Kapazitätsmessung eines Kondensators mit dem Digitalmultimeter
Misst man die Kapazität eines Kondensators mit einem 100-Euro-Handmultimeter, kommt ein anderes Ergebnis heraus, als wenn man die gleiche Messung mit einem LCR-Messgerät der 8000-Euro-Klasse vornimmt. Je nach Messmethode und Dielektrikum variieren die Ergebnisse um etliche Prozentpunkte. Um zu wissen, warum die Ergebnisse so unterschiedlich ausfallen, und vor allem, um zu überblicken, welches Messgerät wann das Richtige ist, muss der Messtechniker verstehen, wie die Kapazitätsmessung im Detail funktioniert.

Das Funktionsprinzip der Kapazitätsmessung versteht man am besten, wenn man weiß, wie man Widerstände misst. Ein Digitalmultimeter (DMM) leitet einen konstanten Strom bekannter Größe durch den zu messenden Widerstand, über dem dadurch eine bestimmte Spannung abfällt. Diese Spannung wird gemessen. Aus ihr lässt sich über einen A/D-Wandler und die entsprechende Firmware problemlos der Widerstandswert errechnen.
Die potenziellen Fehlerquellen bei einer Widerstandsmessung sind Thermospannung, Widerstand der Messleitungen, Leckströme und Erwärmung durch den Messstrom. Sie lassen sich mit einer guten Messmethodik und den jeweiligen Möglichkeiten des Messgeräts (Offset-Kompensation) leicht in den Griff bekommen. So kann der Messtechniker selbst mit preisgünstigen Messgeräten Widerstandsmessungen mit einer Genauigkeit >30 ppm ohne größere Probleme ausführen. Eine vergleichbar genaue Messung an einem anderen passiven Bauelement, wie etwa einem Kondensator, ist dagegen ein andere Sache.
Kapazität des Messobjekts messen
Die Widerstandsmessung im Hinterkopf, beruht eine Kapazitätsmessung darauf, dass man einen Wechselstrom durch den zu messenden Kondensator leitet. Hochwertige LCR-Meter nutzen das Prinzip auch tatsächlich: Man legt ein Wechselstromsignal bekannter Frequenz an ein RC-Glied an, bei dem ein interner Widerstand geringer Größe und der zu messende Kondensator hintereinander geschaltet sind. Der Wechselstrom, der durch den Kondensator fließt, fließt auch durch den Widerstand und lässt an ihm eine bestimmte Wechselspannung entstehen. Größe und Phasenlage dieser Wechselspannung lassen sich messen und mit dem Originalsignal vergleichen. Daraus kann der Messtechniker die Kapazität des Messobjekts errechnen. Diese frequenzbasierte Messmethode kann sehr genau sein, sie liefert außer der Kapazität noch weitere Parameter wie beispielsweise die Verlustleistung.
Allerdings eignen sich Messgeräte, die nach diesem Verfahren arbeiten, nur zur Messung passiver Netzwerke. Gängige Vielfachmessgeräte haben aus Kostengründen oft keine eingebaute Wechselstrom-Signalquelle. Dennoch können auch sie Kapazitäten messen. Sie führen diese Messungen mit der Gleichstromquelle aus, die sie für die Widerstandsmessung eingebaut haben.
Wie bereits erwähnt, verfügen DMMs über eine genaue interne Stromquelle, die eine Gleichspannung am Widerstand entstehen lässt. Legt man die gleiche Gleichstromquelle am Kondensator an, entsteht auch an ihm eine Spannung. Wird ein idealer Kondensator mit einem ideal konstanten Gleichstrom geladen, steigt die Spannung über dem Kondensator gemäß folgender Gleichung an:
Kapazität aus der Spannung
Lädt man nun den Kondensator mit Konstantstrom, lässt sich auf diese Weise die Kapazität C aus dem Zeitverlauf der Spannung errechnen. Manche preisgünstigen Hand- und Tischmultimeter messen Kapazitäten nach dieser Methode. Sie setzen dabei voraus, dass sowohl der Ladestrom als auch der zu messende Kondensator ideal sind.
