Röntgenteleskop eRosita ist Dunkler Energie auf der Spur

Autor / Redakteur: Mit Material von dpa / Julia Schmidt

Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxien – das Röntgenteleskop eRosita soll diese in bisher unerreichter Auflösung erforschen. Hauptziel der Mission ist die erste vollständige Himmelsdurchmusterung im mittleren Röntgenbereich bis zu einer Energie von zehn Kiloelektronenvolt.

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Die sieben eROSITA-Spiegelmodule. Jedes hat einen Durchmesser von 36 Zentimetern und besteht aus 54 ineinander geschachtelten Spiegelschalen, deren Oberfläche aus einem Paraboloid und einem Hyperboloid (Wolter-I-Optik) zusammengesetzt ist.
Die sieben eROSITA-Spiegelmodule. Jedes hat einen Durchmesser von 36 Zentimetern und besteht aus 54 ineinander geschachtelten Spiegelschalen, deren Oberfläche aus einem Paraboloid und einem Hyperboloid (Wolter-I-Optik) zusammengesetzt ist.
(Bild: Die sieben eROSITA-Spiegelmodule / MPI für extraterrestrische Physik / CC BY NaN)

Mit eRosita beginnt eine neue Ära der Röntgenastronomie. Denn kein Teleskop zuvor hat den gesamten Himmel derart detailliert ins Visier genommen, wie das eRosita tun soll. „Die bisher unerreichte spektrale und räumliche Auflösung wird es uns erlauben, die Verteilung von riesigen Galaxienhaufen zu untersuchen und mehr über die rätselhafte Dunkle Energie zu erfahren“, sagt Peter Predehl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik als wissenschaftlicher Leiter der Mission.

Am Ende soll eRosita eine Himmelskarte liefern, die das Universum und seine Entwicklung in bisher unerreichter Qualität abbildet. Am kommenden Freitag (21.6.) soll eine russische Rakete das Teleskop als Teil des Weltraumobservatoriums Spektrum-RG vom Weltraumbahnhof Baikonur ins All bringen. Forscher sprechen vom größten bilateralen russisch-deutschen Raumfahrtprojekt. Die Hoffnungen sind groß. „Ich will nicht sagen, dass wir das Rätsel um diese Dunkle Energie lösen werden, aber wir sind ihr zumindest auf der Spur“, so Peter Predehl: „Das Teleskop bietet ein riesiges Potenzial.“

Tatsächlich beschäftigt die Frage nach der Natur der mysteriösen Dunklen Energie, die das Universum beschleunigt auseinandertreibt, die Astronomen seit vielen Jahren. In der Dunklen Energie stecken knapp 70 Prozent der Gesamtmasse des Universums. Sie entzieht sich einer direkten Beobachtung, beeinflusst aber gemeinsam mit der Dunklen Materie – sie macht ungefähr 30 Prozent des Alls aus – die Entstehung und Entwicklung von Galaxienhaufen; diese stellen die größten gravitativ gebundenen Objekte im Universum dar.

Die Entwicklung des Alls und seine Strukturen

Über Röntgenstrahlung soll eRosita (extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array), gebaut unter Federführung des Garchinger Instituts mit Beteiligung weiterer Einrichtungen in Deutschland und Russland, die Entwicklung des Alls und seine Strukturen sichtbar machen. Röntgenbeobachtungen von Galaxienhaufen erlauben Einblicke in die Art und Weise, wie das Universum expandiert. Zudem liefern sie Hinweise auf den Anteil der sichtbaren Materie und auf Fluktuationen, die vermutlich unmittelbar nach dem Urknall auftraten. Diese winzigen Schwankungen im damals herrschenden Quantenvakuum scheinen hinter dem Ursprung von Galaxienhaufen und der gesamten Architektur des Kosmos zu stecken.

eRosita soll in einer detaillierten Himmelsdurchmusterung den großräumigen Aufbau des Weltalls kartografieren und rund 100.000 Galaxienhaufen binnen vier Jahren beobachten und ihre Verteilung im Universum bestimmen. Dabei richten die Forscher ihr Augenmerk auf das heiße intergalaktische Medium in diesen Haufen, aber auch auf Gas und Staub dazwischen. Diese Materiefäden verleihen dem Kosmos im Großen die Struktur eines Netzes, wobei sich die Galaxienhaufen gleichsam an den Knoten dieses Netzes anordnen.

