Green Tech: Windschiffe Elektrosegel: So werden selbst Dickschiffe umweltfreundlich

Von Kristin Rinortner

Umweltschädliche Emissionen der weltweiten Schifffahrt reduzieren: Mit diesem Ziel hat das spanische Start-up bound4blue eine neuartige Antriebstechnik entwickelt – vollautomatisierte Segel, die den Kraftstoffverbrauch bis zu 40 Prozent reduzieren und auch Handels- und Kreuzfahrtschiffe umweltfreundlich machen.

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Schiffe der Zukunft: Elektrosegel sparen bis zu 40 Prozent Schweröl. Die Idee ist nicht neu, scheiterte aber bisher am Wirkungsgrad und Werkstoffen.
Schiffe der Zukunft: Elektrosegel sparen bis zu 40 Prozent Schweröl. Die Idee ist nicht neu, scheiterte aber bisher am Wirkungsgrad und Werkstoffen.
(Bild: igus)

Ein Großteil der Hochsee-, Küsten- und Binnenschiffe fährt immer noch mit Schweröl und Diesel. Um in der internationalen Schifffahrtsindustrie das gemeinsame Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, entwickeln Ingenieure deshalb fieberhaft grünere Antriebstechnologien – etwa Elektromotoren oder Treibstoffe auf Methanol- und Ammoniakbasis.

Das Start-up bound4blue aus Barcelona geht in eine ganz andere Richtung. Die Ingenieure nutzen die Windkraft, um den Treibstoffverbrauch zu senken. Aufgrund der aktuellen Energiepreise wird dieses Prinzip äußerst interessant.

Die Idee der „Windschiffe“ gibt es schon seit den 1920er Jahren als der deutsche Ingenieur Anton Flettner (1885–1961) den nach ihm benannten Rotor für den Antrieb sogenannter Rotorschiffe entwickelte. Der Flettner-Rotor ist ein der Windströmung ausgesetzter rotierender Zylinder. Er wirkt wie ein Segel und erzeugt durch den Magnus-Effekt eine Kraft quer zur Anströmung und somit einen Vortrieb.

Rotorschiffe setzten sich jedoch nicht durch, da Dampfturbinen und Dieselmotoren effizienter und windunabhängig arbeiteten. Später wurde das Prinzip des Flettner-Rotors wieder aufgegriffen: Im im Jahr 2008 gebauten E-Ship 1 verwendete man echte Flettner-Rotoren in bis zu diesem Zeitpunkt nicht genutzter Größe, die Hilfsantrieb und Schiffsstabilisatoren sind.

Das Turbovoile-Segelsystem

Einen zweiten Ansatz für ein neues Segelprinzip auf Basis des Magnus-Effekts fanden in den 1980er Jahren Lucien Malavard, Bertrand Charrier und Jacques-Yves Cousteau, das u.a. auf Cousteaus Forschungsschiff Alcyone genutzt wurde.

Bei dem patentierten Segelsystem mit dem Namen Turbovoile bzw. engl. Turbosail wird der Dieselmotor durch zwei Segel aus senkrecht stehenden elliptischen Rohren unterstützt. Die beiden Zylinder liefern etwa 25 bis 30 Prozent der Antriebsenergie.

Im Gegensatz zum Flettner-Rotor rotieren die Zylinder nicht, sondern maximieren den Luftstrom auf der windabgewandten Seite (Lee) durch einen Strömungsabweiser und eine dahinter liegende Vorrichtung, die die Turbulenzen absaugt. Auf letzterem Prinzip setzt die Technik von bound4blue auf.

Enormer Vortrieb dank elektrischem Saugmechanismus

Die Erfindung der spanischen Ingenieure besteht aus zwei komplementären Antriebssystemen: den Wingsails und den eSails. Dahinter verbergen sich rund 20 m hohe Giganten, die an Deck montiert sind und sich automatisch nach dem Wind ausrichten – ähnlich wie ein klassisches Segel.

Das Wingsail ist windunterstütztes Antriebssystem, das die gleichen aerodynamischen Prinzipien wie ein Flugzeugflügel nutzt. Wenn es dem Wind in einem bestimmten Anstellwinkel ausgesetzt ist, erzeugt es Vortrieb. Durch die Einstellung dieses Winkels können Vortrieb und Luftwiderstand gesteuert werden.

Es arbeitet völlig passiv (zur Erzeugung des Vortriebs ist keine Kraft erforderlich). Der Luftwiderstand ist minimal, was das Flügelsegel sehr effizient macht, wenn man dicht am Wind segelt. Das System lässt sich zusammenklappen und verbraucht so wenig Platz an Deck.

Das säulenartige eSail erinnert an das Turbovoile-Prinzip: Durch eine elektrisch angetriebene Vorrichtung wird während der Fahrt Wind auf der Segelrückseite angesaugt. Dadurch werden Verwirbelungen deutlich reduziert und der Luftstrom wieder an das Segel angepasst, was einen enormen Vortrieb erzeugt, der bis zu sieben Mal höher als bei einem herkömmlichen Segel sein soll. So können die Schiffmotoren entlastet werden.

Mithilfe der Wingsails und eSails lässt sich laut spanischem Hersteller der Kraftstoffverbrauch um bis zu 40 Prozent reduzieren. So soll eine Amortisationszeit von weniger als fünf Jahren gewährleistet sein. Um Reedereien von diesem neuen Antriebssystem zu überzeugen, wollen die Ingenieure zudem den Wartungsaufwand möglichst gering halten.

Raue Umgebungsbedingungen erfordern spezielle Werkstoffe

Das System muss hohen Belastungen, salzigem Seewasser, hoher Luftfeuchtigkeit und wechselnden Temperaturen über Jahre standhalten – ohne häufige Technikereinsätze. Ansprüche, denen nicht nur die größten, sondern auch die kleinsten Bauteile gerecht werden müssen – etwa die Gleitlager. Beim eSail kommen Komponenten von igus zum Einsatz.

So nutzen die Konstrukteure für die Getriebewellen und Stützstangen des Segels zylindrische Gleitlager des Werkstoffs iglidur X. Die Polymerlager korrodieren auch im direkten Kontakt mit Seewasser nicht. Anders als bei vielen Lagern aus Metall können Reedereien zudem auf Schmierarbeiten verzichten.

Festschmierstoffe sorgen als wichtiger Bestandteil in den igus-Werkstoffen dafür, dass ein wartungsfreier Trockenlauf gänzlich ohne Schmieröl möglich ist. Auch im Pilot-System – ein Sensor zur Messung des atmosphärischen Drucks – kommt Lagertechnik des „motion plastics“-Spezialisten zum Einsatz.

Hier vertrauen die Spanier auf Radialrillenkugellager der Serie xirodur B180. Die Lager bestehen aus vier, hauptsächlich spritzgegossenen, Komponenten: aus Innen- und Außenringen aus Hochleistungskunststoff sowie einem Käfig und Kugeln aus Edelstahl. Sie arbeiten ebenfalls schmiermittelfrei, sind seewasserbeständig und einsetzbar in Temperaturbereichen zwischen –40 und 80 °C. Ein positiver Nebeneffekt: Die Lager sind ca. 60 Prozent leichter und bis zu 40 Prozent günstiger als vergleichbare Metalllager.

Quellen:
[1] Flettner-Rotor, dewiki, abgerufen 28.4.2022
[2] Flettner-Rotor, wikipedia, abgerufen 28.4.202
[3] Säulen statt Segel, Deutschlandfunk, abgerufen 28.4.2022
[4] Beschreibung des Turbovoile-Antriebs, abgerufen 28.4.2022

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