Interview mit Horst Westerfeld, Ex-CIO Hessen „Für Deutschland bleibt im IoT die Rolle des Zulieferers“

Redakteur: Franz Graser

Wie steht Deutschland bei den Zukunftstechniken Internet of Things und Industrie 4.0 da? Horst Westerfeld, Staatssekretär a. D. und erster CIO des Bundeslandes Hessen, zieht eine ernüchternde Bilanz. Sein Fazit: Die Musik spielt größtenteils woanders.

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Horst Westerfeld, der frühere CI des Bundeslandes Hessen, leitet den Vortragsreigen am zweiten Tag des IoT-Kongresses ein. Er stellt die Frage: „Ist Deutschland bereit für das IoT? Die Digitalisierung und die Folgen für die deutsche Wirtschaft“
Horst Westerfeld, der frühere CI des Bundeslandes Hessen, leitet den Vortragsreigen am zweiten Tag des IoT-Kongresses ein. Er stellt die Frage: „Ist Deutschland bereit für das IoT? Die Digitalisierung und die Folgen für die deutsche Wirtschaft“
(Bild: Horst Westerfeld)

Wie steht Deutschland aus Ihrer Sicht in Sachen IoT da?

Es gibt aus zwei Richtungen Treiber in Sachen IoT. Aus dem Lager der Fertigungsindustrie ist General Electric federführend im Industrial Internet Consortium mit Sitz in Genf. Aktiv mit gewaltigen Investitionen sind dort auch Cisco, Intel und IBM unterwegs. Siemens, Bosch oder Schneider (F) haben dies erkannt, erscheinen jedoch eher als Mitfahrer. Chinesische Firmen haben z. B. seit einem Jahrzehnt einen gewaltigen Vorsprung in der Nutzung von IPv6.

Ganz zu schweigen von Midea, die vor kurzem Kuka geschluckt haben. Japaner wie Hitachi und Toyota oder Koreaner wie Samsung rüsten sich ebenfalls für IoT. Aus dem Bereich der starken Neuen sind z. B. Google mit verschiedenen Kooperationen/ Zukäufen und Salesforce zumindest mit Marketingmaßnahmen vorgebrecht. Hier hat Deutschland keine mir bekannten, relevanten Player. Es wird außerhalb der Rolle des Zulieferers für Deutschland und Europa schwer werden hier mitzuhalten.

Wo müsste Deutschland zulegen, um vom IoT profitieren zu können?

Das habe ich mit der Rolle des Zulieferers schon angedeutet. Da liegen die Stärken im deutschen Mittelstand. Siemens dagegen versteht sich ohnehin mehr als Assembling Firm und wird beim Bau von Systemen und Anlagen entsprechendes Know-how, Programme und Komponenten zukaufen. Für Start-ups ist Deutschland ohnehin kein sehr fruchtbarer Boden. Das liegt am geringen Risikokapital und den vielen bürokratischen Hürden.

Eine Bestätigung findet man in dem aktuellen Bitkom-Bericht zur Digitalen Agenda. Deutschland inklusive dem europäischen Digitalkommissar müssten mehr handeln und investieren, statt bei Ankündigungen zu bleiben. Wenn wir das Beispiel Dänemark und die dortige Rolle des Governments als Treiber von Innovationen ansehen, das als Beispiel genommen, könnte Deutschland doch noch nachziehen.

Sie haben vor rund einem Jahr einmal gesagt, "Industrie 4.0" sei ein politischer Begriff. Was ist damit gemeint?

Zu Industrie 4.0 gab es 2013 eine Umsetzungsempfehlung von Kagermann und Co. und dabei blieb es. Schon damals und weiter heute ist Industrie 4.0 ein rein deutscher Begriff für die Politik und nicht für Konzepte der Umsetzung. Interessant dabei ist die gegenseitige "Wertschätzung" von Politik, Industrie und deren Lobbygruppen wie Bitkom, VDA, VDMA oder VDE, mit der Aussage,dass man auf dem richtigen Weg ist.

Wer „man“ ist, bleibt unklar, und Wertschätzung könnte auch durch „Mut zusprechen“ ersetzt werden. Die zitierte Umsetzungsempfehlung mit der Smart Factory im Mittelpunkt baut neben IoT auf Technologien zu Big Data, New Analytics, Mobile und Cloud Computing auf, aber nirgends sind deutsche Firmen bei den relevanten Marktplayern zu finden.

Ist die deutsche Fokussierung auf die Industrie zu kurz gedacht?

Industrie kann schon richtig sein, wenn es ein ungenaues Synonym für Wirtschaft ist. Wenn ein Handelsunternehmen wie Amazon heute der größte Cloud Computing-Anbieter der Welt ist und danach lange nichts kommt, dann ist Ihre Frage berechtigt. Google (besser Alphabet) und Facebook werden mit den vielen Milliarden nicht in ihrer Branche bleiben. IT-Unternehmen wie Salesforce, die bisher nur ein CRM-Produkt hatten, steigen bereits in den IoT-Markt ein. Über das weitere Engagement von Elon Musk neben PayPal, Tesla oder der Raumfahrt werden wir uns wahrscheinlich noch mehr wundern.

Was allerdings die Deutsche Telekom mit ihren Milliarden aus dem Mobilfunkgeschäft gemacht hat, müsste man sie fragen. Das gilt auch für ein Logistikunternehmen wie die Deutsche Post. Aber vielleicht gibt es andere, die weiterhin im globalen Geschäft mit IoT, Smart Factory, Smart Logistics, Smart Energy oder Mobility bleiben wollen. Eine traditionelle Branchenabgrenzung wird schwer werden.

Horst Westerfeld ist Keynote-Speaker beim diesjährigen IoT-Kongress der ELEKTRONIKPRAXIS am 14./15. September im Kongresszentrum München.

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