Stromversorgungen COMPASS verschafft tiefste Einblicke in die Natur der Materie

Autor / Redakteur: Horst Stegmüller * / Dipl.-Ing. (FH) Thomas Kuther

Stromversorgungen von ET System electronic helfen den Kernphysikern am CERN dabei, offene Fragen zum inneren Aufbau der Materie zu klären. Bei der Auswahl der Geräte spielt ihre erprobte Zuverlässigkeit eine zentrale Rolle, denn in einem aufwändigen Experiment müssen sie über Jahre hinweg unterbrechungsfrei arbeiten.

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Die zentrale Apparatur für das COMPASS-Experiment am CERN
Die zentrale Apparatur für das COMPASS-Experiment am CERN
(Bild: Horst Stegmüller)

Das CERN in der Nähe von Genf ist eine der weltweit bedeutendsten Forschungseinrichtungenund das weltgrößte Forschungszentrum auf dem Gebiet der Teilchenphysik. Mehr als 2000 feste Mitarbeiter und über 10.000 Gastwissenschaftler aus 85 Nationen arbeiten an einer Vielzahl von Experimenten zur physikalischen Grundlagenforschung und versuchen dabei, die Geheimnisse um den Aufbau der Materie zu lüften. Der technische Aufwand dabei ist ebenso hoch wie die Anforderungen an die Genauigkeit und Belastbarkeit der eingesetzten Vorrichtungen und Geräte, und für die zahlreichen Experimente müssen vielfach völlig neue Technologien und Verfahren entwickelt werden.

Ungelöstes Rätsel um den Spin von Nukleonen

Bei einem dieser Grundlagenexperimente, dem COMPASS-Experiment (Common Muon Proton Apparatus for Structure and Spectroscopy), sollen einige bislang nicht vollständig verstandene Eigenschaften des Spins von Protonen und Neutronen in einem Atomkern näher studiert werden (siehe Kasten).

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Kurz und knapp erklärt: der Spin

Unter dem Spin wird der Eigendrehimpuls eines Teilchens verstanden, der zwar analog zum mechanischen Drehimplus ist, aber aufgrund quantenphysikalischer Effekte nur bestimmte Werte annehmen und auch für punktförmige Teilchen von Null verschieden sein kann. Protonen und Neutronen haben einen Spin, der die Hälfte des reduzierten Planckschen Wirkungsquantums beträgt. Protonen und Neutronen bestehen aber aus den beiden Komponenten Gluonen und Quarks, die ebenfalls einen Spin aufweisen. Summiert man jedoch die Spinwerte der Quarks miteinander auf, erreicht man nicht den Spinwert eines ganzen Protons – eine Differenz, für die es bislang keine stichhaltige Erklärung gibt. In Frage kommen neben dem Bahndrehimpuls der Quarks auch der Spin der Gluonen sowie ihr Bahndrehimpuls.

Um eine Antwort auf diese offenen Fragen zu finden, bereitet eine Arbeitsgruppe am CERN derzeit mit hohem Aufwand das COMPASS-Experiment vor. „Bei diesem Versuch werden wir ein zylinderförmiges, rund 120 Zentimeter langes und vier Zentimeter dickes Target aus kristallisiertem, tiefgefrorenen Ammoniak mit einem Strahl aus Myonen beschießen, um durch eine sehr unelastische Myon-Proton-Streuung die Spinstruktur des Protons zu untersuchen“, erläutert Fabrice Gautheron, der als Kernphysiker maßgeblich an Konzeption und Aufbau des COMPASS-Experiments beteiligt ist. „Der eingesetzte Teilchenstrahl stammt aus dem so genannten SPS-Beschleuniger (Super-Proton-Sychrotron), einem von mehreren Beschleunigern am CERN, die teilweise für eigene Experimente oder auch als Injektoren für den großen, 27 km langen LHC (Large Hadron Collider) genutzt werden.“

50 mK – die niedrigste Temperatur am CERN

Beim Beschuss des Ammoniak-Targets mit Myonen entstehen neue Teilchen wie Pionen und Kaonen, die zusammen mit den gestreuten Myonen in einem nachgeschalteten, rund 15 m langen Spektrometer analysiert werden. Damit die dabei gewonnenen Daten aussagekräftig sind, muss der normalerweise zufällig verteilte Spin der Nukleonen im Target einheitlich ausgerichtet werden. Dazu wird das Target über zwölf Stunden hinweg einer Mikrowellenstrahlung mit einer Frequenz von etwa 70 GHz ausgesetzt, während gleichzeitig ein extrem starkes Magnetfeld von 2,5 T einwirkt. Dadurch wird das Umklappen der Spins in einen definierten Zustand angeregt, so dass in rund 80% der Ammoniakmoleküle die drei freien Protonen einheitlich ausgerichtet sind.