Der Nachteil: Es gibt keine idealen Kondensatoren. Reale Kondensatoren zeigen Abweichungen vom Ideal wie dielektrische Absorption, Leckströme, Verlustfaktor und Serienwiderstand (ESR). Diese Faktoren können bei der eben beschriebenen Messmethode zu einem nicht unerheblichen Messfehler führen. Aus diesem Grund vermerkt meistens die Fußnote zu den Spezifikationen preisgünstiger Messgeräte: „Die angegebene Genauigkeit für Kapazitätsmessungen gilt nur für Folienkondensatoren.“ Folienkondensatoren mit Polyester- oder Polypropylen-Dielektrikum weisen hinreichend geringe Verluste auf, sodass mit der beschriebenen Messmethode Genauigkeiten von 1% erreichbar sind.
Ohne ein hochwertiges LCR-Meter
Doch auch bei Kondensatoren mit einem anderen Dielektrikum muss der Messtechniker für präzise Messungen nicht unbedingt ein hochwertiges LCR-Meter verwenden. In jüngerer Zeit wurden für Tischmultimeter besondere Messmethoden eingeführt, die den Messfehler reduzieren, der durch andere Dielektrika als (Kunststoff-)Folien entsteht. Meistens kann man daher auf ein teures LCR-Meter verzichten.
Der Verlust eines Kondensators beim Laden mit Gleichstrom lässt sich am einfachsten als Parallelwiderstand darstellen (Bild 1). Eine Konstantstromquelle, die man an ein parallelgeschaltetes RC-Glied anschließt (ein anfangs entladener Kondensator vorausgesetzt), erzeugt eine Ladekurve, die folgende Formel darstellt:
Die Ableitung dieser Funktion kann dagegen geschlossen gelöst werden. Wäre die Zeitkonstante τ bekannt, ließe sich der Wert für die Kapazität nach einer ganz ähnlichen Methode errechnen, wie sie für eine Messung ohne Verlust gilt. Die wesentliche, methodische Verbesserung liegt darin, dass man die Zeitkonstante τ des RC-Glieds ermittelt.
Um die Zeitkonstante des RC-Glieds zu bestimmen, muss der Messtechniker den zu messenden Kondensator zunächst entladen – und zwar entweder durch Parallelschaltung eines Widerstands oder durch Umpolung der Stromquelle. Dann schaltet er den Konstantstrom ein und misst in schneller Abfolge immer wieder den aktuellen Ladestand. Durch die Messpunkte legt er anschließend eine passende Exponentialfunktion und berechnet die Zeitkonstante aus den Messpunkten und der Steigung der Kurve.
Messmethode stellt vier Anforderungen an das Messgerät
Diese Messmethode stellt strenge Anforderungen an das Messgerät und eignet sich deshalb nicht für alle Vielfachmessgeräte:
- 1. Der A/D-Wandler des Multimeters muss mit hoher Wiederholrate die Ladekurve messen – und zwar ohne dabei eine signifikante Störspannung zu produzieren.
- 2. Die Konstantstromquelle des Multimeters darf beim Einschalten kein nicht ideales Verhalten aufweisen, wie bei Temperaturdriften.
- 3. Es gilt, die interne Kapazität von Multimeter und Messleitungen zu kompensieren, beispielsweise dadurch, dass man eine anfängliche Referenzmessung bei offenem Eingang von allen weiteren Messungen abzieht.
- 4. Die interne Kapazität des Messgeräts muss eine große Güte aufweisen, damit die Messung nicht durch deren eigene Zeitkonstante verfälscht wird.
Sind diese vier Voraussetzungen erfüllt, lassen sich erheblich bessere Messungen erzielen als mit dem „einfachen“ Konstantstromverfahren. Ein Messgerät, das mit einem Messverfahren arbeitet, das dem eben beschriebenen Verfahren sehr ähnlich ist, ist beispielsweise das Digitalmultimeter 34410A von Keysight Technologies. Hier genügt eine unipolare Konstantstromquelle, um den zu messenden Kondensator zu entladen (man kann dazu nämlich einen internen Widerstand verwenden).
Anderes Messverfahren: Präzisionsstromquelle fungiert als Stromsenke
Mit etwas Mehraufwand bei der Stromquelle lässt sich jedoch auch ein anderes Messverfahren implementieren, um den Messfehler zu verringern: Ist eine Präzisionsstromquelle verfügbar, die auch als Stromsenke fungieren kann, lässt sich ein rechteckiges Wechselstromsignal erzeugen. Dafür polt man in vorgegebenen Zeitabständen die Stromquelle um. Wird ein solches Wechselstromsignal an einen Kondensator angelegt, entsteht an ihm ein dreieckförmiger Spannungsverlauf.
