Wege aus der Chipkrise European Chips Act: Das fordert der ZVEI

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Der neue European Chips Act muss ein wettbewerbsfähiges Ökosystem für Mikroelektronik schaffen, fordert der ZVEI und der Wirtschaftsverband DigitalEurope. Besonders wichtig dafür seien günstige Investitionsbedingungen in Europa für den gezielten Aufbau von Produktionskapazitäten.

Der European Chips Act soll dafür sorgen, dass wieder mehr (Logik-)Chips auf dem europäischen Kontinent gefertigt werden. Interessenvertreter wie der ZVEI geben Handlungsempfehlung zur Ausgestaltung des Rahmenwerks.
Der European Chips Act soll dafür sorgen, dass wieder mehr (Logik-)Chips auf dem europäischen Kontinent gefertigt werden. Interessenvertreter wie der ZVEI geben Handlungsempfehlung zur Ausgestaltung des Rahmenwerks.
(Bild: Infineon Technologies)

Nahezu zeitgleich zum Positionspapier des VDE hat auch der Elektronik- und Digitalverband ZVEI ein Strategiepapier vorgelegt. Es fokussiert sich auf den Halbleiterbereich, der jetzt seit fast einem Jahr von massiven Mikrochip-Lieferengpässen geprägt ist. Diese betreffen viele europäische Unternehmen quer durch alle Branchen. Auf Basis des ZVEI-Papiers hat der europäische Wirtschaftsverband DigitalEurope mehrere Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger formuliert.

Dies kommt kurz nachdem die Europäische Kommission ihren „European Chips Act“ vorgestellt hat. Auf Basis dieser Strategie soll dem Rückgang des europäischen Anteils an der weltweiten Halbleiterproduktion von 22 Prozent im Jahr 1998 auf heute 8 Prozent entgegengewirkt werden. Andere Regionen der Welt konnten im selben Zeitraum deutlich zulegen. Doch die Summe der von der EU-Regierung für den Zeitraum 2020 bis 2030 vorgesehenen Anreize für die Halbleiterindustrie beträgt nur einen Bruchteil dessen, was beispielsweise China und die USA für denselben Zeitraum in Aussicht gestellt haben.

Chip ist nicht gleich Chip

Zunächst zu einer Begriffsklärung: Wenn von Chipmangel die Rede ist, sind meist Engpässe bei Logikchips gemeint. Die meisten in Europa verbauten Prozessoren und Controller stammen aus Fernost oder den USA. Dort stehen die modernsten Fabs, und bislang ging die Gleichung mit einer Just-In-Time-Lieferung selbst über große Distanzen auch gut auf. Kaum ein Unternehmen agierte in den letzten Jahren noch mit größeren Lagerbeständen. Doch nun haben die Corona-Pandemie und eklatante Fehleinschätzungen der Marktentwicklung diesem Supply-Modell den Stecker gezogen.

In Europa entfallen rund 37 Prozent der Halbleiternachfrage auf die Automobilindustrie, gibt der Europäische Verband der Automobilzulieferer an – weltweit sind es nur 10 Prozent. Europäische Hersteller wie STMicroelectronics oder NXP fertigen ihre Mikrocontroller mit zwar bewährten und robusten, aus dem Blickwinkel heutiger Spitzentechniken aber veralteten Verfahren, die noch auf Prozessknotengrößen von 22 nm und mehr basieren. Zum Vergleich: Beim größten Auftragsfertiger TSMC läuft längst die Massenproduktion zuverlässig mit EUV-belichteten 5-nm-Knoten, bei Samsung läuft der 8-nm-LPP-Prozess (Low Power Plus) auf Hochtouren.

Mehr Rechenleistung und bessere Energieeffizienz nur mit modernen Prozesstechnologien

Für die steigenden Anforderungen an Energieeffizienz und Rechenleistung zum Beispiel in modernen Elektroautos stoßen ICs mit großen Prozessknoten an Grenzen: Da immer mehr Transistoren pro Chip integriert werden müssen, steigt sowohl der Strom- als auch der Flächenverbrauch überproportional gegenüber Technologien mit kleinen Prozessknoten.

Daher mahnt etwa Christin Eisenschmid Vice President und Geschäftsführerin der Intel Deutschland GmbH und Direktorin für weltweite Regierungsbeziehungen: „Um in einem ersten Schritt der wachsenden Nachfrage nach hochleistungsfähigen Rechenkapazitäten in Autos Rechnung zu tragen, muss die Branche die Produktion von Automobilchips von älteren Prozesstechnologien, wie die meisten Automobilchips derzeit hergestellt werden, auf modernere Prozesstechnologien umstellen.“

Bei Leistungs-ICs sind europäische Hersteller Spitze

Das gilt wie gesagt für Logikchips. Ein anderes Bild zeigt sich bei elektrischen Leistungskomponenten: Hier ist die Versorgungslage für europäische Unternehmen deutlich besser. Infineon ist Marktführer mit einem Anteil von gut 20 Prozent, auch Bosch ist erfolgreich in diesem Metier unterwegs. Beide Unternehmen haben zudem massiv in ihre europäischen Fertigungskapazitäten investiert: Infineon hat erst im Oktober eine neue Fabrik im österreichischen Villach eröffnet, Bosch im Juli ein hochmodernes Werk in Dresden. Weitere Kapazitätsaufstockungen sind bereits in Planung.

