Elektrische Rekorde der Natur Zitteraal und Hammerhai – dem Elektrosinn auf der Spur
Der erste Teil dieser neuen Artikelserie befasst sich mit den Stars unter den Bio-Elektrikern und erklärt ihre unglaublichen Fähigkeiten. Während der Zitteraal im Hochvoltbereich agiert, fühlt der Hammerhai Nanovolt.

Das wohl populärste Tier mit „elektronischen Fähigkeiten“ ist der Zitteraal. Trotz seines Namens ist er kein echter Aal, sondern zählt biologisch zu den Neuwelt-Messerfischen. Da Zitteraale oft in trüben Gewässern leben, nachtaktiv und weitestgehend blind sind [1], können sie sich nicht auf ihr visuelles System verlassen. Zur Orientierung, Kommunikation mit Artgenossen und zum Aufspüren von Beute verwenden sie die „aktive Elektroortung“. Dazu baut der Messerfisch um seinen gesamten Körper ein gleichmäßiges elektrisches Feld, gemäß einem elektrischen Dipol auf (Bild: Elektroortung).
Objekte, die in dieses elektrische Feld gelangen, verzerren diese Kraftlinien – gute elektrische Leiter verdichten die Feldlinien, schlechte drücken sie auseinander. Mit seinen Elektrorezeptoren, die sich im Kopf befinden, registriert der Zitteraal die Feldänderungen und erhält so Informationen über Form, Größe, Materialbeschaffenheit und Position von Objekten. Dabei sind Zitteraale in der Lage, Leitfähigkeitsveränderungen von nur 0,06 µV/cm zu erfassen [2].
Lange Zeit gingen Forscher davon aus, dass es nur eine Art Zitteraal, den Electrophorus Electricus gibt. Dieser ist in der Lage, Schocks mit Stromstärken von 0,83 bis 1 Ampere und einer Leistung von 415 bis 600 Watt zu erzeugen – dabei verteilt er entweder vereinzelte starke oder über eine Stunde schwächere Schocks, ohne zu ermüden [1]. 2019 jedoch entdeckten Forscher im Amazonasgebiet zwei neue Arten dieser außergewöhnlichen Spezies. Ausgewachsene Tiere der Gattung Electrophorus Voltai (Bild: Zitteraal) können Spannungsentladung von bis zu 860 V erzeugen – und brechen damit alle Rekorde im Tierreich [3].
Doch wie erzeugt der Messerfisch Elektrizität? Der Schwanzmuskel des Zitteraals (circa 2/3 des gesamten Körpers) ist genau zu diesem Zweck umfunktioniert. Um die 6000 spezielle Muskelzellen, die sogenannten Elektrozyten, sind seriell und parallel miteinander verschaltet. Jede davon erzeugt Impulse niedriger Spannung, aufsummiert entstehen so Elektroschocks von circa 2 ms mit Spannungsspitzen bis zu 860 V und 1A. Um sich selbst vor Stromschlägen (den eigenen und von Artgenossen) zu schützen, besitzen sie eine isolierende Haut und zusätzliche Fettschichten um lebenswichtige Organe [4].
Die geheimen Tricks der Zitteraale
Ist der Zitteraal auf der Jagd, lähmt er mit wohldosierten Schocks Beutetiere, die er sofort verschluckt. Doch das funktioniert hauptsächlich bei kleineren Tieren im Wasser. Beobachtungen und Experimente zeigten, dass Zitterale beim Beutefang einige Tricks auf Lager haben.
Bei großen Beutetieren machen sich die Zitteraale die Physik der Dipolfelder zunutze: Der Zitteraal verbeißt sich erst im Opfer und schlängelt sich anschließend um die Beute herum (Bild: Elektroangriff). So bringt er den positiven elektrischen Pol in seinem Kopf und den negativen elektrischen Pol im Schwanz näher zusammen. Durch die so gesteigerte elektrische Feldstärken werden nachfolgende Salven verstärkt und sorgen so für eine schnellere Ermüdung der Beute [5].
Aber Zitteraale können auch springen – ein Verhalten, dass bereits Alexander von Humboldt 1800 beobachtet hat und lange bezweifelt wurde. Der Biologe Kenneth Catania von der Vanderbilt University untersuchte dieses Verhalten genauer. Er fand heraus, dass die Zitteraale ihre Sprünge mit Salven elektrischer Schläge koordinieren. Dabei steigt sowohl die Spannung als auch die Stromstärke der Salven an, je näher die Messerfische der Wasseroberfläche kamen. Heben die Tiere ihren Körper teilweise aus dem Wasser, leiten sie den Strom von ihrem Kinn direkt in ihr Ziel.