Weist der Kondensator einen Verlust auf, sind die Flanken nicht gerade, sondern folgen der Exponentialfunktion aus Bild 2. Der Verlauf der Flanken ändert die Zusammensetzung des Frequenzspektrums dieses Signals. Anhand des Spektrums kann der Verlust errechnet werden. Auch das PXI-DMM NI 4072 von National Instruments nutzt diese Messmethode. Mittels schneller Fourrier-Transformation (FFT) kann man das Frequenzspektrum bestimmen; die erste und dritte Harmonische werden verglichen, um den Verlust herauszurechnen.
Bei jeder zeitbasierten Kapazitätsmessung gibt es bestimmte Knackpunkte. Der erste ist, dass der Kapazitätswert eines Kondensators sich mit der Frequenz erheblich verändern kann. LCR-Meter, wie beispielsweise das Agilent-Modell 4263B, führen mithilfe ihrer internen, frequenzveränderlichen Wechselstromquelle Kapazitätsmessungen bei verschiedenen Frequenzen aus.
Der ESR eines Kondensators
Zwischen 100 Hz und 1 kHz kann die Kapazität eines Aluminium-Elkos um immerhin einige Prozentpunkte variieren. Eine weniger aufwändige Messung bei nur einer Messfrequenz ergäbe natürlich keine Zusatzinformation über das Verhalten des Kondensators bei höheren Frequenzen. Obwohl die Messung eines Multimeters möglicherweise durchaus korrekt sein kann, kann der Messwert jedoch allein aufgrund einer anderen Messfrequenz vom Messwert eines LCR-Meters abweichen.
Kommt ein weiteres Problem hinzu: der ESR eines Kondensators. Bei einem preisgünstigen Messgerät kann der ESR zur Fehlinterpretation des Messwerts führen. Angenommen, der Messtechniker verwendet während der Messung einen positiven Ladestrom und entlädt den Kondensator zwischen den Messungen mit einem Parallelwiderstand, beträgt die niedrigste anliegende Spannung 0 V.
Durch den rampenförmigen Spannungsverlauf während der Messung ergibt sich aber insgesamt über mehrere Messzyklen eine Durchschnittsspannung von >0 V. Die überlagerte Gleichspannung verursacht bei Folien- und keramischen Kondensatoren keinen nennenswerten Fehler, bei Aluminium-Elkos kann sie jedoch den Messwert erheblich beeinflussen – und zwar deswegen, weil sich der ESR eines Aluminium-Elkos nicht linear mit einem Gleichspannungsoffset verändert.
Wichtig: Gleichspannung möglichst gering halten
Der Messtechniker umgeht dieses Problem, indem er die überlagerte Gleichspannung möglichst gering hält. Dies lässt sich beispielsweise durch die Verwendung von Wechselstromquellen, durch ein Entladen bis <0 V oder die Wahl einer möglichst kleinen Messspannungsamplitude erreichen. Jede dieser Methoden liefert genaue Ergebnisse.
Mitunter erscheint es wünschenswert, die Kapazität eines Kondensators bei einer bestimmten überlagerten Gleichspannung zu messen – nämlich dann, wenn der Kondensator im normalen Betrieb mit einer solchen Spannung beaufschlagt wird (beispielsweise als Entkopplungskondensator in einer Stromversorgung). Kapazitätsmessgeräte mit Wechselstromquelle für die eigentliche Messung, also LCR-Meter, bieten hier eine Möglichkeit, das Messobjekt mit einer überlagerten Gleichspannung zu versorgen, um es unter dieser Bedingung auch messen zu können.
Anmerkung: Der Original-Beitrag stammt aus dem Jahr 2006. Zum damaligen Zeitpunkt hieß Keysight Technologies noch Agilent Technologies. Die Messtechniken haben sich allerdings kaum oder unwesentlich verändert.
* Bill Coley arbeitet als Entwicklungsingenieur für analoge ICs bei AVAGO Technologies in Böblingen. Ralf Leitner ist European Marketing Manager für elektronische Messtechnik, Conrad Proft Diplom-Ingenieur für Nachrichtentechnik bei Agilent Technologies in Böblingen. Die Autoren arbeiteten 2006 bei den genannten Unternehmen.
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