Herausforderung EMV-Test Virtuelle Prototypen: Leistungselektronik erfolgreich simulieren

Von Albert Dunford, Chris Penndorf* Lesedauer: 5 min

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Immer kürzere Schaltzeiten machen Leistungselektronik effizienter, steigern aber auch den Aufwand für deren EMV-Konformität. Kostenintensive Prototypentests, beispielsweise von Wechselrichtern, werden durch die Simulation virtueller Prototypen ersetzt – doch SPICE-Modelle stoßen hier oft an ihre Grenzen. Ein speziell für die Simulation hochfrequent schaltender Leistungselektronik entwickeltes Tool sorgt für Abhilfe.

Leistungselektronik in einem Elektrofahrzeug: Wegen der immer höheren Schaltfrequenzen müssen Entwickler die EMV-Konformität ihrer Schaltung in einem frühen Projektstadium durch Simulation evaluieren.
Leistungselektronik in einem Elektrofahrzeug: Wegen der immer höheren Schaltfrequenzen müssen Entwickler die EMV-Konformität ihrer Schaltung in einem frühen Projektstadium durch Simulation evaluieren.
(Bild: Altair Engineering)

Leistungselektronik, vor allem in Form von Invertern, ist in industriellen Anwendungen allgegenwärtig und spätestens seit den Trends der E-Mobilität und der erneuerbaren Energien auch in vielen Haushalten angekommen. Für die Berechnung von Störgrößen, insbesondere leitungsgebundener Störungen, muss die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) von Leistungselektronik zwingend modelliert werden – für Entwickler eine besondere Herausforderung.

Die sich wiederholenden Ein- und Ausschaltvorgänge der Schalter sind eine Quelle für hochfrequentes Rauschen, das sich über Kühlkörper einkoppelt oder über Kabel abstrahlt. Die Hersteller der Komponenten stellen offizielle Modelle für die Schaltungssimulation mit dem Open-Source-Werkzeug SPICE zur Verfügung, doch diese bereiten im Einsatz einige Probleme. Denn die Modelle sind zum einen langsam, und zum anderen kommt es mit SPICE zu Konvergenzproblemen, sobald die Komplexität der Schaltung über einige wenige aktive Schalter hinausgeht.

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Während der Schaltvorgänge bereiten die steilen Schaltflanken der Ströme und Spannungen und die daraus folgenden mathematischen Ableitungen den üblichen, SPICE-basierten Simulationswerkzeugen Probleme. Diese Solver sind einfach nicht für die Schaltvorgänge moderner Leistungselektronik ausgelegt. Als Folge umfasst der Entwicklungsprozess in der Regel keine EMV-Simulation und lagert das Identifizieren des Problems und die Suche nach der Lösung auf den späteren Test eines physischen Prototyps aus.

Spät und teuer: Tests mit physischen Prototypen

Der Bau von Prototypen und die Prüfung im Testlabor bedeuten für Unternehmen aber einen hohen Zeit- und Kostenaufwand, denn physische Tests führen bei der Entwicklung eines neuen Produkts zwangsläufig zu aufwändigen Iterationen. Darüber hinaus können für die EMV-Konformität wichtige Designentscheidungen nicht mehr während der frühen Phasen des Schaltungsentwurfes getroffen werden, sondern sind erst spät im Entwicklungsprozess möglich.

Das führt häufig dazu, dass suboptimale Ergebnisse und Leistungseinbußen in Kauf genommen werden müssen. Zudem sind Entwickler bei neuen Topologien und Techniken zurückhaltend, da sie befürchten, zu weit von bewährten Konstruktionslösungen und den Erfahrungen aus früheren Projekten abzuweichen.

SPICE als Industriestandard

SPICE ist der Industriestandard für nicht-ideale Schaltungskomponenten, doch kann die Simulation eines Wechselrichters für den Antriebsmotor oder einer typischen On-Board-Ladetopologie mit diesem Tool zu sehr langen Rechenzeiten führen oder aufgrund fehlender Konvergenz sogar scheitern. Die offiziellen, von den Herstellern herausgegebenen Komponentenmodelle greifen nicht mehr auf das SPICE-Modul „.nmos“ zurück. Die Modelle sind eine Sammlung aus gesteuerten Quellen und logischen Anweisungen, mit deren Komplexität SPICE-Solver häufig überfordert sind. Zu den typischen Beispielen, die von den Herstellern zur Verfügung gestellt werden, gehören die Doppelpuls-Testschaltung (siehe Bild 1) und ein Synchron-Abwärtswandler – welche die mitunter einfachsten Beispielschaltungen abbilden.

