Vertrieb von Sprechanlagen und Sicherheitssystemen. Mark und Ron kennen sich aus der Schule. Gibt es vielleicht einen freien Lagerplatz? Zufällig ist eine Ecke frei. Ron mietet den Raum – und gewinnt nicht nur einen Platz, sondern einen Freund und Mitstreiter.
Mark, ein Denker und Stratege, hilft Ron mit Rat und Tat beim Aufbau seiner Firma. Die beiden ergänzen sich. Nach vier Jahren liegt der Umsatz bei rund 800.000 Dollar und 14 Angestellte arbeiten für die junge Firma. Ein Unternehmen ist geboren. Digi-Key. Wir schreiben das Jahr 1976. Mark wird zum Geschäftsführer. Das war der Anfang – aber das war noch nicht Digi-Key, wie wir es heute kennen. Vom Digi-Keyer wird nur der Name bleiben.
Ein Pionier im Bauelemente- Kataloggeschäft
Thief River Falls 1973: Der kleine Ort und seine Bewohner können zusehen, wie das junge Unternehmen Schritt für Schritt wächst. Noch ist kein Businessplan vorhanden. Der sollte erst einige Jahre später abgesegnet werden. Noch segelt die junge Crew, das Ruder in der Hand, getrieben von Strömungen und dem festen Willen, nicht unterzugehen, durch das Wellental der Gründungszeit. Zwei Kapitäne, ein Boot – meist sind sich die beiden jungen Männer in ihrem Handeln einig.
Zu diesem Zeitpunkt steht vor allem die strategische Ausrichtung des Unternehmens im Mittelpunkt der Überlegungen: Sollten sie weiterhin eher Kunden im Hobbybereich ansprechen oder sich doch mehr auf Ingenieure und professionelle Produktentwickler fokussieren?
Das junge Unternehmen geht das Risiko ein und trifft die Entscheidung, auch Ingenieure und ein breiteres Verbraucherpublikum anzusprechen. Mark und Ron schalten die ersten Anzeigen in Elektronik-Fachmagazinen – und erreichen damit eine neue Kundschaft. Größere Stückzahlen, eine größere Bandbreite an Produkten, ein höheres Wachstumspotential – ohne es geplant zu haben, wird Digi-Key zum Pionier im Direktmailing-Kataloggeschäft.
Nach der strategischen Ausrichtung steht nun das nächste Problem vor der Tür. Mark versucht fieberhaft, Hersteller davon zu überzeugen, Digi-Key als Distributoren zu nutzen. Noch bis zu seinem Ruhestand 2015 wird CEO Mark Larson rund 50 Prozent seiner Zeit mit dem Aufspüren von Herstellern und dem Aushandeln von Verträgen verbringen. Heute liefern mehr als 1500 Hersteller ihre Waren an den Distributor. Aber wer wollte damals schon mit diesen Newcomern zusammenarbeiten? Zu klein, zu unbekannt, zu wenig erfahren. Die einen hatten kein Vertrauen. Die anderen, größere Distributoren, wollten sich den Markt nicht weiter teilen und versuchen, Digi-Key von Anfang an aus dem Spiel zu halten.
Mit Panasonic-Kondensatoren in die Zukunft
Und wieder kommt der Zufall ins Spiel. Diesmal in Person eines Kunden, der sich eigentlich für Marks Produkte interessiert. Mark arbeitet nach wie vor für sein eigenes Unternehmen Marcraft. Er führt den Kunden schließlich in den Bereich der Halle, wo Ron Räume angemietet hat. Gerade stellen zehn Mitarbeiter Bestellungen fertig. Wenn Ron einverstanden sei, meint der Kunde, könne er einen Kontakt zu Panasonic herstellen. Here we go! Noch am Abend bestellt Ron Elektrolytkondensatoren.
