Multifunktionaler Werkstoff Der Einsatz von ORMOCERen in der Mikrosystemtechnik

Autor / Redakteur: Andreas Stadtmüller und Michael Popall* / Andreas Mühlbauer

Im Werkstoff ORMOCER sehen Forscher das Potenzial, um Endgeräte noch kleiner, leichter und leistungsfähiger zu machen. ORMOCER lässt sich an die Massenproduktionsverfahren für die Polymerelektronik anpassen und als Dielektrikum im Rolle-zu-Rolle-Verfahren aufdrucken. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind die elektro-optische Signalübertragung und besonders dünne Lithium-Polymer-Batterien, die sich in eine Leiterplatte integrieren lassen.

Anbieter zum Thema

Bei der zunehmenden Miniaturisierung von Endgeräten stoßen herkömmliche Verfahren zur Erzeugung kleinster Strukturen in der Aufbau- und Verbindungstechnik früher oder später an technologische Grenzen. Einen denkbaren Ausweg bieten neue Materialen mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Anorganisch-organische Hybridpolymere, die so genannten ORMOCERe, lassen sich auf vielfältige Weise in der Mikrosystemtechnik einsetzen. Bereits realisiert wurden spezielle Passivierungsmaterialien für die Polymerelektronik, Dielektrika für hochintegrierte Multi-Chip-Module (MCM), Lichtwellenleiter auf ORMOCER-Basis sowie Materialien für die Mikrooptik.

Limitationen konventioneller Substrate

Der Halbleiterindustrie ist es in den letzten Jahren gelungen, immer mehr Transistoren auf der Oberfläche eines Chips unterzubringen. Mittlerweile sind Strukturbreiten von 45 nm und darunter in einigen Fabriken bereits Stand der Technik. Dennoch sind die Miniaturisierungsfortschritte auf Leiterplattenebene eher marginal, denn die Aufbau- und Verbindungstechnik, die für die Signalübertragung zwischen den einzelnen Bauelementen zuständig ist, hinkt der Entwicklung auf dem Halbleitersektor noch immer hinterher.

Die Integrationsdichte auf der Leiterplatte, die als Bauelementeträger fungiert und gleichzeitig für die elektrische Verbindung der Bauteile sorgt, ist vor allem durch das eingesetzte Basismaterial limitiert. Das weitverbreitete und preiswerte FR4 eignet sich nur bedingt für die hochfrequente Signalübertragung. Der Grund dafür liegt in den schlechten elektrischen Isolationswerten, dem dielektrischen Verhalten dieser Glas/Epoxy-Substrate.

Beim Leiterplattendesign fällt der minimale Abstand zwischen zwei Leiterbahnen sowie die Dicke der Isolationslagen einer Multilayer-Schaltung deshalb vergleichsweise groß aus – ansonsten würden sich die Leiterzüge gegenseitig beeinflussen (Cross-Talk-Effekt, Übersprechen). Je geringer der Leiterbahnabstand und je höher die Signalfrequenz, desto mehr nimmt die Signalintegrität ab. Gleichzeitig ist auch die Länge der Leiterbahnen limitiert. Damit ist nicht nur das Leiterplatten-Design erheblichen Restriktionen unterworfen, sondern vor allem sind einer weiteren Miniaturisierung enge Grenzen gesetzt.

Es gibt zwei prinzipielle Möglichkeiten, um den Cross-Talk-Effekt trotz höherer Integrationsdichte zu minimieren: Es kann entweder ein Basismaterial mit deutlich besseren dielektrischen Eigenschaften, wie beispielsweise fluorierte Polymere, Dick- oder Dünnschichtkeramik eingesetzt werden, oder die Signalübertragung erfolgt auch auf Leiterplattenebene statt über Kupferleiterbahnen über störungsfrei arbeitende Lichtwellenleiter. Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC hat sich intensiv mit beiden Varianten befasst und spezielle Materialien entwickelt, die erhebliche Miniaturisierungsfortschritte ermöglichen.

Als Ausgangsstoff für die Materialentwicklung dienen dabei die sogenannten ORMOCERe, eine Werkstoffklasse, die von den Würzburger Forschern bereits vor 30 Jahren entwickelt und zunächst unter anderem für Schutzbeschichtungen eingesetzt wurde. Das Knowhow zu Synthese, Funktionalisierung und Weiterverarbeitung der ORMOCERe wurde seither auch hinsichtlich eines Einsatzes in der Mikroelektronik und Mikrooptik kontinuierlich weiterentwickelt.

ORMOCERe haben den Vorteil, dass sich ihre Eigenschaften in einem weiten Bereich variieren lassen. Sie bestehen im Wesentlichen aus anorganischen Silizium-Sauerstoffnetzwerken im Nanometerbereich, die über organische Polymer-Brücken miteinander verbunden sind. Je nach Zusammensetzung weisen diese anorganisch-organischen Hybridpolymere ein eher polymeres, ein glas- oder ein keramikartiges Eigenschaftsprofil auf.

