Erneuerbare Energie Special Session HGÜ: 1 Million Volt für weniger Verluste

Autor / Redakteur: Josef Lutz * / Gerd Kucera

Neue HGÜ-Systeme werden auf 10 GW ausgelegt, die Spannung auf über 1 Mio. V angehoben, um Übertragungsverluste zu senken. Die Special Session HVDC am 20.5.14 in der PCIM-Konferenz erklärt Details.

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Bild 1: 8,5-kV-Thyristor für die klassische HGÜ. Mit 146 mm Durchmesser ist er einer der größten Chips der Welt.
Bild 1: 8,5-kV-Thyristor für die klassische HGÜ. Mit 146 mm Durchmesser ist er einer der größten Chips der Welt.
(Bild: ABB)

Wenn wir das Szenario einer Vollversorgung mit elektrischem Strom aus erneuerbarer Energie durchdenken, so gibt es zwei Ansätze. Der eine ist die zunehmende dezentrale Versorgung der Regionen. Um diese sicher zu machen, ist ein großer Aufwand an Speichern notwendig. Der zweite Ansatz ist, ein großflächiges und mindestens europaweites Netz einzurichten, um die für die jeweilige Form der erneuerbaren Energie günstigsten Standorte anzuschließen (Photovoltaik, Wind, Geothermie) und witterungsbedingte regionale Engpässe durch Versorgung aus weit entfernten Quellen auszugleichen.

Dafür wird ein entsprechendes starkes Netz als Rückgrat über dem bestehenden europäischen Netz gebraucht. Der erste Weg wird damit nicht überflüssig, aber der Speicherbedarf wird überschaubar.

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Für den zweiten Weg sind die Anforderungen: geringer Eingriff in die Umwelt, sehr niedrige Verluste und höchste Verfügbarkeit. Die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ, englisch High Voltage DC Transmission, HVDC) ist die einzige Technik, die diese Anforderungen erfüllen kann. Sie steht im Mittelpunkt einer Special Session auf der PCIM 2014.

Für die jeweilige Wandlung von Drehstrom in Gleichstrom und zurück gibt es zwei Technologien. Die eine ist der klassische thyristorbasierte netzgeführte Umrichter. Diese Technik ist seit etwa 50 Jahren im Einsatz und heute sehr ausgereift. Sie erhielt einen starken Schub aus China. Über 270 GW Übertragungskapazität sollen zwischen 2010 und 2020 in 20 Projekten installiert werden, einige sind bereits abgeschlossen.

Neue HGÜ-Systeme sehr hoher Leistung werden auf 10 GW Kapazität ausgelegt, die Spannung wird auf über 1 Mio. V angehoben, wodurch die Übertragungsverluste (von derzeit etwa 3% pro 1000 km) weiter gesenkt werden. ABB stellt auf der PCIM eine neue Plattform für Thyristoren vor, die auf 5000 A und bis zu 8,5 kV spezifiziert werden.

Die Leitverluste des bereits verlustarmen Thyristors werden durch verbesserte Technik der Trägerlebensdauereinstellung um etwa 10% gesenkt, und die Anforderung hinsichtlich geringer Freiwerdezeit wird eingehalten. Die thyristorbasierte Technik ist aber eher für die in China verwirklichten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen geeignet.

Die zweite Möglichkeit der Drehstromwandlung

Die zweite Technik ist der IGBT-basierte Spannungszwischenkreisumrichter. Dieser wurde insbesondere durch die Erfindung des „Modularen Multilevel Converters“ von Prof. Marquardt (heute UniBW München) sehr leistungsfähig. Diese Technik verbindet niedrige Verluste, ausgezeichnete Steuerbarkeit und bessere Möglichkeiten der Fehlerregulierung. Sie kann untergeordnete Netze stabilisieren, Blindleistung in der notwendigen Form stellen und die Übertragungsfähigkeit untergeordneter Netze erhöhen. Sie eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, große Multiterminal-Systeme und auch HGÜ-Netze zu errichten.

