Neuartiges Halbleitermaterial Erstmals Elektron mit negativer Masse entdeckt
Wiegt quasi weniger als nichts! International agierende Forscher konnte erstmals den Effekt von Elektronen mit negativer Masse in neuartigen Halbleiter-Nanostrukturen messen.
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Eine große internationale Forschungskooperation unter der Leitung von Dr. Kai-Qiang Lin und Professor Dr. John Lupton vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Regensburg konnte erstmals den Effekt von Elektronen mit negativer Masse in neuartigen Halbleiter-Nanostrukturen messen. Physiker der Universität Regensburg publizierten ihre Ergebnisse in der international renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“. Das internationale Team umfasst Wissenschafler aus Berkeley und Yale (USA), Cambridge (England) und Tsukuba (Japan).
Ein Teilchen wiegt weniger als nichts!
Viele Sachen im Alltag kennen wir nur als positive Größe, wie etwa das Gewicht eines Gegenstands. Warum Materie grundsätzlich positive Masse zu haben scheine, sei eines der ungelösten Rätsel der Physik. An negative Zinsen hat man sich notgedrungen schon fast gewöhnt, aber was wären die Konsequenzen einer negativen Masse?
Nun, die Newtonsche Mechanik beschreibt dies mit der bekannten Formel: Kraft ist gleich die Masse eines Gegenstands mal dessen Beschleunigung – kurz: F=m*a. Wirkt also eine Kraft auf ein Objekt, wird dieses beschleunigt und in Bewegung versetzt. Aber Obacht, betonen die Entdecker: Schiebt man ein Auto mit negativer Masse an, so bewegt es sich auf einen zu! Und ein Golfball negativer Masse, der ins Wasser falle, würde durch den herrschenden Reibungswiderstand nicht abgebremst, sondern immer schneller sinken!
Je schneller man fährt, desto weniger Energie hat man
Materie setzt sich grundsätzlich aus drei Elementarteilchen zusammen, den Atomkernen mit schweren Protonen und Neutronen sowie den leichten Elektronen. Üblicherweise wird das Gewicht eines Körpers durch die Atomkerne bestimmt. Während die Masse der Kerne eine feste Größe sind, wird die effektive Masse der Elektronen durch die Zusammensetzung des Materials, in dem sie sich bewegen, bestimmt. Die Masse wirkt sich direkt auf die elektronischen Eigenschaften eines Materials aus.
Aus der Fahrschule weiß jeder, dass der Bremsweg quadratisch mit der Geschwindigkeit zunimmt. Dies ist eine weitere Konsequenz von Newtons Formel: die Bewegungsenergie eines Objekts nimmt quadratisch mit der Geschwindigkeit v zu. Ist die Masse m nun aber negativ, so nimmt die Energie eines Teilchens, beispielsweise eines Elektrons, mit zunehmender Geschwindigkeit ab – sein „Bremsweg“ sinkt quasi!
Entgegen aller Erwartungen blau geleuchtet!
Bewegt sich ein Elektron durch einen Stoff hindurch, kommt es regelmäßig zu Kollisionen. Wie beim Autofahren auch, führen solche Stöße eigentlich zu einer Verlangsamung der Bewegung. Das Elektron negativer Masse hingegen verliert dabei zwar ebenso Energie, wird aber beschleunigt. Genau das Verhalten haben die Forscher nun erstmals beobachten können.
Die Regensburger Wissenschaftler verwendeten dazu ein neuartiges Halbleitermaterial: Ein einziges atomar dickes Blatt des Kristalls Wolframdiselenid (WSe2). Wird dieser mit einem Laser bestrahlt, so beginnt er zu leuchten, weil ein Elektron die Energie des Lasers aufnimmt und diese wieder in der charakteristischen Farbe Rot abgibt. Dieses Rot entspricht der fundamentalen Energie eines Elektrons im Halbleiter. Genauso wie Wasser stets bergab fließt, erwartet man auch, dass Elektronen mit höherer Energie stets diese niedrigere Grundenergie einnehmen und der Halbleiter somit IMMER rot erscheint.
Das Team konnte nun den erstaunlichen Effekt beobachten, dass unter Bestrahlung mit einem roten Laser die Elektronen nicht nur rotes Licht abgeben, sondern auch blaues. Rotes Licht (niedrigere Energie) wird also in blaues Licht mit höherer Energie umgewandelt! Durch eine genaue Betrachtung der farblichen Verteilung und Helligkeit dieses blauen Lichts – also seines Lichtspektrums – lässt sich schließen, dass das blaue Leuchten von Elektronen mit negativer Masse herrührt, sagen die Experten. Diese verblüffende experimentelle Erkenntnis konnte mit detaillierten quantenmechanischen Rechnungen der sogenannten elektronischen Bandstruktur, die in dieser Form erstmalig durchgeführt wurden, belegt werden.
Ein Kuriosum mit Zukunft für die Elektronik
Gegenwärtig mag es sich bei der Beobachtung noch um ein wissenschaftliches Kuriosum handeln, doch etliche Anwendungsmöglichkeiten schweben den Wissenschaftlern schon vor, heißt es. So könnte man damit zur Entwicklung superschneller Computer, deren Elektronen sich nahezu widerstandsfrei bewegen, beitragen.
Beim Übergang von positiver zu negativer Masse entstehen außerdem sogenannte Singularitäten. Solche Singularitäten – bekannt vom Taschenrechner, wenn man versucht, etwas durch Null zu teilen – sind den schwarzen Löchern der Kosmologie nicht ganz unähnlich.
Schließlich sollte es auch aufgrund der Tatsache, dass die Elektronen im Halbleiter scheinbar diskrete Energiezustände einnehmen können, wie etwa in einem Atom auch, möglich sein, Konzepte der atomaren Quantenoptik direkt auf den Halbleiter zu übertragen, glauben die Experten. Damit könnten etwa neue elektronische Bauelemente entwickelt werden, welche die Lichtwellenlänge konvertieren, Licht speichern, gar verstärken, oder auch als optische Schalter fungieren können.
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