Der elektrische Strom laufe so durch den Körper des Opfers hindurch und schließlich wieder im Wasser in den Schwanz des Zitteraals, wodurch der Stromkreis geschlossen werde. Laut Catania ermöglicht dies den Zitteraalen, Stromschläge mit maximaler Stärke an angreifende Landtiere auszuteilen, die in ihr Territorium eindringen und deren Körper nur teilweise unter Wasser ist [6, 7, 8].
Das besonders sensible Schnabeltier
Aber auch andere Tiere – Haie oder Schnabeltiere – haben einen Elektrosinn. Sie sind jedoch nicht in der Lage, elektrische Signale auszusenden, ihnen hilft die passive Elektroortung bei der Nahrungssuche und bei der Orientierung. Das Schnabeltier ist ein eierlegendes Säugetier mit biegsamem Schnabel und einem Giftsporn am Hinterfuß. Es bewegt seinen Hornschnabel bei Tauchgängen wie einen Metalldetektor hin und her – Augen, Ohren und Nase hält es dabei geschlossen.
An der Oberfläche des Schnabels – eigentlich die verlängerte Nase des Tiers – sitzen 40000 empfindliche Elektrosensoren, die elektrische Felder von 4 bis 5 µV/cm, beispielsweise erzeugt durch Muskelbewegungen von Beutetieren registrieren [9]. Ergänzt wird der Elektrosinn durch etwa 60000 hochfeine mechanische Rezeptoren in der Schnabelhaut. So können sie noch die seichtesten Wellenbewegungen, ausgelöst durch kleine Beutetiere wie Kaulquappen, wahrnehmen.
Wissenschaftler sind sich sicher, dass sich die Elektrorezeptoren aus einem Tastsinnesorgan entwickeln konnte, das nahezu alle Säugetiere besitzen. Das deutet darauf hin, dass diese Art der Elektrowahrnehmung auch bei anderen Säugetierarten entdeckt werden könnte, wie auch bei Delphinen [9].
Die Superkräfte der Haie
Haie sind erfolgreiche Jäger, denn sie hören sehr gut, sehen bei Dunkelheit besser als Katzen und orten selbst über Hunderte von Metern den Geruch ihrer Beute. Mit ihrem Seitenlinienorgan nehmen Haie Druckschwankungen wahr, so erkennen sie Schwimmbewegungen oder Strömungen.
Und auch Haie besitzen einen elektrischen Spürsinn. Mit speziellen Sinnesorganen, den sogenannten Lorenzinischen Ampullen, die unter der Haut am Kopf sitzen, spüren Haie schwache elektrische Felder auf und nehmen Temperaturunterschiede von 0,2 K wahr [10]. Die Empfindlichkeit für elektrische Felder liegt bei 10 nV/cm. Damit sind sie die Rekordhalter im Tierreich – selbst für den dem Menschen ist es mit modernster Technik eine Herausforderung, so schwache elektrische Felder im Meerwasser zu messen.
R. Douglas Fields beschreibt in seinem Artikel „Der sechste Sinn der Haifische“ [11] anschaulich, wie empfindlich Haie sind: „Demnach würden Haie es merken, ob eine 1,5-Volt-Batterie an- oder abgeschaltet ist, deren einer Pol im Atlantik vor New York und deren anderer Pol vor Florida eingetaucht wäre.“
Eigentlich erzeugen alle potenzielle Beutetiere im Wasser schwache elektrische Pulse: beispielsweise das schlagende Herz, andere Muskeln oder das Gehirn. Die Pulse schwanken allerdings im Bereich von Millisekunden und sind zu schnell für die Lorenzinischen Ampullen (Bild: Hammerhai). Diese können elektrische Felder erfassen, die sich nur langsam ändern, wie etwa bei galvanischen Batterien. Auch ein Fischkörper im Meerwasser stellt eine schwache Batterie da, da zwischen den Zellen und dem Meerwasser eine Spannung besteht [11].