„Galaxienhaufen bilden eine großräumige Struktur, die einem kosmischen Netz ähnelt“, sagt Predehl. Die Verteilung der Galaxienhaufen zeigt, wie sich das Universum seit dem Urknall ausdehnt. Das wird maßgeblich bestimmt durch die Dunkle Energie, die weiter unsichtbar bleibt. Für eRosita werden die Kräfte durch 100 Millionen Grad heißes Gas in den Galaxienhaufen erfassbar: Die Temperatur ist so hoch, dass das Gas Röntgenstrahlung aussendet, die eRosita aufnimmt.

„Wir tasten den gesamten Himmel komplett ab“

Die Wissenschaftler erwarten, dass das Röntgenteleskop zudem Millionen von aktiven galaktischen Kernen erfasst, in denen massereiche schwarze Löcher sitzen. Auch innerhalb unserer Milchstraße soll eRosita viele Röntgenquellen entdecken, darunter Doppelsterne und die Überreste von Sternexplosionen (Supernovae). Außerdem stehen seltene Objekte wie isolierte Neutronensterne – die ausgebrannten und superdichten Relikte von gestorbenen, massereichen Sonnen – auf dem Beobachtungsplan. Weil Licht von fernen Galaxien lange unterwegs ist, kann das Teleskop bis zu sechs Milliarden Jahre zurückblicken. „Wir können in die Vergangenheit gucken und wir können sehen: Wie sah das Universum damals aus, wie sieht es heute aus“, sagt Predehl.

US-Forscher hatten 1948 die Röntgenastronomie begründet, als sie die Röntgenstrahlung der Sonne bei einem Höhenflug einer erbeuteten deutschen V2-Rakete entdeckten. Zuvor war die Röntgenstrahlung außerhalb der Atmosphäre unbekannt. Denn die Lufthülle der Erde hält die Strahlen ab. Observatorien wie Spektrum-RG, das neben eRosita das russische Teleskop ART-XC trägt, werden deshalb auf Satelliten stationiert. ART-XC und eRosita messen in unterschiedlichen Energiebereichen und werden bei der Beobachtung von Galaxienhaufen teils zusammenwirken.

„Je heißer die Objekte, desto hochenergetischer strahlen sie auch“, sagt Thomas Mernik, Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das die Verträge mit der russischen Weltraumorganisation Roskosmos abschloss und eRosita zusammen mit dem MPI finanzierte. Das Teleskop wird nicht in erster Linie einzelne Galaxienhaufen beobachten. „Wir tasten den gesamten Himmel komplett ab und werden auf dieser Datengrundlage eine Himmelskarte erstellen können“, sagt Mernik.

Zwanzigmal empfindlicher als der Vorgänger Rosat

eRosita knüpft an die Forschung des deutschen Satelliten Rosat an, der acht Jahre Daten aus dem All lieferte und 2011 ausgedient im Indischen Ozeans versank. Rosat hatte unter anderem mehr als 150 000 neue kosmische Röntgenquellen gefunden. Mit neuer Technik ist eRosita zwanzigmal empfindlicher als Rosat.

Röntgenlicht lässt sich nicht mit normalen Parabolspiegeln, wie sie sich in optischen Fernrohren befinden, auffangen und bündeln. Denn Röntgenphotonen besitzen eine große Energie. Um sie von einer Spiegelfläche zu reflektieren, müssen sie in einem sehr flachen Winkel einfallen. Derartige Wolter-Teleskope ähneln langen Röhren, in denen die Spiegel ineinander gefügt sind, um die Zahl der registrierten Photonen zu erhöhen. So besteht eRosita aus sieben identischen Spiegelmodulen mit je 54 verschachtelten Schalen. Diese sind extrem glatt und mit Gold beschichtet, um die nötige Reflektivität für streifenden Einfall zu erreichen. Im Fokus jedes Spiegelmoduls sitzen spezielle Röntgenkameras.