Der Deal zwischen Panasonic und Digi-Key ist besiegelt. Es wird eine Win-Win-Situation für beide. Panasonic hat zu diesem Zeitpunkt kaum Kunden in den USA. Das sollte sich mit Digi-Key ändern. Und Digi-Key wird innerhalb von zehn Jahren der weltweit größte Distributor für elektronische Komponenten von Panasonic. Damit ist die strategische Ausrichtung klar. Jetzt haben auch andere Hersteller keinen Zweifel mehr an Digi-Key als potenten Distributor.
Flugzeuge über den Dächern von Thief River Falls
Thief River Falls in den 1990ern: Der kleine Ort unweit der kanadischen Grenze wird immer mehr zur internationalen Drehscheibe eines prosperierenden Unternehmens. Durch seine Expansion steht inzwischen die ganze Welt vor den Toren des Städtchens. Zunächst beliefert Digi-Key Canada. Es folgten Japan, Anfang des neuen Millenniums dann erst England und schließlich ganz Europa, weiter Asien. Lange Lieferwege, Lieferungen in wenigen Stunden, schneller als die Konkurrenz zu sein – das war eine der großen Herausforderung, die Ron und Mark schon in den frühen Jahren zu bewältigen hatten. Bereits in den 1980ern kooperiert der Distributor mit den Giganten der Lieferlogistik, die das gleiche Ziel haben: schnell und zuverlässig sein. Die meisten Distributoren verschiffen zu jener Zeit die weltweit bestellten Waren. Digi-Key geht andere Wege.
Thief River Falls hat bereits einen Flughafen. Diesen nützt Digi-Key als Knotenpunkt für die Auslieferung von Paketen durch UPS, DHL und FedEx. Riesige Transportmaschinen starten und landen mit dröhnenden Motoren täglich in Thief River Falls, dem 8000-Seelen-Ort! Mit dem Flughafen ist Digi-Key seiner Konkurrenz mindestens eine Nasenlänge voraus.
Von analog zu digital – der Weg zum Olymp
Während Ron bereits in den frühen 80er Jahren überwiegend im Tagesgeschäft involviert ist, erweist sich Mark in seiner Funktion als Geschäftsführer als kluger Stratege. Über die Jahre beweist er frühzeitig ein sicheres Gespür für Veränderungen, reagiert zum richtigen Zeitpunkt und schafft so mit der Firma den radikalen Wandel von analog zu digital. Immer in Absprache und mit Zustimmung seines Kompagnons. Früher versendete das Unternehmen bis zu 3000-seitige Bestellkataloge, die mehr als 30.000 Produkte präsentierten.
Was damals Post und Telefon waren, sind heute E-Mail und Internet. Aktuell gehen mehr als 3,7 Millionen Internetbestellungen pro Jahr bei Digi-Key ein. Schon 1996 startete die Firma mit der ersten Website. Heute sind es 44 nationale Webseiten, die in 16 Sprachen übersetzt werden und 26 verschiedene Währungen akzeptieren. Das ist heute. Tatsächlich aber stand der erste Computer schon kurz nach der Gründung auf einem Schreibtisch. Per Zufall eigentlich. Aber das ist eine andere Geschichte…
„Over the years, as the company has grown from a very small to a nice sized company today, change sometimes came very fast, very dramatic. But this is a company culture, that has embraced change” (Originalstatement Marc Larson)
Die Mission: Enabling the World’s Ideas
Blicken wir zurück auf den Anfang der Geschichte: 150 unterschiedliche Komponenten waren die Grundlage für einen Welterfolg. Heute hat Digi-Key etwa 2,6 Millionen Elektronikkomponenten von über 1500 Lieferanten im Sortiment, die innerhalb weniger Stunden vor der Tür des Kunden liegen. Während Konkurrenten oft mit dezentralen Distributionsstrategien arbeiten, setzt Digi-Key von Beginn an mehr als jeder andere auf zentrale Lagerhaltung für ein möglichst breites Produktportfolio.
