Lieferkettenmanagement Drei Wege für eine resiliente Lieferkette

Von Margit Kuther Lesedauer: 5 min

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Noch immer gibt es riesige Löcher in den globalen Lieferketten. Ein Strategiewechsel im Supply-Chain-Management in den Bereichen Design-Phase, Fertigungsstätten und Lagerhaltung kann Ausfälle abmildern. Wie, verrät dieser Beitrag.

Blick ins Warenlager von Plexus: Kampf den Lieferkettenproblemen
Blick ins Warenlager von Plexus: Kampf den Lieferkettenproblemen
(Bild: Plexus)

Globale Lieferausfälle gehören weiterhin zum Alltag. Selbst wenn Hersteller bis Ende 2023 wieder mit einer vollständig soliden Supply Chain rechnen können, ist eine Zukunft gänzlich ohne Unterbrechungen wohl kaum wahrscheinlich.

Laut einer Studie von McKinsey treten durchschnittlich alle 3,7 Jahre Störungen von mindestens einem Monat auf. Ein Strategiewechsel in Sachen Lieferketten sollte deswegen auf mehr Agilität, Flexibilität und Resilienz abzielen, um auch in Krisenzeiten und bei hoher Nachfragevolatilität dringend benötigte Produkte oder Komponenten fristgerecht beziehen zu können. Welche Rolle spielt dabei das Produktdesign? Reicht es, die Produktion wieder in Herkunftsländer zurückzuführen? Und wie können Hersteller die richtige Balance zwischen Push- und Pull-Strategien in ihre Supply Chain Management integrieren?

1. Design for Supply Chain

Viele Probleme in der Lieferkette beginnen bereits beim Design. Es macht deshalb Sinn, die Supply Chain schon in dieser Phase nicht außer Acht zu lassen. Das Entwicklerteam sollte sich daher bereits in der Designphase mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Sind die gewünschten Teile verfügbar? Können Lieferanten notwendige Komponenten zu den vereinbarten Fristen liefern? Gibt es mehrere Zulieferer eines kritischen Bauteils (Diversifikation)? Gibt es günstigere Alternativen? Und mit welchen Risiken entlang der Supply Chain ist zu rechnen?

Ein erfolgreiches Design for Supply Chain setzt voraus, dass Hersteller noch stärker in die Zusammenarbeit mit Zulieferern investieren. Hier sollte der Fokus nicht auf ad-hoc-Kosteneinsparungen liegen. Statt nach dem günstigsten Preis zu suchen und kurzweilige Verträge mit Zulieferern abzuschließen, versprechen langfristige und enge Beziehungen innerhalb der Supply Chain unterm Strich ein effizienteres Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Die kontinuierliche Kommunikation und der Austausch zwischen Entwicklern, Supply-Chain-Managern und Fertigungspartnern ist hier nicht zu unterschätzen. Kollaborative Arbeitsabläufe ermöglichen es, Fehler, Verzögerungen und Ineffizienzen innerhalb der Supply Chain rechtzeitig zu identifizieren, zu eliminieren, die Time-to-Market einzuhalten und so wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein stetiger Austausch aller Parteien ermöglicht den Entwicklern, alternative Komponenten zu finden, um das Design erfolgreich in die Fertigung zu überführen. Ganz nach dem Motto: Je früher eventuelle Risiken in der Lieferkette ersichtlich sind, desto effektiver kann das Entwickler-Team Preisanstiege, Engpässe und im schlimmsten Fall auch Ausfälle bewältigen.

2. Reshoring, Nearshoring oder Friendshoring

Nicht nur in der Design-Phase sollte der Fokus darauf liegen, eine widerstandsfähige Lieferkette aufzubauen. Auch bei der Frage nach dem Fertigungsstandort sollten Unternehmen Vor- und Nachteile abwägen und mögliche Alternativen prüfen. Geopolitische Spannungen und steigende Transport- und Logistikkosten haben in den letzten Monaten dafür gesorgt, dass viele Unternehmen über eine Produktion vor Ort oder zumindest in der Nähe nachdenken. Drei Trends sind hier herauszustellen:

  • Reshoring: Hersteller kehren den Schwellenländern den Rücken und setzen verstärkt auf die lokale Fertigung vor Ort. Dieser Trend war bereits in den Nullerjahren zu spüren. Angesichts der anhaltenden Supply-Chain-Krise gewinnt das Reshoring erneut an Relevanz. Außerdem stellt das Zusammenführen von Design und Produktion im Herkunftsland eine hohe Verlässlichkeit in Aussicht.
  • Nearshoring: Hersteller verlagern die Produktionsstätten in Länder, die geografisch näher am Herkunftsland liegen, aber trotzdem mit weniger Lohn- und Produktionskosten verbunden sind. Osteuropäische Länder, wie beispielsweise Rumänien, haben sich bereits in den letzten Jahren als zuverlässige und effektive Standorte etabliert. In Zukunft könnten die europäischen Nachbarn noch attraktiver werden.
  • Friendshoring: Nicht nur die lokale Nähe von Produktionsniederlassungen, auch politische Stabilität sowie die sprachliche und kulturelle Nähe zum Herkunftsland des Unternehmens spielen eine zentrale Rolle. Wer ähnliche Werte teilt, so die Logik, ist auch wirtschaftlich gesehen ein zuverlässiger Partner. Der Vorteil: Hersteller behalten ihren Zugang zu globalen Märkten und können gleichzeitig das Risiko geopolitischer Störungen reduzieren.

Nicht immer ist eine Rückverlagerung sinnvoll

Alle drei Ansätze verfolgen die Absicht, die ausgelagerte Produktion wieder näher an das Unternehmen bzw. an einen vermeintlich „sicheren“ Standort zu holen. Eine kürzere Lieferkette bietet mehr Kontrolle und Resilienz. Doch Achtung: Bei Lieferketten, die an spezifische Rohstoffe gebunden sind, macht eine Rückverlagerung oft keinen Sinn. Zusätzlich sind derartige Verlagerungsprozesse häufig mit immensen Ausgaben verbunden – zumal Unternehmen in den Jahren zuvor hohe Summen in Offshore-Fertigungsstandorte investiert haben.

Laut einer Ifo-Studie ist für viele deutsche Unternehmen die Anzahl der Zulieferer daher weitaus wichtiger als deren Standort. So wollen knapp 30% aller befragten Firmen ihre Beschaffung künftig stärker diversifizieren. Die Hoffnung ist, dass Handelsbeziehungen mit mehreren Zulieferern in unterschiedlichen Ländern es ermöglichen, künftige Produktionsstörungen zu minimieren.

3. Vom Pull-System zum Push-System

Auch bei der Lagerhaltung zeichnet sich ein Umdenken ab. Hersteller haben ihre Lieferketten jahrelang ausschließlich nach dem Just-in-Time Ansatz (Pull-System) organisiert. Produktion und Lagerung orientierten sich dabei an der Nachfrage der Kunden, weswegen viele Unternehmen sich den Platz für große Lagerflächen sparen konnten. Seit COVID-19 haben die Betriebe verstärkt den Just-in-Case-Ansatz (Push-System) implementiert. Laut Ifo planen bereits 65% der Unternehmen ihre Lagerhaltung auszuweiten. Tatsächlich erhöhen Sicherheitsbestände (Safety Stocks) bei Nachfrageschwankungen die Wahrscheinlichkeit, Engpässe in Lieferketten und spätere Einnahmeverluste zu begrenzen und im besten Fall zu vermeiden.

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Allerdings ist diese Pull-Push-Dynamik für Unternehmen auf lange Zeit mit hohen Kosten verbunden. Auf der einen Seite wollen Hersteller die Verfügbarkeit relevanter Materialien immer sichergestellt wissen, auf der anderen Seite sollte dies aber im Verhältnis zu den Ausgaben für die benötigten Lagerflächen stehen. Ein Gleichgewicht zwischen einer kosteneinsparenden Pull-Strategie und einem gewagten Push-Ansatz schont das Betriebskapital und minimiert gleichzeitig das Risiko, Überbestände in seinen Lageräumen zu horten.

Partner für den Strategiewechsel

Egal, für welche neuen Strategien sich Hersteller letztlich entscheiden, die Supply Chain bleibt auch in Zukunft eine Herausforderung. Für eine resiliente Lieferkette ist Expertise gefragt. Vertrauen Unternehmen beispielsweise bereits in der Entwicklungsphase ihres Produktes auf einen Experten mit Engineering-Kapazitäten, lassen sich frühzeitig Alternativen für Komponenten und Zulieferer identifizieren. Zugleich ist es von Vorteil, einen Verbündeten an seiner Seite zu wissen, der bereits über notwendige Produktionskapazitäten vor Ort verfügt. Und auch für den Balanceakt zwischen Pull- und Push-Strategie ist es oft sinnvoll, einen erfahrenen Partner ins Boot zu holen.

Für Unternehmen eröffnen sich damit unterschiedliche Bereiche, um neue Strategien in Angriff zu nehmen und ihre Lieferketten auch für zukünftige Herausforderungen zu wappnen. Selbstverständlich ist ein Umdenken zunächst mit großem Aufwand verbunden. Dennoch lohnt es sich gemeinsam mit Partnern und Zulieferern an einer langfristigen und nachhaltigen Neuausrichtung der Supply Chain zu arbeiten.  (mk)

* Oliver Bischoff, Business Development Director, Plexus

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