Reportage Bei aller Automatisierung: Ohne Menschen geht es nicht
Im Global Logistics Center von Mercedes-Benz gibt es fast nichts, was es nicht gibt – zumindest für Fahrzeuge der Daimler AG. Doch trotz aller Automatisierung bleibt in der ausgeklügelten Teilelogistik der Mensch unverzichtbar.
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Germersheim. Der Blick durch die Gänge vermittelt etwas von Unendlichkeit. Hunderte von Metern ziehen sie sich schlauchartig hin und verlieren sich am Ende zu kleinen Punkten. Wie aus dem Nichts tauchen immer wieder fahrerlose Transportsysteme auf, die, WLAN-gesteuert, stoisch ihren Weg verfolgen und genau so plötzlich verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Dazwischen flitzen Gabelstapler hin und her, beladen mit Gitterboxen, Kartons, oder einfach ohne Ladung. Ab und an gesellen sich noch Fahrradfahrer hinzu, die auf ausgewiesenen Wegen durch die langen Gänge radeln. Es sind die schiere Größe und Weitläufigkeit sowie das geschäftige Treiben, was fast jeden Besucher beeindruckt und fasziniert. Willkommen im Mercedes-Benz Global Logistics Center (GLC), dem größten Fahrzeug-Ersatzteillager der Welt.
Das Zentrallager im südpfälzischen Germersheim, zwischen Ludwigshafen und Karlsruhe gelegen, ist das Herzstück der weltweiten After-Sales Logistik der Daimler AG. Von der sogenannten Insel Grün, umgeben von einem idyllischen Altrheinarm, werden seit 1990 die Nutzfahrzeuge und Pkw von Mercedes-Benz, Maybach, Smart und Fuso mit Ersatzteilen versorgt. Die gesamte Lagerfläche hat sich seitdem mehr als verdoppelt und wird aktuell mit zwei weiteren neuen Hallen erweitert. Mercedes-Benz möchte damit auch bei der Teileversorgung "die Markenwerte der Zuverlässigkeit verkörpern“, betont GLC-Standortleiter Eckhart von Sass.
Versorgung für 160 Länder der Welt
Ziel sei es, „die von den Kunden am häufigsten benötigten Teile, das sogenannte Topsortiment, zu 99 Prozent sofort verfügbar zu haben“. Alles andere beschaffe man in Europa in der Regel innerhalb von 24 Stunden, sagt von Sass. Von Germersheim aus würden alle Großhändler des Konzerns in Europa und Übersee beliefert. Die würden, „egal ob in Hannover oder Dubai, Warschau oder Singapur“ als direkte Ansprechpartner der Servicebetriebe vor Ort fungieren. „Insgesamt versorgen wir 280 Standorte in 160 Ländern mit Teilen und Zubehör“, so der Standortleiter.
Damit das reibungslos funktioniert, sind in den Hallen des GLC über 420.000 Teile direkt verfügbar. Nimmt man die nicht so oft benötigten oder speziell für den Kunden gefertigten Sonderteile hinzu, die kurzfristig beschafft werden können, sind es insgesamt rund 690.000 Teile. Um das alles zu lagern, zu verwalten und zu organisieren, bedarf es viel Platz und einer ausgeklügelten Logistik.
So beläuft sich die gesamte Lagerfläche, mit den angeschlossenen Außenlagern in Wörth, Ettlingen, dem pfälzischen Offenbach und Hatten im Elsass auf über eine Million Quadratmeter, das sind mehr als 140 Fußballfelder. So groß ist kein vergleichbarer Zentrallagerstandort sonst auf der Welt. Allein Germersheim kommt mit den Neubauten auf über 560.000 Quadratmeter.
In ganz eiligen Fällen kommt schon mal ein Hubschrauber
An und in den Hallen des GLC geht es dann auch zu wie in einem Bienenstock. Rund 360 Lkw kommen täglich und bringen eine Flut von Teilen, die von etwa 4.000 Zulieferern hergestellt werden. Fast genau so viele Lastwagen liefern angeforderte Ersatzteile aus. Insgesamt erfolgt der Versand per Lkw, Schiff oder Flugzeug, im Notfall per Expressdienst. Da kann es auch mal passieren, dass ein Taxi vorfährt, um ein dringend benötigtes Teil abzuholen. Es gab auch schon Fälle, da war es so dringend, dass die Kunden einen Hubschrauber schickten, der dann auf dem Parkplatz landete – oder, wie es von Sass formuliert: „Dem Transport der Teile sind keine Grenzen hinsichtlich der Transportmodalitäten gesetzt, damit die benötigten Teile schnellstmöglich zum Kunden kommen.“ Das gelte insbesondere auch für den Nutzfahrzeug-Bereich. Lkw verdienen nur Geld, wenn sie rollen. Die perfekte Versorgung mit Ersatzteilen sei daher auch am Ende der Welt für die Kunden ein elementarer Bestandteil der Wirtschaftlichkeitsrechnung und „der Entscheidung zugunsten eines Produkts der Marke Mercedes-Benz“.
Pro Arbeitstag werden im GLC über 50.000 Lieferpositionen angefordert. Was so Schlag auf Schlag bestellt wird, reicht von kleinsten Schrauben bis zu kompletten Rohbaukarossen. Luftfilter, Batterien für Zündschlüssel und Zündkerzen sind unter den Bestell-Spitzenreitern. Allein 20.000 Zündkerzen verlassen täglich das Zentrallager und werden rund um die Welt geschickt. Das stellt vor allem die Intralogistik vor enorme Herausforderungen. Was dem unbedarften Besucher der riesigen Lagerhallen als unkoordiniertes Gewusel erscheint, ist genau geplant, programmiert, getaktet und kontrolliert. Zufälle gibt es nicht, da alle Prozesse aufeinander abgestimmt sind und minutiös ineinandergreifen müssen.
Der Software, die die ausgeklügelten automatisierten Systeme steuert, kommt eine zentrale Bedeutung zu und wird von Informatikspezialisten ständig optimiert. Bei aller Automatisierung bleibt in der Teilelogistik der Mensch jedoch unverzichtbar. Die rund 2.800 Beschäftigten des GLC sorgten schließlich dafür, dass die moderne Lagertechnik zuverlässig arbeite und ergänzten diese auch. „Nur durch die optimale Kombination von Mensch und Technik ist es möglich, die Teile in kürzester Zeit an die Kunden zu liefern“, betont von Sass. Großen Wert würde man daher auf die Ausbildung des Nachwuchses in der Lagerlogistik legen.
Aber auch den Alten schenkt man in Germersheim besondere Beachtung. Das gilt nicht nur für die älteren Mitarbeiter, sondern vor allem auch für ältere Fahrzeuge, die man bei der Einlagerung von Ersatzteilen stets im Blick behält. Solche Teile sind weit über das Auslaufen einer Modellreihe hinaus direkt verfügbar. „Wir liefern Ersatzteile möglichst auch für Fahrzeuge, die 15 Jahre oder länger im Betrieb sind. Eine Bevorratung im Lager richtet sich dabei nach der Gängigkeit der Teile und nach den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Lagerhaltung. Nicht bevorratete Teile werden sonst auch häufig über Sonderprozesse kundenspezifisch beschafft.“
Das alles braucht jedoch viel Platz. Kein Wunder also, dass die Gänge im Germersheimer GLC ins Unendliche gehen.
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