Digi-Key, das Führungsteam und die Mitarbeiter bleiben über die Jahre am Puls der Branche, reagieren auf wechselnde Bedürfnisse und machen so ein überaus breites Spektrum an Elektronikkomponenten verfügbar. Digi-Key offeriert heute dreimal mehr Komponenten als durchschnittliche Distributoren. Die Bedürfnisse, Projekte und Innovationen der Kunden standen und stehen bis heute im Mittelpunkt des Unternehmens. Digi-Key will der Welt helfen, ihre Ideen zu verwirklichen. Dabei spielt auch die Stückzahl der bestellten Ware keine Rolle. Wenn nur ein Stück benötigt wird, dann wird eben nur ein Stück versendet. Bestellvolumina, auf die sich die Konkurrenz oft gar nicht einlässt. Enabling the World’s Ideas!
„If you can't find a particular component at Digi-Key then the part doesn't exist, or it's not worth designing in.“ (Originalstatement Dave Doherty)
Digi-Key: Großfamilie mit mehr als 4000 Mitarbeiten
Thief River Falls ist Digi-Key. Digi-Key ist Thief River Falls. Heute arbeitet ein Großteil der Einwohner täglich bei Digi-Key. Im Laufe der Jahre entstand eine Verbundenheit und Identifikation, wie sie kaum ein anderes Unternehmen dieser Größe vorzuweisen hat. Der Ort erlebte die Geburtsstunde der Firma, ihren Aufstieg – Step by Step: Der erste Digi-Keyer-Bausatz. Der erste Lagerraum in einer Garage. Ein Versandhauskatalog. Das digitale Zeitalter mit dem Internet. 2015 der Wechsel von Mark Larson zu Dave Doherty.
Die einzige Konstante in dieser wechselvollen Geschichte sind die Menschen und die einzigartige Kultur in Thief River Falls, Minnesota. Begriffe wie „Ehrlichkeit“, „Fairness“, „Liebe zur Qualität“, „Engagement für den Kunden“, „Verantwortung“ skizzieren diese Kultur. Sie stehen nirgendwo geschrieben, an keiner Wand, nicht im Eingangsbereich oder sonst wo. Diese Werte und die Wertschätzung waren von Anfang an da – einfach da. Thief River Falls war und ist ein kleiner Ort geblieben, familiär, vertraut. Wer heute die Türen des Konzerns öffnet, spürt diesen Geist. Jedes Kind kennt das Logo.
„At Digi-Key, people truly are a differentiator. Every day, we show up for one another, for our customers and in our community. There is a real compassion for others and a shared commitment to enabling others to succeed.” (Originalstatement Dave Doherty)
Von Kindheit und Jugend an waren Ron und Mark tief verwurzelt und glaubten mit großer Leidenschaft an die Stadt und ihre Menschen. Aus ihren bescheidenen Anfängen heraus haben sie ein sicheres Gespür für die Bedürfnisse der Kunden bewiesen. All das hat sich ausgezahlt – für sie und die Firma. Mehr als 4000 Mitarbeiter und ein für 2021 erwarteter Jahresumsatz von 3,4 Milliarden US-Dollar (eine Verdoppelung seit 2015) lassen keinen Zweifel aufkommen.
Von Rons ursprünglicher Idee bis zur schrittweisen Entwicklung, die von Mark geleitet wurde, waren die beiden wie junge Entdecker auf einer Reise zum Erfolg und zu grenzenlosen Möglichkeiten. Das Unternehmen ist der kleinen Stadt kurz vor der kanadischen Grenze immer treu geblieben.
Heute lenken Präsident Dave Doherty und sein Führungsteam die Geschicke des Konzerns mit Blick über die weite Prärie und die Dächer einer Stadt, in der sich zwei Flüsse kreuzen. Digi-Key hat die Welt erobert und dabei nie die Erdung verloren. 2022 wird das Unternehmen 50 Jahre alt. Thief River Falls und die Welt werden es feiern.
* Anja Gild ist Expertin für Storytelling und schult Unternehmenskommunikatoren/innen und Journalisten/innen im Storytelling für Online, Social Media und Print sowie im Bereich Texten für Internet, Intranet und Social Media. Die freiberufliche Journalistin und Trainerin bietet in den Bereichen Storytelling, Schreiben und Kreativschreiben auch Einzeltraining an.
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