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Auf Basis der schon bei früheren Missionen verwendeten, lichtempfindlichen elektronischen Bauelemente (Röntgen-CCDs) haben die Forscher am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik ein neuartiges Detektorsystem entwickelt. Darin kommen CCDs aus höchst reinem Silizium zum Einsatz. Diese werden auf eine Temperatur von minus 90 Grad Celsius gekühlt und erreichen dadurch eine hohe Empfindlichkeit.

Bereits im Jahr 2016 wurde das letzte Spiegelmodul im Reinraum des Garchinger Instituts in das Teleskop integriert. Danach bestand eRosita alle Tests auf dem institutseigenen Prüfstand mit Bravour. Seit 2017 befindet sich der Röntgenspäher in Russland, wo es zusammen mit dem russischen Sekundärinstrument Art-XC in die Mission Spektrum-RG (für Röntgen-Gamma) integriert und schließlich ins kasachische Baikonur gebracht wurde. Der Start mit einer Proton-M-Trägerrakete ist für den 21. Juni geplant.

Erste Ergebnisse Anfang September

Im Gegensatz zu seinem deutschen Vorläufer Rosat, wird eRosita nicht auf einer Bahn die Erde umkreisen, sondern in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung platziert. Dort, am Librations- oder Lagrangepunkt 2, wird das Teleskop jedoch nicht ortsfest stationiert, sondern diesen Punkt auf einer ausgedehnten Bahn umlaufen. Einer der Vorteile besteht darin, dass das Teleskop die Orientierung in Bezug auf Sonne und Erde beibehält und daher die Abschirmung vor Sonnenstrahlung wesentlich einfacher ist als auf einer Erdumlaufbahn. Die Mission von eRosita soll ungefähr sieben Jahre dauern.

Nach dem Start von Baikonur werden die Forscher zunächst die Instrumente prüfen. Nach drei Monaten wird eRosita den Zielbereich in etwa 1,5 Millionen Kilometern Entfernung von der Erde erreichen. „Erste Ergebnisse sind vielleicht Anfang September zu erwarten“, sagt Predehl.

Auch eRosita wird Dunkle Energie und Dunkle Materie, die zusammen 95 Prozent des Weltalls ausmachen, nicht direkt zeigen können, sondern nur die Wirkung ihrer Kräfte. Der größte Teil des Universums bleibt ein Mysterium. Predehl: „Dunkel heißt hier: Wir wissen es nicht.“

Technische Daten:

Röntgenteleskop eROSITA:

  • Optik: 7 Spiegelmodule, jedes mit 36 Zentimetern Durchmesser und aus 54 ineinander geschachtelten Spiegelschalen bestehend, deren Oberfläche aus einem Paraboloid und einem Hyperboloid (Wolter-I-Optik) zusammengesetzt ist
  • Brennweite: 1,6 Meter
  • Detektor: CCD-Kamera, Kernstück ist ein Silizium-"Frame Store pnCCD", Bildfläche circa 3 x 3 Zentimeter, zusammengesetzt aus 384 x 384 Pixeln mit je 75 Mikrometern Größe, Zeitauflösung 50 Millisekunden, Betriebstemperatur -90°C
  • Gesichtsfeld: 1° Durchmesser
  • Spektralbereich: 0,2 - 12 keV (Kiloelektronenvolt)
  • Abmessungen: circa 3,0 Meter lang (mit geöffnetem Deckel 4,5 Meter)
  • Masse: 809 Kilogramm

Spektrum-Röntgen-Gamma-Mission

  • Start: 21. Juni 2019 auf einer Proton-Rakete vom Startplatz Baikonur, Kasachstan
  • Raumsonde: Russische Navigator-Plattform mit den beiden Teleskopen eROSITA und ART-XC
  • Orbit: um den Lagrange-Punkt L2 (1,5 Millionen Kilometer von der Erde)
  • Bodenstationen: Ussurijsk (70 Meter Spiegeldurchmesser), Bärensee (64 Meter Durchmesser)
  • Nominelle Missionsdauer: 7 Jahre

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