Derart starke Magnetfelder erfordern hohe Ströme, die nur mit supraleitenden Spulen realisiert werden können. Daher wird die gesamte Apparatur auf 50 mK abgekühlt – die niedrigste Temperatur, die am gesamten CERN genutzt wird. Zur Kühlung wird ein Kryostat eingesetzt, der mit Hilfe von flüssigem Helium extrem tiefe Temperaturen erzeugt. Das dabei verdampfende Helium wird in eine CERN-eigene, mehrere Kilometer lange Pipeline zurückgespeist, gereinigt und erneut verflüssigt, so dass es für weitere Experimente genutzt werden kann.

Erst ein präzises Magnetfeld ermöglicht das Experiment

Zur Erzeugung des erforderlichen Magnetfeldes enthält die Testvorrichtung ein Solenoid in Kombination mit einem Dipol. Das Solenoid, eine zylindrisch gewickelte Spule mit 6000 Windungen in 10 Lagen, produziert ein röhrenförmiges, longitudinales Magnetfeld. In seinem Zentrum wird das Ammoniak-Target platziert, während der Dipol ein transversal dazu stehendes Magnetfeld erzeugt. Solenoide erzeugen ein Magnetfeld, das zu den Enden hin an Stärke verliert.

Da aber die Stärke des Magnetfeldes und die Frequenz des Mikrowellenfeldes sehr genau aufeinander abgestimmt sind und das Target auf voller Länge einem konstanten Magnetfeld ausgesetzt sein soll, musste ein Ausgleich für diesen Feldstärkeabfall geschaffen werden, da sonst nicht das gesamte Target polarisiert würde. Dieser Ausgleich erfolgt durch 16 kleinere Korrekturspulen, die gezielt auf dem Solenoid positioniert wurden. Die Magnetfelder, die sie erzeugen, brauchen nicht übermäßig stark zu sein: Während das Solenoid von einem Strom von 650 A und der Dipol von 590 A durchflossen wird, genügen für die Korrekturspulen Ströme in der Größenordnung von 3 A.

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Stromversorgungen müssen extrem zuverlässig sein

Für die Stromversorgung der Korrekturspulen sind in einem Schaltschrank 16 separate Stromversorgungen eingebaut, die von ET System electronic entwickelt und gebaut wurden. Diese linear geregelten DC-Labornetzteiledes Typs LAB/SL kommen ohne Thyristorvorregelung aus, weisen einen sehr geringen Ripple auf und bieten schnelle Regelzeiten von etwa 250 µs. Sie lassen sich als Konstantstrom- und als Konstantspannungsquelle betreiben, verfügen neben diversen Schnittstellen auch über eine eingebaute elektronische Last und sind gegen Kurzschluss, Überlast und Übertemperatur geschützt.

Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl dieser Stromversorgungen war ihre hohe Zuverlässigkeit. Das COMPASS-Experiment soll zunächst von Mitte 2014 bis 2017 laufen, könnte dann aber mit einem veränderten Design bis 2020 weiterbetrieben werden und soll während seiner ganzen Laufzeit weltweit rund 220 Physiker mit Daten versorgen. „Eine Unterbrechung des Experiments wegen des Ausfalls einer Stromversorgung könnten wir uns auf gar keinen Fall leisten“, betont Fabrice Gautheron. „Da wir acht dieser Stromversorgungen schon seit 2005 ohne irgendwelche Probleme im Betriebhaben, wissen wir genau, wie stabil und zuverlässig sie sind. Das war für uns der Anlass, nun acht weitere Geräte dieses Typs bei ET System electronic zu ordern, um für unser Kernspinexperiment ein Maximum an Zuverlässigkeit sicherzustellen.“

* Horst Stegmüller ist freier Journalist und Inhaber des Redaktionsbüros TEX.ST in St.Leon-Rot.

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