Der modulare Multilevel Converter enthält zahlreiche modulare Untereinheiten mit eigenem Zwischenkreis, IGBTs, Ansteuerung usw. Er stellt aus den einzelnen Leveln treppenförmig eine schon sehr sinusähnliche Spannung. Für einen 50-Hz-Drehstrom sind Schaltfrequenzen der IGBT von oft nur weniger als 100 Hz notwendig, maximal im Bereich 150 Hz. Allerdings ist die Regelung dieses Systems alles andere als einfach. Damit beschäftigt sich ein Vortrag von Siemens.

Es wird besonders darum gehen, wie durch geeignete Regelverfahren in diesem System der Oberschwingungsanteil gesenkt werden kann. Auch der IGBT als Kernstück des Umrichters ist auf diese Anwendung zu optimieren. Infineon stellt ein neues IGBT-Modul (1200 A/4,5 kV) vor, das sich durch niedrige Leitverluste auszeichnet und auf diese Anwendung gut angepasst ist. Die Durchlass-Spannung beträgt nur 2,35 V bei Raumtemperatur bzw. 2,9 V bei 125 °C.

Das ist eine Reduktion von mehr als 1 V gegenüber dem Stand der Technik (3,5 bis 4,4 V), und das bedeutet viel, wenn man bedenkt, dass diese Inverter kontinuierlich bei hohen Strömen arbeiten werden! Dazu ist dieser IGBT mit einer neuen Randstruktur beim Abschalten von Überstrom sehr überlastbar. Die sichere Abschaltfähigkeit bis zum 5-fachen Nennstrom wird gezeigt, weit oberhalb der sonst üblichen Spezifikation von doppeltem Nennstrom.

Für ein vermaschtes Gleichstromnetz braucht es wiederum sichere Gleichstromschalter (DC-Breaker), die in der Lage sind im Fehlerfall einen Netzabschnitt wegzuschalten. Eine neue Lösung dafür wird wieder aus dem Lehrstuhl von Prof. Marquardt vorgestellt.

Dieser DC-Breaker ist thyristorbasiert: Ein Turm aus Thyristoren entlädt einen auf die DC-Spannung geladenen Kondensator; mit einer geeignet dimensionierten Induktivität entsteht ein Umschwingvorgang, der (mechanischen) Vakuum-Schaltern im Hauptkreis das Schalten im Strom-Nulldurchgang ermöglicht. Dadurch können fehlerhafte Leitungen innerhalb weniger ms vom Netz genommen werden ohne die übrigen Teilnehmer zu beeinflussen.

Auch zur HGÜ wird es noch mehr Beiträge geben, etwa beschäftigt sich die Uni Bayreuth mit der Verlustbestimmung im modularen Multilevel Converter. Alstom berichtet über den Typentest zur Freigabe – keine einfache Aufgabe, wenn man es mit Gigawatt zu tun hat. So werden, wie es sich für die PCIM gehört, die neuesten Fortschritte vorgestellt. Ein geregeltes HGÜ-Netz ist technisch realisierbar, die Fortschritte sind beeindruckend. HGÜ kann damit das Rückgrat einer künftigen zuverlässigen, günstigen und auf erneuerbaren Quellen basierenden Stromversorgung der Gesellschaft werden.

Leistungselektronik ermöglicht ferner, dass Großanlangen erneuerbarer Energie das Netz stabilisieren können. Sie schafft auch die Möglichkeiten der intelligenten Steuerung lokaler/regionaler Verbünde aus Erzeugern und Verbrauchern unter einem gemeinsamen Gesamtkonzept. Leistungselektronik ist in der Lage, die Versorgung „intelligent“ zu machen. Dazu gibt es zahlreiche Beiträgen in der PCIM-Konferenz.

* Prof. Dr.-Ing. Josef Lutz (TU Chemnitz) ist beratendes Mitglied im Board of Direktors der PCIM Europe.

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