5G unter der Erde, Firmenkunden und die Cloud Wie Huawei ohne US-Chips um seine Existenz kämpft

Von Henrik Bork

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US-Sanktionen haben dem einstigen chinesischen Hightech-Vorzeigekonzern arg zugesetzt. Mit unterschiedlichen Ansätzen versucht Huawei nun einen Neuanfang. Der könnte durchaus gelingen.

Mobile World Congress 2019: Schon auf dem größten Mobilfunk-Branchentreff zeichneten sich harte US-Sanktionen gegen Huawei ab. Sie haben den Konzern letztlich zu einem grundlegenden Strategiewechsel gezwungen.
Mobile World Congress 2019: Schon auf dem größten Mobilfunk-Branchentreff zeichneten sich harte US-Sanktionen gegen Huawei ab. Sie haben den Konzern letztlich zu einem grundlegenden Strategiewechsel gezwungen.
(Bild: Huawei)

Der einstige chinesische Hightech-Vorzeigekonzern Huawei kämpft weiter um sein Überleben – und probiert dafür unterschiedliche neue Ansätze aus. Dieses Bild zeichnete Ken Hu, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens auf dem diesjährigen Huawei-Gipfel für Analysten in Shenzhen. Gleichzeitig versuchte er die neue Strategie des Konzerns zu beschreiben, mit der dieses Mindestziel erreicht werden soll.

Vor einem Publikum von Analysten und Journalisten in der Firmenzentrale im südchinesischen Shenzhen, mit weiteren Beobachtern aus Fernsehsendern und Nachrichtenagenturen aus aller Welt über Huaweis eigene „Wemeeting“-App online dazu geschaltet, versuchte Ken Hu zu keinem Zeitpunkt, die Lage schönzureden – was in China keineswegs selbstverständlich ist.

Primärziel: Überleben

„Unsere Strategien und Anstrengungen für dieses Jahr sind rund um die Ziele des Überlebens, und zwar des nachhaltigen Überlebens, definiert worden“, sagte Hu auf dem Gipfel. Seinem Publikum war klar, warum: 2018 haben die USA den chinesischen Konzern aufgrund von Bedenken in den Punkten Daten- und Informationssicherheit als Telekom-Ausrüster verbannt und 2019 zusätzlich auf eine schwarze Liste für Exporte gesetzt. Seither ist Huawei unter anderem der Zugang zu modernen 5G-Chips aus den USA verwehrt. Seitdem hat der Konzern schwer zu kämpfen.

So ist der Umsatz des gesamten Konzerns 2021 um 28,6 Prozent zurückgegangen. Zwar auf immer noch recht beachtliche 636 Milliarden Yuan (rund 91 Milliarden Euro) – doch bei so einem Rückgang müsste wohl jeder Großkonzern in den Survival-Mode schalten.

Huaweis Business-to-Consumer (B2C)-Umsatz mit Konsumenten, unter anderem mit Handys und Laptops, brach im vergangenen Jahr sogar um 49,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein, wurde auf 243,4 Milliarden Yuan (rund 35 Milliarden Euro) fast halbiert. Das war bereits Ende März bekannt gegeben worden, ausgerechnet von der Finanzchefin Meng Wanzhou, die zuvor fast drei Jahre lang auf Geheiß der USA in Kanada in einer Art Hausarrest festgehalten worden war. Jetzt, nicht lange nach ihrer Rückkehr nach China, musste sie solche Zahlen verkünden.

Existenz sichern, aber wie? Huawei ist sich da selbst noch nicht sicher

Wie also kämpft Huawei um sein Überleben? Das Unternehmen ist sich da wohl selbst noch nicht so ganz sicher, experimentiert mit einer großen Zahl von neuen Geschäftsfeldern und Ideen, die von Smart Watches statt Handys über das Metaverse und der Cloud bis hin zu reichen Firmenkunden oszillieren. Ein bisschen von allem. Man will überall mitspielen. Das ist jedenfalls der Eindruck, den Ken Hu und seine Kollegen, etwa Zhou Hong, der Chef von Huaweis „Institute of Strategic Research“ mit ihren Vorträgen auf dem Analysten-Gipfel erweckt haben.

Sympathisch dabei ist, wie gesagt, die für einen Konzern dieser Größe erfrischende Offenheit, mit der dieser Prozess einer strategischen Neuorientierung präsentiert wird – auch wenn diese im jetzigen Stadium vorerst akkurater als „Suche nach einer Strategie“ bezeichnet werden muss. Man sei „erst am Anfang“, man bitte seine Kunden um „Geduld“, solche Aussagen zogen sich als Tenor durch die Keynotes der Veranstaltung.

Wegen der „unberechtigten Sanktionen gegen Huawei“ habe sein Unternehmen „Schwierigkeiten, Zugang zu gewissen fortschrittlichen Komponenten zu bekommen“, sagte Ken Hu auf dem Analysten-Gipfel. „In der Folge sind wir nicht in der Lage, unsere führende Position in individuellen Technologien zu halten.“

Smartphone- und Notebook-Konzernsparte bereits verkauft

Von der Konzernsparte Honor für billige Handys, einst eine große Einkommensquelle für Huawei, hat man sich bereits getrennt. Andere Geräte, etwa medizinisch-raffinierte Smart Watches, werden von den Sprechern des Gipfels zwar erwähnt, werden auch weiterentwickelt und produziert, stehen aber ganz offensichtlich nicht mehr im Zentrum der Konzernstrategie.