Dielektrikum auf ORMOCER-Basis

Ein Ziel der Entwicklung war es, Werkstoffe zu entwerfen, die sich problemlos in den bestehenden Leiterplattenfertigungsprozess einfügen lassen und hervorragende dielektrische Eigenschaften aufweisen. Für die elektrische Aufbau- und Verbindungstechnik wurde neben einem kostengünstigen System für die niederfrequente Signalübertragung auch ein neues Material für hochfrequente Anwendungen mit einer Übertragungsrate bis zu 100 GHz entwickelt.

Die Eigenschaften des ORMOCER-Substrates ließen sich so einstellen, dass die dielektrische Leitfähigkeit (Permittivität) e bei einem Wert von nur noch 2,5 und damit deutlich unter dem Wert von konventionellem FR4 (e = 4,3) liegt. Der dielektrische Verlust tan d beträgt bei einer Signalfrequenz von 77 GHz lediglich 0,003. Diese Werte ermöglichen es, den minimalen Leiterbahnabstand auf unter 50 µm zu reduzieren, ohne dass Cross-Talk-Effekte auftreten.

Bild 1: Multi-Chip-Modul in Mehrlagentechnik mit ORMOCERen als Dielektrika Bild: K. Dobberke für Fraunhofer ISC (Archiv: Vogel Business Media)

Gleichzeitig kann auch die Dicke der Isolationsschicht auf 50 µm reduziert werden. Damit lassen sich dünne und hochintegrierte Multilayeraufbauten realisieren, die sich problemlos beispielsweise mittels Lasertechnik strukturieren lassen.

Das ORMOCER-Material ist nicht nur besonders durchschlagsfest, sondern auch chemikalienbeständig. Es härtet bereits bei Temperaturen von 120 bis 170 °C aus, übersteht aber auch Temperaturen bis 300 °C, ohne sich zu verziehen oder zu schmelzen. Damit ist das Material robust genug, um alle nasschemischen Verarbeitungs- sowie die üblichen Temperschritte in der Leiterplattenfertigung schadlos zu überstehen. Es ist damit gerade in der Hochfrequenztechnik eine Alternative zu teuren Keramik- oder Siliziumsubstraten.

Die neuen ORMOCER-Materialien des Fraunhofer ISC haben aber noch einen weiteren Vorteil: In die Hybridpolymere wurden chemisch reaktive Gruppen sowie Photoinhibitoren eingebaut, sodass sich das Material ähnlich wie ein Negativresist mittels Fotolithografie strukturieren lässt. Dieses Negativresist-Verhalten ermöglicht wesentlich komplexere Designlösungen und damit eine noch höhere Integrationsdichte, wie sie beispielsweise für komplexe Multi-Chip-Module (MCM) benötigt wird. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil von ORMOCER-Dielektrika ist, dass sie hervorragend auf Glas/Epoxy-Substraten haften und sehr gut planarisieren. Damit ist es möglich, bei der Fertigung der MCMs weiterhin das kostengünstige FR4 als Trägersubstrat für die hochintegrierten ORMOCER-Lagen einzusetzen.

Passivierungsmaterialien für die Polymerelektronik

Ein weiteres äußerst interessantes Einsatzgebiet von hybridpolymeren Materialien ist die Polymerelektronik. Bauelemente auf Basis organischer und halbleitender Polymere sind eine besonders kostengünstige und flexible Alternative zur konventionellen Siliziumtechnik. Bereits im Einsatz sind beispielsweise polymerbasierte Feldeffekttransistoren (OFETs) und organische Displays. Einen gravierenden Nachteil haben solche organische Bauteillösungen jedoch: Die Polymere sind äußerst empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen. Sie müssen durch spezielle Passivierungsschichten vor Feuchte geschützt werden.

Die bisher zu diesem Zweck eingesetzten Schutzlacksysteme und auflaminierte Abdecklagen sind in der Regel relativ dick und unflexibel. Sie eignen sich damit nicht zum Schutz hochbiegbarer Schaltungssysteme oder flexibler Displays.

Bild 2: Leiterplatten mit Dünnschicht-Passivierung auf ORMOCER-Basis Bild: Fraunhofer ISC (Archiv: Vogel Business Media)

Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Projekts (POLYSYS) wurden besonders dünne Passivierungsschichten entwickelt, die zudem fotostrukturierbar sind. Dabei mussten folgende Anforderungen berücksichtigt werden:

  • Die Passivierungsschichten sollen besonders geringe Wasserdampfpermeationswerte aufweisen, um die Wasseraufnahme zu minimieren,
  • die flexible Prozessierbarkeit mit Standardtechnologien soll gewährleistet sein,
  • das Schichtsystem soll gute dielektrische Eigenschaften haben und zudem
  • gut haften.

