Herausforderung Chip-Sanktionen Von der Schwierigkeit, westliche Chips aus russischen Waffen fernzuhalten
Nach der Invasion der Ukraine durch Russland haben die USA, Großbritannien, die EU und weitere Staaten massive Technologie-Sanktionen gegenüber Russland verhängt. Dennoch finden westliche Halbleiter immer noch einen Weg in russische Waffensysteme.

Als der Chip-Hersteller Marvell aus dem Silicon Valley erfuhr, dass einer seiner Chips in einer 2016 sichergestellten russischen Überwachungsdrohne gefunden wurde, strebte er eine Untersuchung an, wie es dazu kommen konnte.
Der Chip, der weniger als 2 US-$ Listenpreis kostet, wurde 2009 an einen Händler in Asien geliefert. Dieser verkaufte ihn an einen anderen Händler in Asien verkaufte, der wiederum später sein Geschäft aufgab. Danach verliert sich die Spur: „Wir konnten ihn nicht weiter zurückverfolgen“, sagte Chris Koopmans, Chief Operations Officer der Marvell Technology Group Ltd., kürzlich in einem Interview. Jahre später tauchte der Chip in einer in Litauen sichergestellten, russischen Drohne wieder auf.
Verschlungene Pfade machen eine Rückverfolgung nahezu unmöglich
Die Erfahrung von Marvell ist eines von unzähligen Beispielen dafür, dass Chip-Hersteller nicht in der Lage sind, zu verfolgen, wo viele ihrer Produkte im unteren Preissegment landen, so Führungskräfte und Experten. Dies könnte die Durchsetzung der neuen US-Sanktionen, die den Export von US-Technologie nach Russland unterbinden sollen, erschweren.
High-End-Chips, die beispielsweise für den Bau von Supercomputer verwendet werden, werden nur direkt an Unternehmen. Hier liegt kein Problem vor. Die Schwierigkeit liegt eher an den preisgünstigeren Standardchips, etwa für Power Management: Diese gehen zunächst an mindestens einen, oft sogar mehrere Wiederverkäufer, bevor sie letztendlich in einem Gerät landen.
Laut dem Chip-Ökonomen Dan Hutcheson von TechInsights wird die weltweite Chipindustrie in diesem Jahr voraussichtlich 578 Mrd. Chips ausliefern. Davon sind fast zwei Drittel, etwa 64 Prozent, solche „Commodity“-Chips.
Während Russland nach Angaben der World Semiconductor Trade Statistics Organisation vor den Sanktionen weniger als 0,1 % der weltweiten Chipkäufe ausmachte, unterstreichen die neuen westlichen Sanktionen die Bedrohung in menschlicher Hinsicht. „All diese Drohnen, die wir [bislang] gesehen haben, waren nicht bewaffnet“, sagte Damien Spleeters, stellvertretender Direktor der von der Europäischen Union und Deutschland finanzierten Conflict Armament Research Group, die die Chips in den Drohnen gefunden hat. „Einige dieser Drohnen, die wir dokumentiert haben, wie die Forpost, werden jetzt in ihrer bewaffneten Version im aktuellen Konflikt in der Ukraine eingesetzt“.
In dem Bericht, der Ende letzten Jahres von Conflict Armament Research veröffentlicht wurde und Anlass für die Nachforschungen von Marvell war, wurden in russischen Drohnen auch Chips von Intel, NXP, Analog Devices, Samsung Electronics, Texas Instruments und STMicroelectronics gefunden. Texas Instruments und STMicroelectronics antworteten nicht auf Reuters-Anfragen; NXP und Analog Devices erklärten, sie hielten sich an die Sanktionen; Intel erklärte, es sei dagegen, dass seine Produkte für Menschenrechtsverletzungen verwendet würden; und Samsung erklärte, es stelle keine Chips für militärische Zwecke her.
Das Elektronik schon längst auf breiter Ebene in militärischen Waffen eingesetzt wird ist kein Geheimnis: Drohnen, Lenkraketen, Hubschrauber, Kampfflugzeuge, Fahrzeuge und Geräte zur elektronischen Kriegsführung benötigen allesamt Chips. Bevorzugt werden hier meist ältere Halbleiter verwendet, die vielleicht nicht dem neuesten Stand der Technologie entsprechend, dafür aber gut erprobt und robust sind.
Nach den neuen US-Sanktionen dürfen nun selbst einige der einfachsten Chips nicht mehr an russische Unternehmen, die auf der schwarzen Liste stehen, geliefert werden. Für die empfindlichsten Chips, die unter die internationalen Waffenhandelsbestimmungen fallen, kann das US-Unternehmen, das sie verkauft, haftbar gemacht werden, wenn der Chip bei einer Einrichtung auf der US-Verbotsliste landet, sagte Daniel Fisher-Owens, ein Spezialist für Chips und Exportkontrolle bei der Anwaltskanzlei Berliner Corcoran & Rowe.
Rückverfolgung von Standardchips „wie im Drogengeschäft“
Doch herauszufinden, wohin die Chips gehen, ist wie die Verfolgung von Drogenströmen, sagen Experten wie James Lewis, Direktor des Programms für Technologiepolitik am Center for Strategic and International Studies in Washington. „Es gibt Zwischenhändler. Es gibt Mittelsmänner. Es gibt Geldwäsche ... Es gibt ein Schwarzmarkt-Vertriebsnetz.“
Lewis zufolge geht es bei den russischen Sanktionen nicht darum, jeden einzelnen Chip aufzuspüren. Viel wichtiger sei es, die Lieferkette zu unterbrechen. Das ist eine Aufgabe für die Geheimdienste.
Die Suche nach einer Lösung dürfte neue, kreative technische Ansätze erfordern. „Zu wissen, wo die Chips hingehen, ist wahrscheinlich eine sehr gute Sache. Man könnte zum Beispiel auf jedem Chip ein öffentliches, privates Schlüsselpaar einbauen, das ihn authentifiziert“, sagte Eric Schmidt, der frühere Google-Vorsitzende, kürzlich in einem Interview mit Reuters über High-End-Prozessoren.
Marvell verfügt nach eigenen Angaben über eine wachsende Zahl von Produkten, die Fingerprinting und Tracing unterstützen, und arbeitet mit Industriepartnern und Kunden zusammen, um diesen Bereich voranzutreiben. Die Global Semiconductor Alliance hat ihren Mitgliedern vorgeschlagen, am Aufbau eines „Trusted IoT Ecosystem Security“ zu arbeiten, um Chips zu kennzeichnen und zurückzuverfolgen, sagte Tom Katsioulas, Technologieexperte der Industriegruppe.
Das dürfte bei einem 2-Dollar-Chip sehr viel schwieriger zu bewerkstelligen sein, ohne dass er signifikant teuer wird - und für den Markt uninteressant. Die Antwort könnte eine Frage des Herstellungsprozesses, der Vorschriften und vielleicht auch des Willens sein.
„Ironischerweise wurde die Technologie dafür, all die Dinge, die wir da drin haben, die Blockchain, die IDs im Gerät, all das wurde schon vorher für andere Anwendungen gemacht“, sagte Michael Ford, eine Führungskraft bei Aegis Software, die mit der Industriestandardgruppe IPC für eine bessere Sicherheit der Lieferkette arbeitet. „Alles, was wir brauchen, ist ein Katalysator, der es möglich macht“. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine könnte dieser Katalysator sein, sagte er.
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