Stattdessen gibt es bei Huawei nun einen Pivot, also eine strategische Neuausrichtung, weg von der einst überragenden Dominanz des Konsumentengeschäfts und hin zu einem Business-to-Business (B2B)-Dienstleister, genauer gesagt einem Anbieter von verschiedenen IT-Dienstleistungen für Industrieunternehmen.

Vom Elektronikanbieter zum B2B-Dienstleister

Von Hardware und Devices war bei Ken Hu nur selten die Rede, es sei denn dort, wo diese für Industrie-Unternehmen adaptiert werden, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Man habe 200 Kohlebergwerken in China helfen können, endlich 5G auch unter der Erde nutzbar zu machen, sagte er. 3000 Stück Ausrüstung seien dafür installiert worden, so der Huawei-Chef.

Huawei positioniert sich in Hus eigenen Worten „als Enabler der digitalen Transformation in verschiedenen Industrien“. Als weiteres Beispiel für dieses Beratungs- und Ausrüstungsangebot nennt er den Hafen von Tianjin, der das Scheduling für seine 20 Millionen Frachtcontainer pro Jahr mit Hilfe von Huawei-Cloud-Lösungen angeblich verbessern konnte.

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Vieles dreht sich also bei Huawei neuerdings um Firmenkunden, auch solche, die in etwas vorzeigbareren Industrien unterwegs sind als im Kohlebergbau. In der Wüste Gobi habe Huawei dem Betreiber einer Solarstrom-Anlage mit einer Kapazität von 2,2 Gigawatt geholfen, mit digitalen Lösungen den Energieertrag seiner Photovoltaik um 2 Prozent zu verbessern, so Hu.

Politische Führung fordert Lösungen zur Optimierung der Wirtschaft

Solche Anwendungen für die „reale Wirtschaft“, egal ob für Kohleminen oder Solarparks, ist genau das, was die chinesische Führung gerade vehement von ihren heimischen Tech-Konzernen fordert. Huawei, konfrontiert mit Sanktionen und Geschäftsverboten in westlichen Ländern, bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich stärker als bisher auf den chinesischen Markt zu konzentrieren und auf Aufträge von chinesischen Staatsbetrieben zu hoffen.

Was wiederum nicht heißt, dass die Ausrichtung auf Firmenkunden eine schlechte Strategie ist. Apple macht das ja gerade in Kalifornien vor, weitet das mit hohen Margen gesegnete Geschäft von Business-Dienstleistungen mit seinen „Business Essentials“ gerade aus. Wo die Margen von elektronischen Endgeräten wie Handys oder Tablets weltweit sinken, ist das Entdecken zahlungskräftiger Firmenkunden als neue Profitquelle sinnvoll.

Apple macht es vor: Streaming, Cloud-Computing, Fitness

Apples Strategie zeigt derzeit neue Schwerpunkte beim Streaming (weg von Geräten, hin zu digitalen Plattformen), Fitness bei Endgeräten (Pulsmessen mit der Apple Watch) und mehr Unternehmens-Dienstleistungen (Business Essentials). Bei Huawei heißen die Äquivalente zu diesen Apple-Ansätzen unter anderem „Peer-to-Peer-Computing“, mit der man eigenen Angaben zufolge dem “CPU-zentrierten“ Computing eine neue Architektur entgegensetzen will, ferner die Huawei Cloud für Unternehmen und ebenfalls eine Smart Watch mit Gesundheitsfunktionen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es sei „eine echte Schande“, dass Huaweis Geschäft mit Smartphones in den vergangenen zwei Jahren wegen Chipmangels „stark zurückgegangen“, sagte Ken Hu in Shenzhen. Doch Huawei habe entdeckt, dass dort, wo sich eine Tür schließe, immer auch ein neues Fenster aufgehe, so der Huawei-Chef.

Tür zu, Fenster auf: Mehr F&E-Ausgaben

Im vergangenen Jahr sind die Ausgaben von Huawei für Forschung & Entwicklung auf einen Anteil von 22 Prozent vom Umsatz deutlich emporgeschnellt, hatte der Konzern schon im März bekannt gegeben. Weil der Umsatz insgesamt sinkt, wird nun in absoluten Zahlen nicht viel, aber immerhin doch schon ein bisschen mehr für F&E ausgegeben als vorher – und das in der aktuell schwierigen Finanzlage. Fazit: Huawei mag momentan noch auf der Suche nach einer überzeugenden Strategie sein, doch der Wandel zu echter Innovation wird zumindest versucht, hat bereits begonnen.

Im etwas weiter gefassten Kontext der US-Wirtschaftssanktionen wird hier deutlich, dass Washington möglicherweise nur einen Pyrrhus-Sieg errungen hat, was Huawei betrifft. Der chinesische Vorzeige-Konzern ist finanziell schwer angeschlagen. In manchen Kreisen mag das bejubelt werden. Andere Beobachter könnten jedoch zu dem Schluss gelangen, dass sich Washington in Punkto China sich gerade selbst ins Knie geschossen hat.

Die Amerikaner zwingen mit ihrer Politik Huawei und andere chinesische Tech-Konzerne, ihre langjährige Abhängigkeit von US-Produkten zu hinterfragen. Man wird gezwungenermaßen innovativer, sucht nach eigenen Lösungen und Strategien. Aus Kunden US-amerikanischer und europäischer Tech-Konzerne könnten nun schneller als ohnehin befürchtet Konkurrenten erwachsen. Huawei könnte eines Tages wieder einer davon sein – falls das mit dem Überleben klappt.

* Henrik Bork ist Analyst bei Asia Waypoint, einem auf den asiatischen Markt fokussierten Beratungsunternehmen in Peking.

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