SPICE auf dem Prüfstand

Mit PSIM stellt Altair ein speziell für die Simulation hochfrequent schaltender Leistungselektronik entwickeltes Tool zur Verfügung. Das Altair-Team hat kalibrierte PSIM Level 2 & Level 3 Schaltermodelle (mit nicht-idealen Schaltvorgängen) mit den offiziellen SiC SPICE Modellen der Hersteller in folgenden, zunehmend komplexen Topologien getestet und verglichen (siehe Bilder 2 und 3):

  • Schaltung für den Doppelpulstest,
  • zweistufiger Dreiphasen-Wechselrichter (im Weiteren nur „Wechselrichter“),
  • zweistufiger Wechselrichter mit parasitären Pfaden in Gleich- und Gegentakt (engl. „common mode“ und „differential mode“),
  • zweistufiger Wechselrichter mit parasitären Elementen und einem Kabelmodell mit ortsabhängig verteilten Parametern, abgeleitet aus der Multi-Transmission-Line-Methode (MTL) und
  • dreistufiger Wechselrichter vom T-Typ mit MTL-Kabelmodell.

Für den zweistufigen Wechselrichter waren die SPICE-Modelle der Hersteller 100-mal langsamer als die PSIM-Modelle oder konvergierten nicht. Keines der getesteten SPICE-Modelle funktionierte, sobald alle parasitären Pfade des Gleich- und Gegentakts eingeführt wurden. Es wurde zwar keine statistisch abgesicherte Untersuchung aller SPICE-Modelle der Hersteller durchgeführt, aber es zeigte sich deutlich, dass es mit SPICE bei der Simulation von parasitären Effekten in der Regel zu großen Konvergenzproblemen kommt.

Modellieren mit PSIM

Die Experten von Altair haben die PSIM-Modelle mit den SPICE-Modellen für einfache Schaltungen korreliert und kalibriert, um Vertrauen in die Simulationsergebnisse bei erweiterten Topologien zu gewinnen. Die Konvergenz des PSIM-Modells war für einen zweistufigen Wechselrichter mit RL-Last (siehe Bilder 4 bis 6) sehr schnell, einschließlich:

  • Schaltermodelle (Level 2 oder 3),
  • 5-10 nH parasitäre Induktivität in allen Leiterbahnen,
  • 30-50 pF Gleichtaktkapazitäten zu allen Leiterbahnen,
  • Ersatzwiderstand und Ersatzinduktivität für den Zwischenkreiskondensator.

Die Konvergenz betrug 100 ms in 4 Sekunden Echtzeit oder 25 ms/S. Dann wurde die Komplexität des Systems auf einen dreistufigen T-Typ Wechselrichter (Bilder 7 bis 10) mit folgenden Eigenschaften gesteigert:

  • 12 Schaltermodelle (Level 3),
  • 5-10nH parasitäre Induktivität in allen Leiterbahnen,
  • 30-50pF Gleichtaktkapazitäten zu allen Leiterbahnen,
  • Ersatzserienwiderstand (ESR) und Ersatzserieninduktivität (ESL) für den Zwischenkreiskondensator und
  • MTL-Kabelmodell.

Hier verlangsamte sich die Konvergenz auf 1 ms/Minute für 100 Minuten bei einer Simulationsdauer von 100 ms. Dies stellt immer noch einen sehr brauchbaren Wert dar, insbesondere in Verbindung mit automatisierten Simulationsreihen.

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Mit Skripting schneller zu Ergebnissen

Automatisierte Simulationsreihen sind eine weitere leistungsstarke Funktion von Altair PSIM. Sie ermöglichen es, mit Hilfe von Skripten unter anderem eine Simulation bis zum eingeschwungenen Zustand laufen zu lassen. Dieser eingeschwungene Zustand kann als Startpunkt für mehrere Testszenarien dienen, die automatisiert parallel ausgeführt werden. Die Möglichkeit, von einer Anfangsbedingung auszugehen und dabei Parameter, Attribute und Zeitschritte der parallel ausgeführten Simulation zu ändern, erlaubt die Durchführung von erheblich mehr Rechnungen in der gleichen Zeit. Dank der Entwurfs- und Simulationsautomatisierung können sich Ingenieure auf die Ursachen von EMV-Problemen konzentrieren und diese entschärfen, sodass umfangreiche Filterschaltungen nicht mehr benötigt werden.

Fazit: Mit Altairs PSIM-Simulationstool sind Entwickler von Leistungselektronik in der Lage, in ihren Berechnungen Entwicklungsziele für EMV zu berücksichtigen (siehe Vergleich zur Messung in Bild 11). Auch wenn die Ergebnisse nicht perfekt sind, können Entwickler auf ihrer Basis bessere Entwürfe und Topologien entwickeln, um mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen, noch bevor Prototypen gebaut werden. Dadurch gibt es nicht nur weniger Designiterationen, sondern auch so mancher kurz vor Ablauf der Projektfrist getätigter „Notruf“ beim externen Berater wird vermieden. (cg)

* Albert Dunford ist Director GTT Systems Modelling, Chris Penndorf ist Business Development Manager, beide bei Altair Engineering

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