Um Schlüsselsektoren der Wirtschaft wie die verarbeitende Industrie, die Unterhaltungselektronik und das Gesundheitswesen stets sicher beliefern zu können, müssen sich politische Maßnahmen nach Ansicht des ZVEI ab sofort auf die Sicherung der Versorgung mit Chips aller Größen konzentrieren. Zum Aufbau eines florierenden Ökosystems für die Mikroelektronik seien nicht nur öffentliche Mittel nötig, sondern insgesamt günstige Rahmenbedingungen, sind die Autoren des Positionspapiers überzeugt.

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„Wir müssen die Produktionskapazitäten für Chips aller Strukturgrößen im Einklang mit der Marktdynamik ausbauen“, blickt Wolfgang Weber nach vorn. Der Vorsitzende der ZVEI-Geschäftsführung ist überzeugt, dass Europas nachgelagerte Industrien in den kommenden Jahrzehnten sowohl Hochleistungsprozessoren in kleineren Strukturgrößen als auch Leistungshalbleiter, Sensoren oder mikroelektromechanische Systeme (MEMS) in ausgereifteren Strukturgrößen benötigen werden: „Allein die Nachfrage nach Leistungshalbleitern wird sich bis 2030 verdreifachen."

Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger

Nun hat DigitalEurope auf der Grundlage des ZVEI-Papiers mehrere Handlungsempfehlungen formuliert: Die Europäische Union sollte nach einer sorgfältigen Analyse der Marktnachfrage Produktionskapazitäten ausbauen beziehungsweise das Fundament für den Auf- und Ausbau legen. Die Industrie brauche in den kommenden Jahren sowohl Chips größerer als auch kleinerer Strukturgrößen, erläutert DigitalEurope. Tatsächlich geht es bei Spitzeninnovationen nicht nur um die Strukturgröße beziehungsweise Prozessknoten der Chips, sondern um die gesamte Wertschöpfungskette, das heißt um neue Produktionsverfahren, neue Materialien und die nötigen Produktionsanlagen.

Der von der Europäischen Kommission angekündigte European Chips Act muss nach Ansicht von DigitalEurope unter anderem ein günstiges Umfeld für Investitionen schaffen, zum Beispiel Steueranreize setzen, Baugenehmigungen beschleunigen sowie die Nachwuchsförderung stärken. EU-Kommissar Thierry Breton hatte bei der Vorstellung des Programms erklärt, dass die EU bestrebt sei, Fertigungskapazitäten von Halbleitern im Bereich von 5 nm und darunter aufzubauen.

Gemeinsam Kennzahlen definieren und Zeitplan aufstellen

Die neue Europäische Halbleiterallianz sei eine vielversprechende Gruppe, die sich intensiv mit diesem Thema befasse. Sie müsse Entwickler, Hersteller und Nutzer von Chips mit Interessenvertretern der Industrie und den EU-Mitgliedstaaten zusammenbringen, so dass man sich zusammen auf klare Kennzahlen sowie einen Zeitplan einigen könne.

Gleichzeitig soll aber keine Autarkie angestrebt werden: Der Halbleitermarkt ist global und wird es auch bleiben. Foren wie etwa der EU-US Trade and Technology Council sollten laut DigitalEurope ebenfalls stärker genutzt werden, um die globalen Lieferketten zu verbessern.

„Der Entwurf des European Chips Act muss die Bedarfe der Industrie berücksichtigen und darf nicht nur von der Politik bestimmt werden“ fordert Cecilia Bonefeld-Dahl, Generaldirektorin von DigitalEurope. Natürlich brauche man mehr Finanzmittel, aber der richtige Weg, um Europa zu einem globalen Halbleiterzentrum zu machen, „ist es, ein unterstützendes Geschäftsumfeld durch Anreize und Qualifikationen zu schaffen."

Über DigitalEurope

DigitalEurope ist ein europäischer Wirtschaftsverband, der die sich im digitalen Wandel befindlichen Branchen in Europa vertritt. Seine Mitglieder repräsentieren über 35.000 Unternehmen, die in Europa tätig sind und investieren. Dazu gehören 91 Unternehmen, die in ihrem Tätigkeitsbereich weltweit führend sind, sowie 39 nationale Wirtschaftsverbände aus ganz Europa. DigitalEurope vertritt sowohl Unternehmen, die in der Wertschöpfungskette der Mikroelektronik tätig sind als auch nachgelagerte Sektoren wie die Konsumgüter-, Digital-, Gesundheits- und Fertigungsindustrie.

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