Doch wozu benötigen Haie so einen sensitiven Elektrosinn, wenn auch die anderen Sinne so gut ausgeprägt sind? Forscher haben herausgefunden, dass Haie ihren Elektrosinn erst im letzten Augenblick des Angriffs zur Ortung der Beute nutzen. Davor verlassen sich die Tiere eher auf ihre anderen Sinne [11].
Forscher vermuten, dass Hammerhaie durch ihre verbreiterte Kopfform Vorteile gegenüber Artgenossen mit „normaler“ Kopfform bei der Beutejagt haben. Während bei einem Blauhai die Lorenzinischen Ampullen eher kreisförmig auf ein Zentrum in der Kopfmitte ausgerichtet sind, zentrieren sich diese beim Hammerhai auf drei Zentren. Nach einer vergleichenden mathematischen Modellierung der Wahrnehmung soll sich so sowohl die Intensität der Wahrnehmung als auch die Richtungszuordnung der elektromagnetischen Felder potenzieller Beutetiere verbessern [12, 13, 14].
Diese Theorie konnten Forscher in einem Versuch mit Hammerhaien und Braunhaien jedoch nicht bestätigen. Vorteile bringen dem Hammerhai jedoch die weit auseinanderliegenden Augen. Er besitzt einen nahezu perfekten Rundumblick und kann potenzielle Beutetiere so schneller erkennen [15].
Vermutlich sind die Lorenzinischen Ampullen für die Orientierung am Erdmagnetfeld von großer Bedeutung. Haie besitzen somit wahrscheinlich nicht nur einen Elektrosinn, sondern auch einen Magnetsinn, wie Zugvögel oder manche Schildkrötenarten. (jw)
Quellen und Hintergrundinformationen
[1] https://www.zoo.ch/de/naturschutz-tiere/tier-pflanzenlexikon/zitteraal
[2] Szabo T. (1977) Elektrorezeption und Ortung im elektrischen Feld. In: Hoppe W., Lohmann W., Markl H., Ziegler H. (eds) Biophysik. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-96298-1_15
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-96298-1_15?noAccess=true
[3] de Santana, C.D., Crampton, W.G.R., Dillman, C.B. et al. Unexpected species diversity in electric eels with a description of the strongest living bioelectricity generator. Nat Commun 10, 4000 (2019). https://doi.org/10.1038/s41467-019-11690-z
https://www.nature.com/articles/s41467-019-11690-z
[4] [K. Passig, A. Scholz, K. Schreiber: Das neue Lexikon des Unwissens – Worauf es bisher keine Antwort gibt; 2013, Rowohlt Taschenbuch; ISBN: 978-3-499-62731-6
[5] Catania, 2015, Current Biology 25, 2889–2898 November 16, 2015 a2015 Elsevier Ltd
http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2015.09.036
https://www.cell.com/action/showPdf?pii=S0960-9822%2815%2901147-1
[6] [K. C. Catania: Leaping eels electrify thrats, supporting Humboldt’s account of a battel with horses, PNAS, 113 (25) 6979-6984, https://doi.org/10.1073/pnas.1604009113
[7] M. Bates, Aal-Attacke: Zitteraale springen zum Schocken aus dem Wasser, National Geographic, August 2020 https://www.nationalgeographic.de/tiere/2020/08/aal-attacke-zitteraale-springen-zum-schocken-aus-dem-wasser
[9] https://www.scinexx.de/dossierartikel/schnabeltiere-jagen-mit-elektrosinn/
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Lorenzinische_Ampullen
[11 ] https://www.spektrum.de/magazin/der-sechste-sinn-der-haifische/905470
R. Douglas Fields: Der sechste Sinn der Haifische, Spektrum der Wissenschaft November 2007
[12] Brown, B. R. (2002). Modeling an electrosensory landscape: Behavioral and morphological optimization in elasmobranch prey capture. The Journal of Experimental Biology, 205, 999-1007
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Hammerhaie#Funktion_der_Kopfverbreiterung
[15] Electroreception in juvenile scalloped hammerhead and sandbar sharks, Stephen M. Kajiura, Kim N. Holland, J Exp Biol (2002) 205 (23): 3609–3621. https://doi.org/10.1242/jeb.205.23.3609]
* Dr. Anna-Lena Gutberlet arbeitet als freiberufliche Autorin, unter anderem für die ELEKTRONIKPRAXIS. Hier betreut sie neben dem Schwerpunkt Elektronikfertigung aktuelle Themen aus Forschung und Wissenschaft.
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