Als lagerstabile Harze (bzw. auch Lacke) mit Negativresist-Verhalten lassen sich Passivierungsmaterialien auf ORMOCER-Basis mit allen üblichen Beschichtungsverfahren wie beispielsweise Aufschleudern, Rakeln, Tauchen und Drucken auf starre oder flexible Substrate applizieren. Insbesondere die Beschichtung flexibler Substrate gestattet es, ORMOCERe auch für Rolle-zu-Rolle-Anwendungen einzusetzen, die kostengünstig sind und ein weites Anwendungsspektrum erschließen. Auf Grund ihrer chemischen Struktur (nanoskalige organisch funktionalisierte anorganisch-oxidische Verbindungen) haften sie ausgezeichnet auf vielen Substraten wie Metall, Glas, Polyimid oder PET.

Die Verarbeitungsbedingungen, insbesondere die Aushärtebedingungen, lassen sich der jeweiligen Anwendung in weiten Bereichen anpassen. Sie sind darüber hinaus auch fotostrukturierbar, sodass einzelne, wohldefinierte Bereiche gezielt vor Feuchte geschützt werden können, wobei gleichzeitig eine Isolation der entsprechenden Schutzschichten ermöglicht wird.

Trotz der geringen Schichtdicke von nur noch zwei bis fünf µm haben die neuen Passivierungsmaterialien hervorragende Barriereeigenschaften. Bei der Kapselung von Dünnschichtkondensatoren zeigt der Vergleich von ORMOCERen (Schichtdicke etwa 5 µm) und konventionellen Schutzlacken (Dicke 1 bis 2 mm) im Klimatest unter verschärften Bedingungen (90°C,100% rel. Luftfeuchte), dass die Bauelementecharakteristika über 60 Tage erhalten bleiben, während bei konventioneller Kapselung bereits nach wenigen Tagen deutliche Einbrüche im Kapazitätsverhalten der Kondensatoren zu verzeichnen sind. Für den Einsatz beispielsweise bei flexiblen Displays wurden bereits ORMOCER-Schutzschichten mit einer Dicke unter einem µm prototypisch realisiert.

Elektronisch-optische Verbindungstechnik

Die elektronisch-optische Verbindungstechnik hat viele Vorteile. Allerdings ist auf Leiterplattenebene die Ankopplung der Lichtwellenleiter mit den jeweiligen Bauelementen nach wie vor ein großes Problem. Da die anorganisch-organischen Hybridpolymere optisch transparent sind, können sie eine sehr interessante Alternative zu herkömmlichen Kopplungsverfahren sein. Neben niedrigen optischen Verlusten (<0,01 dB/cm im sichtbaren Licht, 0,2 dB/cm bei 1310 nm und 0,55 dB/cm bei 1550 nm ohne Fluorierung) bietet dieses Material eine gute thermische (≤300°C), mechanische und chemische Stabilität.

In einem kombinierten Lithographie/UV-Prägeverfahren wurden beispielsweise diffraktive bzw. refraktive optische Elemente auf ORMOCER-Basis erzeugt, die eine problemlose Ein- und Auskoppelung von optischen Signalen ermöglichen. Die Signale eines VCSEL-Elementes (Vertical-Cavity Surface-Emitting Laser) lassen sich so zielgerichtet umlenken und über den Lichtwellenleiter zum Empfänger führen.

Klassisch lassen sich Wellenleiter zur optischen Datenübertragung einfach in der Mehrlagentechnik der Multi-Chip-Modul-Herstellung einbringen. Dazu wird eine der dielektrischen Lagen mit einem ORMOCER mit höherer Brechzahl ausgeführt und fotolithografisch prozessiert, um einen Wellenleiter in dieser Lage zu erzeugen.

Neuere Entwicklungen erlauben es sogar, Kern und Mantel für Lichtwellenleiter auf ORMOCER-Basis in ein und demselben Material direkt und dreidimensional mittels Lasertechnik auf Leiterplattenebene in eine dünne ORMOCER-Schicht zu schreiben. Die Brechzahlunterschiede zwischen den laserbelichteten Bereichen und dem umgebenden thermisch gehärteten Hybridpolymer-Cladding ermöglichen eine dämpfungsarme Führung der Signale, wobei die Signalintegrität deutlich höher ausfällt als bei konventionellen Polymer-Lichtwellenleitern. Das Verfahren ermöglicht zudem eine drastische Reduktion der Prozessschritte.

Diese Beispiele zeigen, dass sich nanoskalige Materialien auf vielfältige Art und Weise in der Mikrosystemtechnik einsetzen lassen. Dabei bleibt die Entwicklung keineswegs stehen, sondern wird von den Würzburger Forschern gemeinsam mit der Industrie weiter vorangetrieben. Jüngstes Beispiel für neue Anwendungen ist neben der elektronisch-optischen Signalübertragung die Realisierung von besonders dünnen Lithium-Polymer-Batterien, die sich auch in eine Baugruppe integrieren lassen.

*Andreas Stadtmüller ist freier Autor mit den Spezialgebieten Elektronik und Mikrosystemtechnik. Dr. Michael Popall ist Leiter des Geschäftsfelds Mikrosysteme im Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg.

(ID:262538)